In den Fußstapfen von König Artus

Von Sebastian Hesse · 04.07.2013
Die Burg Tintagel an der Steilküste von Cornwall - wurde hier König Artus geboren? Die Great Hall in Winchester mit dem Tisch der Tafelrunde - speisten hier die legendären Helden? In England und in Wales gibt es zahllose Orte, die für sich beanspruchen, Schauplätze der Artus-Sage zu sein.
"Welcome to Tintagel Castle … birthplace of King Arthur."

Matt Ward begrüßt mich am Geburtsort von König Artus, auf einem windumtosten Felsen im Atlantik, vor der nordkornischen Küste. Matt ist Manager der wichtigsten Touristenattraktion Cornwalls: Tintagel Island. Von hier oben hat man einen spektakulären Blick über die raue Westküste von Cornwall. Auf Tintagel Island steht die Zeit still: Das Panorama ist unverändert, seit sich hier im 5. Jahrhundert die ersten Siedler niederließen.

"Tintagel war ursprünglich eine Bergfestung aus den Dark Ages, eine Siedlung. Bei Ausgrabungen fanden wir rund hundert Gebäude und tausende von Bruchstücken aus Keramik aus dem Mittelmeerraum. Also hat jemand Bedeutendes hier gelebt, der mit Mittelmeer-Ländern Handel getrieben hat: zu Artus’ Lebzeiten."

Und so will es die Legende, dass der legendäre Herrscher hier auf Tintagel geboren wurde. Der Waliser Mönch Geoffrey of Monmouth hatte um 1135 als erster den Mythos von der Geburtsstätte Artus’ schriftlich festgehalten: Seither ist Tintagel eine Wallfahrtsstätte. Schon mittelalterliche Fürsten wussten um die Kraft der Mythologie; auch die Regionalherrscher von Cornwall.

"Die Burgruine stammt aus dem Jahre 1236. Richard von Cornwall hat die Burg an Artus’ Geburtsstätte errichten lassen, damit er Teil der Legende und damit mächtiger wird. Damals war die Artus-Sage schon berühmt: Also hat Richard eine Burg ohne jede strategische Bedeutung bauen lassen. Nur damit er signalisieren konnte: Ich habe eine Burg an Artus’ Geburtsstätte und bin entsprechend wichtig."

In Tintagel blüht das Geschäft mit Artus
Und obwohl der Original-Artus die Burg nicht gekannt haben kann, halten viele der zahllosen Besucher, die seit den Tagen Queen Victorias nach Tintagel strömen, die malerische Ruine für den einstigen Wohnsitz des Sagenkönigs. In Tintagel blüht seit Mitte des 19. Jahrhunderts das Geschäft mit Artus.

"Das Dorf hier hieß ursprünglich gar nicht Tintagel: Erst die Viktorianer haben es nach der Burg benannt. Damit wollten sie den Tourismus ankurbeln. Seit dieser Zeit strömen alljährlich tausende hierher, auf den Spuren der Legende. Das ist doch fantastisch!"

Wer heute durch das kornische Dörfchen schlendert, der wird geradezu erschlagen von Artus-Reminiszenzen: Der Artus-Pub liegt neben Merlins Café, Esoterik-Läden wie Camelot Collectables neben Privathäusern, in deren Vorgärten Steinkreise errichten wurden. Die bizarrste Einrichtung im Dorfkern von Tintagel ist "King Arthur’s Great Halls".

1933 errichtet hier der exzentrische Millionär Frederick Thomas Glasscock, - der sein Vermögen mit Vanillepudding gemacht hatte -, eine Festhalle im Stile einer Ritterburg. Ein Abziehbild-Camelot aus massivem Granit, mit bunten Glasfenstern, die Szenen aus der Artus-Legende zeigen. Einmal im Jahr treffen sich hier die selbsternannten Nachfahren der Ritter der Tafelrunde, die 1927 gegründete ‚Fellowship of the Knights of the Round Table of King Arthur’, zu ihrer Jahrestagung.


Und so will jeder ein Stück vom Artus-Kuchen abhaben. Auch Patricia und John Cannings, die eigens deswegen nach Cornwall umgesiedelt sind und heute den Souvenirladen ‚Celtic Legend’ betreiben.

"Pat und ich kommen eigentlich aus dem Norden, aus Yorkshire. Vor 16 Jahren haben wir uns hier niedergelassen und gut eingelebt: weil wir alle an der Artus-Legende interessiert sind. Die Leute kommen aus allen Ecken der Welt: Aus Japan, China, Spanien, Italien; alle wegen Artus. Wir schicken die dann immer auf die Burg."

