Im Kino: "Amerikanisches Idyll" von Ewan McGregor

Ein Riss ging durch die USA - und ist geblieben

Schauspieler und Regisseur Ewan McGregor vor einem Plakat seines Films "Amerikanisches Idyll".
Schauspieler und Regisseur Ewan McGregor vor einem Plakat seines Films "Amerikanisches Idyll" © dpa picture alliance/ Ettore Ferrari
Von Hans-Ulrich Pönack · 17.11.2016
Ewan McGregor hat sich mit der Verfilmung von Philip Roths Roman "Amerikanisches Idyll" Großes vorgenommen. Roth zeigt mit dem Zerfall einer wohlhabenden, scheinbar perfekten Familie die innere Zerrissenheit der USA in den 1960ern. Herausgekommen ist ein aufwühlendes Gesellschaftsdrama mit zwei herausragenden Darstellerinnen.tsdrama mit zwei herausragenden Darstellerinnen.
Der deutsche Film-Titel ist blanke, schmerzhafte Ironie; Originaltitel: "American Pastoral". Philip Roth bekam für seinen Roman "American Pastoral" 1998 den renommierten amerikanischen "Pulitzer-Preis".
Ewan McGregor, Schotte des Jahrgangs 1971, startete ab 1996 seine Schauspieler-Karriere mit den Filmen "Trainspotting – Neue Helden" sowie "Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten". Heute ist er ein internationaler Star, der sich in Filmen wie "Moulin Rouge", "Big Fish", "Cassandras Traum" (von Woody Allen), "Illuminati", "Der Ghostwriter" oder zuletzt in "Verräter wie wir" nach John Le Carré profilierte. Zudem war er in drei "Star Wars"-Episoden ("Die dunkle Bedrohung"; "Angriff der Klonkrieger" sowie "Die Rache der Sith") als Obi-Wan-Kenobi aktiv. Jetzt hat der 45-Jährige seinen ersten eigenen Film als Regisseur und Hauptdarsteller realisiert.
Er mimt "den Schweden". Dieser Bursche, so erzählt es Philip Roth in seinem Buch eingangs, "war in den Kriegsjahren in unserem Viertel in Newark ein magischer Name". Er "glänzte als Außenstürmer im Football, als Center im Basketball und als First Baseman im Baseball". "Versetzte unser Viertel in einen Wahn über sich selbst und die Welt". "Wohin er auch blickte, die Menschen liebten ihn". Natürlich war jedem klar, dass aus so einem sportiven wie gesellschaftlichen Darling später "etwas werden" würde. Und so kam es auch: Seymour Levov, der Spross einer jüdischen Handschuh-Fabrikantenfamilie, übernimmt die millionenschwere Familienfirma, heiratet die frühere Schönheitskönigin Dawn (Jennifer Connelly); sie bekommen die Tochter Meredith, genannt "Merry". Das Familien-Glück könnte nicht vollkommener sein.

