Im Krieg gibt es keine Moral

21.01.2013
Der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk wurde in Deutschland mit seinem Roman "Adam Hundesohn" bekannt. In seinem Buch "1948" begleitet der Leser ihn in die Zeit, als der Autor selbst mit 17 im Krieg war - in Palästina, wo die Juden um die Unabhängigkeit ihres Staates Israel und sein Überleben kämpften.
Soldaten töten. Ja mehr noch, sie "lieben das Töten". Das sagt der große israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk, der es wissen muss, denn er war selbst Soldat. Als 17-jähriger kämpfte er 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Sechzig Jahre danach hat er seine Erinnerungen aufgeschrieben: blutige, tragische Geschichten über Gefechte und Gemetzel, die er nicht anders denn als sinnlos bezeichnen kann. Und doch ist daraus der Staat Israel hervorgegangen. "1948" ist ein Buch, das sich nicht für Heldengesänge und Legendenbildungen eignet. Es ist das Buch eines Überlebenden, der sein Überleben dem Tod so vieler anderer zu verdanken hat und der an der Gründung Israels mitwirkte, ohne so recht zu wissen, was ein Staat eigentlich ist und was daraus folgt.

Kaniuk gehörte der Palmach an, einer Stoßtruppe, die er aber weniger als Eliteeinheit erlebte, denn als schlecht ausgerüstetes und kaum ausgebildetes Häuflein entschlossener Kämpfer. Sinn und Zweck der Gefechte sind dem Jungen, der er damals war, nicht klar geworden. In der Erinnerung sieht er die Kameraden um sich herum sterben und umfallen wie die Zinnsoldaten. Und doch wird nach und nach deutlich, worum es ging: Um die Vertreibung der Araber aus ihren angestammten Dörfern. Kaniuk erzählt das zum Teil als Groteske, wenn seine Truppe, ausgerüstet mit nichts als einem funktionierenden und einem kaputten Gewehr, in ein Dorf einzieht, das zur selben Zeit auf der anderen Seite von seinen Einwohnern verlassen wird. Schlurfend, müde, langsam, verschwindet der Zug in der Wüste.

Oder er erzählt von dem menschenleeren Ramla, dessen Einwohner er in einem Lager vor der Stadt auffindet schreiend und klagend hinter Stacheldraht und bewacht von einem zitternden, jungen Rekruten , während der Ort zugleich schon von europäischen Juden, die den Holocaust überlebten, ganz selbstverständlich in Besitz genommen wird. Nach Recht oder Unrecht zu fragen, wäre hier vergeblich. Dass der jugendliche Kämpfer die neuen Ungerechtigkeiten wahrnimmt, ändert nichts daran, dass er daran mitwirkt. Und er begreift, dass die Neuankömmlinge eine ganz andere Art von Krieg und Vernichtung überlebt haben als er und seine Kameraden in ihrem "Micky-Maus-Krieg".

Im Krieg gibt es keine Moral. Das schafft einen verlockenden Freiheitsraum. Auch das ist eine Lehre dieses autobiografischen Romans, den man, wenn man so will, auch als Adoleszenzgeschichte lesen kann. Was ist das für eine Jugend, wenn einer lernt, Männer zu töten, bevor er eine Frau geküsst hat? Was wird aus ihm? Kaniuk stellt sich diese Frage selbst. Im Mittelpunkt des Buches steht jedoch der tragische Augenblick, in dem er ein palästinensisches Kind erschoss, das er eigentlich retten wollte.

Diese Tat hat ihn ein Leben lang umgetrieben. Erst als alter Mann, nach einer schweren Krankheit, die ihn in Todesnähe brachte, hat Kaniuk sich entschlossen, die Erinnerungen an diese Zeit aufzuschreiben. "1948" ist ein aufwühlendes Buch über den Krieg und also, wie jedes gute Kriegsbuch, zugleich ein Anti-Kriegsbuch. Aber es ist viel mehr: Es ist ein Buch über den täglichen Wahnsinn der israelischen Gegenwart, denn man erfährt auch, wie wenig sich seit 1948 geändert hat. Der Alte, der da spricht, ist am Ende auch in der Rolle des leicht verbitterten Veteranen, der angesichts dessen, was folgte, die furchtbaren Schlachten von einst als gute alte Zeit betrachten muss.

Besprochen von Jörg Magenau

Yoram Kaniuk: 1948. Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Aufbau Verlag, Berlin 2013
248 Seiten, 19,99 Euro


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