In ganz Cornwall begleitet Artus den Reisenden auf Schritt und Tritt: Gesichtsähnliche Felsformationen an der Steilküste heißen ‚King Arthur’s Head’, Megalithmonumente ‚King Arthur’s Stone’ und kleine Aushöhlungen in Felsen ‚King Arthur’s Footstep’.

Gab es die Person Artus wirklich?
Theoretisch könnte der historische Artus, damals im sechsten Jahrhundert, hier gewesen sein. Doch ob es diese eine geschichtliche Gestalt, auf die sich die meisten Artus-Jünger beziehen, wirklich gab: Daran gibt es längst Zweifel. Die renommierten Mythenforscher Caitlin und John Matthews aus Oxford haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Artus, Merlin und dem Gral auf die Spur zu kommen. Inspiration für die Waliser Volkssagen, in denen Artus erstmals erwähnt wird, waren laut John Matthews gleich mehrere historische Vorbilder.

"Der älteste Artus war ein Römer aus dem zweiten Jahrhundert. Dann gab es im fünften Jahrhundert einen römisch-britischen Artus. Danach gab es einen mysteriösen Freiheitskämpfer namens Artus. Und dann gibt es den mythischen Artus, eine Art Kombination aus diesen historischen Vorbildern. Die wurden dann zusammengerührt mit allerhand mittelalterlichen Mythen und Legenden."

Die Artus-Sage also ein gewachsener, allmählich perfektionierter Mythen-Cocktail, für den Jahrhunderte lang Historie, Wunschfantasien, kollektive Sehnsüchte, Folklore und romantische Legenden miteinander verrührt wurden. Wegen dieser verschiedenen Ebenen gibt es auch keine eindeutig kartografierbare Artus-Region.

"Wir haben es also mit zwei Landschaften zu tun: Mit dem historischen Schauplatz, der rund um den Hadrianswall an der schottischen Grenze liegt. Und dann gibt es die mythologischen Schauplätze wie Glastonbury, Tintagel und viele andere."

John und seine Frau Caitlin finden, dass die Sage so eng verwoben ist mit der britischen Identität, dass man sie überall im Land sinnlich erfahren kann. Jedenfalls, wenn man die schamlose Vermarktung ignoriert.

"In Tintagel kann man Artus gar nicht entkommen: Ausstellungen, Buchläden, Andenken. Bis hin zum Excaliburger im Touri-Café. Das ist ziemlich abstoßend. Ich rate den Leute immer: Lasst Euch auf die Landschaft ein. Meidet die Orte, die Souvenirläden. Setzt Euch lieber in die Landschaft."

Frühe Artus-Abenteuer wurden in Wales erzählt
Orte, an denen man sich verlieren kann und eintaucht in eine uralte Sagenwelt, wo man eine verloren geglaubte Naturverbundenheit wiederentdeckt und sich eins fühlt mit dem uralten Land, gibt es zahlreich an der britischen Westküste. Auch in Wales, wo einst die frühesten Artus-Abenteuer an den Lagerfeuern erzählt wurden und mündlich bis heute überliefert sind. Hier lebt der deutsche Baumkundler und Ethno-Botaniker Fred Hageneder.

Der moderne Merlin Hageneder erkundet seit vielen Jahren die verbliebene Wildnis Britanniens. Und stößt ständig auf Hinweise auf die Artus-Legende. Rund um den Merlin-Berg Dinas Emrys, an Merlins angeblichem Geburtsort Camarthen oder auf der Druideninsel Bardsey Island.

Die meisten Artus-Touristen suchen jedoch Vorbilder für die Wirkungsstätten ihres Helden: etwa Camelot, seinen Herrschersitz, wo die berühmte Tafelrunde zusammen kam.

Diane Grudgings führt fast täglich Touristengruppen durch die Great Hall von Winchester Castle in Hampshire. An der Nordwand der Festhalle aus dem frühen 13. Jahrhundert hängt die Attraktion, wegen der die Artus-Jünger kommen: Der Runde Tisch, an dem die 24 Ritter der Tafelrunde speisten. Deren Namen sind auf der gewaltigen Holzscheibe vermerkt: Lanzelot, Gawain, Gallahad, Mordred, Tristan, Parzifal.

