Im Plauderton durch die Jahrzehnte

27.03.2013
Joschka Fischer, langjähriger Spitzenpolitiker der Grünen, hat sich 2012 mit dem amerikanischen Historiker und Friedenspreisträger Fritz Stern getroffen, um über Politik und Gesellschaft zu reden. Das Gespräch ist Grundlage eines Buches, das der Beck-Verlag herausgebracht hat.
Was auffällt, ist der ganz spezielle Tonfall: Man nennt sich beim Vornamen, bleibt aber beim "Sie", hanseatisch, weltläufig, gewollt vertraut klingt das, und doch distanziert. Dass dies ein echtes Gespräch ist, und kein nachträglich montierter Interviewband, soll gleich zu Anfang deutlich gemacht werden.

Stern und Fischer unterhalten sich zum Einstieg über die Gründerzeit-Flügeltüren der Villa in Berlin-Grunewald, in der die Gespräche im Mai 2012 aufgezeichnet wurden. Von hier aus mäandern die beiden im Plauderton durch die Jahrzehnte, streifen die beiden großen Kriege, Werden und Wandel der Nationen, die Frage nach der Heimat, Achtundsechzig, den Nahostkonflikt und das große Thema Europa - zwei Pensionäre ihrer Zunft und Nachkriegskinder, wenn auch verschiedener Kriege.

Der US-amerikanische Historiker Fritz Stern, der 1926 in Breslau geboren wurde und dessen Familie mit jüdischen Wurzeln weitsichtig genug war, Deutschland bereits 1933 zu verlassen, ist von der Zeit zwischen den Kriegen geprägt, von Weimar, Versailles und dem Weg zur Machtergreifung der Nazis. Für Joschka Fischer, als Sohn ungarndeutscher Flüchtlinge 1948 im Württembergischen zur Welt gekommen, ist der Zweite Weltkrieg und die schuldhafte Verstrickung der Deutschen der innere Kompass, nach dem er sein politisches Handeln ausgerichtet hat - als Steine werfender Sponti in Frankfurt ebenso wie als deutscher Außenminister in den Kriegen auf dem Balkan.

Fritz Stern hat in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren eine Reihe von wichtigen Arbeiten zur deutschen und europäischen Geschichtsschreibung verfasst. Nun, da er auf die 90 zugeht, verlegt er sich auf Gespräche mit Zeitzeugen. Eine Unterhaltung mit Altkanzler Helmut Schmidt ist bereits erschienen. Sie wurde, ebenso wie wie die vorliegende, moderiert und behutsam in Form gebracht vom Berliner Lektor und Schriftsteller Thomas Karlauf, der seit 15 Jahren professionell Gespräche zu Büchern macht.

Karlauf lässt sich nicht gern in die Karten schauen und bestätigt auf Anfrage des Rezensenten nur, dass gekürzt und redigiert wurde. Wie stark das Original bearbeitet ist, lässt er offen - durchaus möglich also, dass die beiden weitgehend druckreif formuliert haben, und dass dies ein vergleichsweise unaufwändiger Weg für Verlage ist, voluminöse Bücher herzustellen. Ein Tonband und ein ruhiger Raum genügen.

Der Historiker Fritz Stern
Der Historiker Fritz Stern© AP Archiv
Beide sind Linke und haben sich an den Linken gerieben
Stern und Fischer haben trotz ihres Altersunterschiedes einige Gemeinsamkeiten: Beide sind auf ihre Weise Achtundsechziger. Fischer radikalisiert sich nach 68 in der Frankfurter Szene, Stern dagegen distanziert sich nach anfänglicher Sympathie von den gewaltbereiten Studenten in Berkeley, die seiner Ansicht nach das liberale Klima der Universitäten in den USA nachhaltig zerstört haben. Viele der Randalierer sind seiner Beobachtung nach später als Neocons in den Kriegskabinetten, von Reagan zu Bush und Bush, wieder aufgetaucht.

Beide, Fischer und Stern, sind ohne Zweifel Linke und haben sich dennoch an den Linken gerieben. Weil sich aber die beiden alten Herren meist am Ende einig sind, fehlt es diesem Buch am nötigen Zunder. Der eine räsoniert, der andere stimmt zu, das wird schnell langweilig: Israel und Palästina brauchen die Zweistaatenlösung, sobald der Euroraum zerbricht, endet die europäische Einigung, das amerikanische Volk ist tief gespalten, und Asien wird wirtschaftlich die Zukunft gehören - neue Einsichten sind das nicht.

Anregender wird es, wenn Joschka Fischer von den Fehlern der Grünen und seinen eigenen politischen Fehlern erzählt: Nach dem Massaker von Srebrenica erkennt er, dass er weggeschaut hat, wie einst die eigenen Eltern. Deshalb stellt er sich mit dem Militäreinsatz im Kosovo und in Mazedonien gegen die eigene Partei und gegen das politische Milieu, aus dem er stammt. Dennoch sei durch das Bombardieren Belgrads ein Völkermord verhindert worden, dazu steht er bis heute. Das ist beeindruckend. Lässt sich aber bereits in seinen Memoiren nachlesen.

Fritz Stern dagegen berichtet mehrfach von seiner unglücklichen Liebesgeschichte mit Amerika. Von dem Land, das ihm als Immigrant 1938 nicht nur das Leben gerettet, sondern einen ganz neuen Lebensweg eröffnet hat, das rechtsstaatlich, offen und liberal war, sind seiner Meinung nach nur noch Reste übrig. Die Vereinigten Staaten von heute erinnern ihn an die Weimarer Republik, er sieht einen Staat mit einer sehr brauchbaren Verfassung, die in der Praxis aber immer weniger Bürger interessiert.

Ein Buch mit durchaus klugen, aber nicht bahnbrechend neuen Gedanken und Erkenntnissen.

Besprochen von Andreas Baum

Joschka Fischer und Fritz Stern: Gegen den Strom. Ein Gespräch über Geschichte und Politik
C.H. Beck, München 2013
221 Seiten, 19,95 Euro
Mehr zum Thema