Impfen

Mein Körper gehört (nicht) mir

Ein Mann wird gegen Masern geimpft.
Ein Mann wird gegen Masern geimpft. © picture alliance / dpa / Lukas Schulze
03.03.2015
Steuerhinterziehung ist asozial, das weiß jeder. Und Impfverweigerung? Wer sich nicht impfen lässt, handelt nicht nur unvernünftig, er schadet damit auch der Gemeinschaft, sagt der Gesundheitsjournalist Nikolaus Nützel.
Herdentiere haben kein gutes Image. Ein Leben, wie es Schafe oder Ziegen führen, nämlich in der Herde, kann aber Vorteile haben. So hat sich gezeigt, dass Krankheitserreger kaum eine Chance haben, sich zu verbreiten, wenn ein großer Teil einer Gruppe immun gegen diese Erreger ist. Das gilt auch für das Tier namens Homo sapiens, der Fachbegriff lautet: Herdenimmunität.
Das heißt: Wenn sich ein ausreichend großer Teil einer Gruppe von Menschen mit einer Impfung gegen eine Krankheit immunisiert, dann haben nicht nur die Einzelnen etwas davon, die sich eine Spritze geben lassen, sondern auch die Minderheit, die sich nicht impfen lässt, profitiert. Im Idealfall haben sogar alle künftigen Generationen etwas davon. So war es bei den Pocken: Kinder, die heute geboren werden, brauchen nicht mehr gegen Pocken geimpft zu werden, weil frühere flächendeckende Impfungen diese Plage beseitigt haben.
Das gleiche Ziel hat sich die Weltgesundheitsorganisation für die Masern gesetzt. Bislang hat sie es aber verfehlt. Denn zu viele Menschen pochen auf ihre Freiheit, sich als Individuum gegen eine Impfung zu entscheiden.
Bei der Masernimpfung geht es auch ums Gemeinwohl
Doch wer die Masernimpfung ablehnt, trifft damit nur vermeintlich eine Entscheidung alleine über eine einzelne Person. Er trifft damit auch eine Entscheidung, die für eine große Gruppe relevant ist – eine Gruppe, zu der sogar alle die gehören, die noch gar nicht geboren sind. Es geht also um einen Begriff, der manchmal etwas angestaubt klingt, es geht ums Gemeinwohl.
Bemerkenswerterweise geht es dabei meist gar nicht um Entscheidungen, die mündige Bürger für sich treffen. Meist sind es Mütter und Väter, die für ihre Kinder entscheiden. Es ist zwar oft vom Selbstbestimmungsrecht der Eltern die Rede. Korrekterweise müsste man aber davon sprechen, dass Eltern ein Fremdbestimmungsrecht ausüben – das Recht und die Macht zu entscheiden, ob ihre Kinder geimpft werden.
Diejenigen, die Impfungen ablehnen, argumentieren meist mit Risiken, die eine solche Spritze mit sich bringen könnte. An dieser Stelle kommt eine weitere brisante Frage ins Spiel: Die Frage, wie viel Rationalität lassen Menschen in ihr Denken, wenn sie Entscheidungen treffen?
Nach all dem, was in der modernen Medizin als rational gilt, ist es schlicht nicht vernünftig, Impfungen wie die gegen Masern abzulehnen. Allerdings lehnen Impfverweigerer oft auch diese Form der Rationalität ab. Das gilt in einer offenen Gesellschaft bislang auch als ihr Recht. Ebenso wie es als das Recht eines jeden gilt, sich eine Zigarette anzustecken – auch wenn es, medizinisch gesehen, definitiv unvernünftig ist zu rauchen.
Impfgegner sollten sich intensiver mit dem Thema beschäftigen
Die Raucher allerdings müssen inzwischen weit mehr Rücksicht auf die Gesundheit anderer, also aufs Gemeinwohl nehmen als in früheren Jahrzehnten. Rauchverbote in Gaststätten oder am Arbeitsplatz haben ihre offizielle Begründung nicht darin, dass der einzelne Raucher vor sich selbst geschützt werden soll. Es geht bei diesen Eingriffen in die Freiheit des Einzelnen um die Rechte der anderen, der Nichtraucher.
Wenn es ums Impfen geht, halten sich die politischen Eingriffe in die Freiheit der Einzelnen bislang in engen Grenzen. Es gibt keine Impfpflicht in Deutschland. Ganz allgemein gelten staatliche Verpflichtungen, wenn es um die Gesundheit geht, als hochproblematisch.
Deswegen wäre es hilfreich, wenn diejenigen, die Impfungen bislang ablehnen, noch einmal darüber nachdenken, worum es eigentlich geht. Die ganz radikalen Impfgegner werden sich zu einem solchen Nachdenken nicht bewegen lassen. Sie folgen meist den Denkmustern einer Sekte. Aber diejenigen, die sich dem Impfen eher aus einem Bauchgefühl verweigern, sollten sich mit dem Thema intensiver beschäftigen.
Es kann ja auch ganz bereichernd sein, auf diese Weise das eigene Leben und das Leben seiner Kinder zu gestalten. Und das Leben der Herde, in der man auch als Mensch lebt.

Nikolaus Nützel arbeitet seit 1995 als Journalist und Sachbuchautor. In seiner journalistischen Arbeit hat er sich besonders auf Gesundheitspolitik spezialisiert. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Medienpreise, darunter den Publizistikpreis der Stiftung Gesundheit und zweimal die Auszeichnung "Bestes Junior-Wissensbuch" des österreichischen Wissenschaftsministeriums.

ACHTUNG: FOTO NUR FÜR POLFEUIL VERWENDEN!!! Der Journalist und Sachbuchautor Nikolaus Nützel.
© Isabelle Grubert
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