Im Dienst der Versöhnung

Moderation: Leonie March · 02.05.2008
Der Mitbegründer von Aktion Sühnezeichen, Hans Richard Nevermann, hat die Bedeutung der Friedensdienste hervorgehoben. Nevermann sagte, aus der Aktion Sühnezeichen sei längst ein internationales ökumenisches Werk geworden.
Leonie March: Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und schon damit mehr als andere unermessliches Leid der Menschheit verschuldet, so steht es im Gründungsaufruf der Aktion Sühnezeichen aus dem Jahr 1958. Weiter heißt es: Wir bitten die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen in ihrem Land Gutes zu tun, ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein Krankenhaus als Versöhnungszeichen zu errichten. Diesem Aufruf sind seitdem über 15.000 Freiwillige in 13 Länder gefolgt. Heute feiert die Organisation ihr 50-jähriges Jubiläum, zum Festakt werden unter anderem Bundespräsident Köhler und die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland Knobloch erwartet, außerdem einer der Mitbegründer der Aktion Sühnezeichen, der Theologe Hans Richard Nevermann. Ihn begrüße ich jetzt im Studio. Guten Morgen, Herr Nevermann!

Hans Richard Nevermann: Guten Morgen!

March: Mit welchen Gefühlen blicken Sie zurück auf 50 Jahre Aktion Sühnezeichen?

Nevermann: Mit etwas nostalgischen Gefühlen, aber doch auch mit wehmütigen, denn die Aktion Sühnezeichen hat sich ja seitdem rasant verändert. Wir sind seinerzeit noch in ehemalige Feindländer gegangen, wo noch schwere Ressentiments gegen Deutsche waren, wo noch das Auschwitz-Syndrom über Europa hing und wir natürlich als besonders Belastete galten in aller Welt. Die Gruppe, die ich geleitet habe, nach Norwegen, das war sozusagen eine Pioniertat in einem Land, das natürlich im Krieg auch sehr gelitten hatte, zumal es neutral gewesen war und Deutschland die Neutralität gebrochen hatte, um von dort eine Basis gegenüber England zu haben.

March: Pioniere waren Sie ja auch in Israel, die erste Sühnezeichen-Aktion in Israel fand 1961 statt, nach Abschluss des Eichmann-Prozesses. Wie wurden die Freiwilligen aus Deutschland damals in Jerusalem empfangen?

Nevermann: Im Grunde genommen wurden sie nicht mit dem Eichmann-Syndrom behaftet. Man sagte, es kommen junge Leute, die das Erbe der Väter aufnehmen, und insofern sind sie uns auch willkommen.

March: Also durchaus eine freundliche Begrüßung.

Nevermann: Ja, nun, gemischt. Es gab natürlich ehemalige deutsche Juden, die sehr skeptisch waren, dass Deutsche nach Israel kamen, aber in derselben Gruppe gab es natürlich auch wieder Leute, die sagten, wie schön, dass es jetzt wieder anders wird.

March: Aber welche Rolle hat die Aktion Sühnezeichen bei der Versöhnung mit Israel gespielt? Sie waren da ja Pioniere.

Nevermann: Ja, wie überall. Es scheiden sich die Geister. Es sind einige dafür, einige sind dagegen, und auf diese Weise kommt man so langsam voran. Mit der Zeit sagen die Leute, aha, ein anderes Deutschland, eine andere Generation, und dann öffnen sich auch Türen. Und man kann wirklich sagen, es ist eigentlich viel besser gegangen in Israel, als wir geglaubt haben, dass es viel schwieriger sein würde. Aber es ist doch gutgegangen, und das spricht eigentlich auch für Israel, dass sie auch gut unterscheiden konnten zwischen dem Nazi-Regime und einer neuen Generation, die jetzt das Erbe der Väter, wie wir gesagt haben, auf sich genommen hat.

March: Inzwischen sind es ja die Enkel der Täter, …

Nevermann: Ja, inzwischen sind es die Enkel!

March: … die sich als Freiwillige melden für die Aktion Sühnezeichen. Wie wichtig ist es denn, dass sie auch weiterhin die Verantwortung übernehmen?

Nevermann: Inzwischen ist es ja zu einem internationalen, ökumenischen Werk geworden. Es schließen sich Leute, aus den Leuten, die wir zunächst um Entschuldigung gebeten haben für das, was im Krieg passiert ist, schließen sich heute bei Sühnezeichen an und machen mit. Es ist sehr interessant, beispielsweise im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen arbeiten norwegische Freiwillige von Sühnezeichen, und in Dachau arbeiten Freiwillige aus Russland und aus Polen. Inzwischen hat sich die Aktion Sühnezeichen so internationalisiert, das ursprüngliche Anliegen der Sühne nicht mehr so im Vordergrund steht, es stehen mehr Friedensdienste im Vordergrund, aber der Name "Sühnezeichen", der wird doch bewahrt, weil man daran auch immer erkennen kann, woher kommen wir eigentlich? Was ist eigentlich unser Ursprungsanliegen? Und wie hat sich daraus, aus diesem Sühnegedanken, der Friedensdienstgedanke entwickelt?

March: Welche Kernaufgaben sehen Sie denn für die Aktion Sühnezeichen in Zukunft?

Nevermann: In den sozialen Diensten, vor allen Dingen auch immer noch bei den europäischen Juden, bei den alten Leuten, die Hilfe brauchen, auch ganz persönliche Hilfe. Wir sehen das Anliegen immer noch im Anschluss an den Sühnezeichen-Gedanken bei den Schwachsinnigen, bei den Behinderten, geistig behinderten Menschen und bei den Randgruppen.