Merrys Stottern als Rebellion gegen ihren übermächtigen Vater

Die USA in den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts. Alles ist perfekt und schön. Bei der Familie Levov. Merry wächst behütet auf einer imposanten Farm im vornehmen Old Rimrock auf. Sie ist eine Vorzeigetochter, die allerdings mit einer kleinen Schwäche behaftet ist: Ihr Stottern, das von einer Therapeutin als Rebellion gegen die vermeintliche Perfektion ihrer Familie und vor allem als innerer Aufruhr gegen ihren stolzen Übervater, "den Schweden", gedeutet wird. Aber dies wird von den Eltern so nicht gesehen. "Perfekte Frau, perfektes Haus, perfektes Kind. Etwas lächelte auf ihn herab. Ich dachte, dass es immer so sein würde. Schließlich war er der Schwede", kommentiert der berühmte Autor Nathan Zuckerman (David Strathairn), ein Alter Ego von Philip Roth, das Geschehen.
Das sich dramatisch verändert. Stichwort: Die Sixties, die Rassenunruhen, die sexuelle Revolution, der USA-Krieg in Vietnam. Die Jugend rebelliert. Merry (Dakota Fanning) wird zur Aktivistin. Verübt einen Bombenanschlag auf das örtliche Postamt, wobei ein Mensch ums Leben kommt. Danach verschwindet sie in den Untergrund.
Nicht nur eine familiäre Mittelstands-Idylle zerbricht, sondern auch "das Innere" von Amerika. Die so schön propagierte und nach außenhin demonstrierte Unschuld ist endgültig vorbei. "Der Schwede" ist fassungslos. Sein Leben bestimmt fortan die fieberhafte Suche nach seiner Tochter. Um Antworten zu bekommen und um "seine" Merry zurückzugewinnen. Seymour Levov kommt mit dieser neuen Situation überhaupt nicht klar. Kann und will es einfach nicht verstehen, dass sich sein geliebtes Mädchen "für die andere Seite" entschieden hat. "Gegen ihn": "It's not a riot, it's a revolution". Während die Ehefrau an der Situation zerbricht und schließlich andere individuelle "Schutzwege" beschreitet, um weiterhin einigermaßen frei atmen zu können.
Ein faszinierend doppelbödiges politisches Gesellschaftsdrama, mit einem düsteren Hauch atmosphärischer Kriminalistik. Das Auseinanderbrechen einer Heile-Welt-Family als Parabel auf den Zustand eines Landes. Das mehr und mehr in Aufruhr gerät und nicht mehr (und dann nie mehr) zur "alten Ruhe" kommen soll. Spielleiter-Debütant Ewan McGregor spielt selbst Seymour Levov, der die aufkommenden und immer drastischer werdenden kleinen und großen Veränderungen nicht akzeptieren will. Der nicht in der Lage ist, sein eigenes bisheriges Denken und Handeln zu hinterfragen. Eine spannende Performance dieses spannenden Schauspielers, der mir allerdings mitunter zu eindimensional in dieser Rolle vorkommt: zu brav und auch, wenn man den Roman kennt, figürlich etwas zu schlicht.

Jennifer Connelly und Dakota Flemming sind in Höchstform

Nichtsdestotrotz führt er zwei überragende Frauen zu Höchstleistungen: Jennifer Connelly, unvergessen als die kleine Ballett-Süße in Sergio Leones "Es war einmal in Amerika" (1984), trifft als Dawn Levov genau die Seelenstimmung: akzeptiert auf keinen Fall den eigenen Selbstuntergang durch den Weggang der Tochter und ist gegebenenfalls bereit, sich familiär "abzunabeln". Um sich selbst zu schützen. Um "überlebensfähig" zu bleiben. Ebenso "Oscar"-würdig ist die Verwandlung der Dakota Flemming als Merry, die ihr Unverständnis und ihre Wut über den Gleichmut in ihrer Umgebung und den kriegerischen Zustand ihres Landes nicht mehr zu unterdrücken vermag und zur angewiderten, aggressiven "Aktivistin" wird. Und dabei weitere Menschen tötet.
Ein aufwühlender Spannungsfilm. Ein packendes Schauspieler-Werk. Die amerikanische Paranoia eines Umbruch-Jahrzehnts. Umgesetzt in einem emotionalen Spannungsfeld, das weit über Amerika hinausgeht. Eigene Erlebnisse und Erinnerungen stark berührt. Und noch etwas ist außerordentlich faszinierend: Die teilweise an die tiefen-atmosphärischen Bilder des großen Malers Edward Hopper erinnernden geheimnisvollen, sehnsüchtigen Sog-Motive, von denen sich der deutsche Kameramann Martin Ruhe (u.a. "The American"/George Clooney) und Produktionsdesigner Daniel B. Clancy prächtig inspirieren ließen.
Der Film "Amerikanisches Idyll" ist über weite Strecken ein großartiges Kopf-Vergnügen.
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