"Wenn man den Tisch hier an der Wand sieht, vergisst man leicht, dass es sich tatsächlich um einen Tisch handelt. Er hatte 12 Tischbeine und eine Mittelsäule. Er wurde aus englischer Eiche gefertigt und wiegt 1,4 Tonnen."

Jahrhunderte lang hat man tatsächlich geglaubt, an der Sage könnte etwas dran sein und die legendären Helden hätten hier von ihren abenteuerlichen Reisen berichtet, - sagt die Kuratorin. Bis nüchterne Forscher es genauer wissen wollten.

"1976 wurde der Tisch abgehängt und mit modernsten Methoden untersucht. Demnach wurde er zwischen 1250 und 1280 hergestellt. Wenn man seinen Artus kennt, weiß man, dass er viel früher gelebt hat. Es kann also nicht der Tisch der echten Tafelrunde gewesen sein."

Und trotzdem wollen viele das glauben, zumal die Bemalung des Tisches das ja nahelegt. Doch die ist noch jüngeren Datums und wurde aus politischen Gründen hinzugefügt.

"In der Mitte sieht man die Rose der Tudors. Und die Farben der Dynastie. Ursprünglich war der Tisch aber nicht bemalt. Das hat Heinrich VIII. viel später machen lassen. Und wenn Sie sich das Artus-Portrait ansehen und sich den Bart und die Haare wegdenken, dann haben Sie Heinrich vor sich!"

Der ebenso exzentrische, wie umstrittene Herrscher des frühen 16. Jahrhunderts wollte seine Regentschaft zementieren, indem er sich selbst in die Tradition Artus’ stellte, dessen Nachfolge für sich reklamierte.

Angebliche Grabstätte Artus' ist Glastonbury
Das nach Tintagel zweitwichtigste Artus-Mekka ist Glastonbury in Somerset, Hippie-Paradies, Esoterik-Zentrum, angebliches Avalon und: die Grabstätte von König Artus.

Im Ortskern von Glastonbury findet sich eine der malerischsten Ruinen Englands: Die der Glastonbury Abbey, geschliffen im 16. Jahrhundert während der Reformationswirren. Deren Überreste sind immer noch so eindrucksvoll, das man eine Ahnung kriegt von deren Pracht, als sie noch die wohlhabendste Klosterkirche Englands war. Julie Hayes, Museumspädagogin der Abbey, erzählt, wie im 12. Jahrhundert das Gerücht aufkam, Artus sei auf dem Klostergelände begraben. Die britische Krone war elektrisiert: Die Mönche wurden mit umfangreiche Ausgrabungsarbeiten beauftragt.

"Im Jahre 1191 haben sie hier gut zwei Meter tief gegraben und dabei, unter einem Stein, ein großes, bleiernes Kreuz gefunden. Darauf stand: ‚Hier ruht König Artus, begraben in Avalon!’ Als sie tiefer gruben stießen sie in vier Meter tiefe einen großen Eichensarg mit zwei Skeletten darin: Dass eines großen Mannes mit einer Schwertwunde im Schädel. Und das einer Frau, vermutlich Ginevra."

Der Auftraggeber des archäologischen Unterfanges, König Edward I., ein erklärter Artus-Fan, ließ die Gebeine daraufhin in einer pompösen Zeremonie beisetzen und eine prunkvolle Artus-Grabstätte errichten. Wie so oft im Zusammenhang mit der Legende ging es dabei auch ganz profan um weltliche Macht: Edward wusste um die mythologische Bedeutung des Sagenkönigs für die aufmüpfigen Waliser.

"Indem er König Artus mit so viel Pomp begraben ließ, hat er ein politisches Signal an die Waliser gesendet. Artus ist tot, wir haben seine Knochen. Damit starb die Hoffnung der Waliser, dass er zurückkommen könnte. Sie glaubten, Artus schliefe nur und würde ihnen in der Stunde der Not zur Hilfe kommen."

Und wieder wurde Artus politisch instrumentalisiert. Der neuen Wallfahrtstätte war jedoch nur ein kurzes Leben beschieden. Einmal mehr hatte Heinrich VIII. seine Finger im Spiel: 1539 ließ er Glastonbury Abbey schleifen, um sich die Besitztümer des wohlhabenden Klosters unter den Nagel zu reißen. Der Grabstein aus schwarzem Marmor, die mythischen Gebeine, das Bleikreuz: alles seither verschwunden. Der Artus-Kult jedoch ist 500 Jahre später immer noch sehr lebendig in Glastonbury.
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