Im Banne Raffaels

Von Rudolf Schmitz · 06.11.2012
Raffael galt lange Zeit als der größte aller Maler. Er hat die Stanzen im Vatikan gemalt, war sogar Bauleiter des Petersdoms. Im Frankfurter Städel werden nun seine Zeichnungen gezeigt. Sie verdeutlichen, wie akribisch Raffael sich mit der menschlichen Anatomie beschäftigt hat.
Kaum zu glauben: Dies ist die erste Ausstellung in Deutschland, die Raffael als Zeichner präsentiert. 48 Blätter sind zu sehen, nicht weniger als elf davon stammen aus der Sammlung des Städel Museums. Denn, was kaum jemand weiß:

"In Deutschland ist das Städel die Sammlung mit den meisten und auch den bedeutendsten Zeichnungen Raffaels."

Gemeinsam mit Joachim Jacoby hat Martin Sonnabend diese Ausstellung kuratiert. Sie präsentiert den Meister der italienischen Hochrenaissance vor grünblauen Wänden, feierlich und erwartungsvoll. Es geht darum zu zeigen, wie Raffael seine Bilderzählungen entwickelt, wie er den Eindruck von Lebendigkeit erzielt, wie er seine Bilder "zum Laufen bringt":

"Raffael ist ein Künstler, der auf der einen Seite ungeheuer aufnahmefähig war, er ist jünger als Michelangelo und Leonardo, aber er beobachtet diese Künstler, er nimmt auf, was sie ihm bieten können, er lernt von ihnen, und gleichzeitig fügt er das Ganze zu etwas sehr Eigenem zusammen. Und Raffaels Fähigkeit liegt darin, dass er einen sehr starken Sinn und ein gutes Auge für menschliches Verhalten hatte, für menschliches Wesen, und für das menschliche Miteinander Umgehen und das bringt er in seine Kompositionen mit rein."

Auftakt der Ausstellung sind frühe Darstellungen der Muttergottes mit dem Kind. Da ist zu erkennen, wie Raffael mit dem Licht, mit Volumen experimentiert, wie er das natürliche Verhältnis von Mutter und Kind herausarbeitet. Vom Städel Museum stammt eine schwungvolle Kohlezeichnung Raffaels, die man auf der Rückseite einer Kopie entdeckte. Sie nimmt bereits die Komposition der Sixtinischen Madonna vorweg.

"Das Faszinierende daran ist, mit welcher Geschwindigkeit, mit welcher Sicherheit, mit welchem Abstraktionsvermögen er diese Komposition, diese Idee von Mutter und Kind, wie sie einander umfassen, wie die Gottesmutter auf den Wolken nach vorne schreitet, von Putten umgeben ist und so weiter wie er das mit ganz wenigen Strichen aufs Papier bringt und zwar so, dass man, wenn man sich ein wenig rein vertieft, im Grunde schon alles sieht."

1508, mit 25 Jahren, wird Raffael von Papst Julius II nach Rom gerufen, um die Stanzen des Vatikans auszumalen, unter anderem mit der "Disputa", einem Fresko zur Theologie. Hierzu gibt es eine großartige Federzeichnung, ebenfalls aus dem Städel Museum. Sie zeigt die Figurenentwicklung in Form von männlichen Akten. Wenn Raffaels Bilder bewegt und lebendig wirken, so verdankt sich das einem akribischen Studium der menschlichen Anatomie:
"Er lässt seine Studiogesellen posieren, macht Aktstudien von denen, fügt sie zum Kompositionen zusammen, um dafür zu sorgen, dass die Anatomie korrekt ist, dass aus der Anatomie die Bewegung heraus stimmt, so dass das möglichst lebendig aussieht, möglichst wirklichkeitsnah, also hier wird die Wirklichkeitsnähe nicht vorgetäuscht mit irgendeinem Trick, hier wird sie von Innen heraus entwickelt und gefunden und zum großen Ganzen zusammengefügt."

Für die Zeitgenossen Raffaels muss das eine geradezu filmische Seherfahrung gewesen sein. Und so vermittelt diese sorgfältige und angenehm seriöse Ausstellung zugleich den Eindruck, 500 Jahre alte Storyboards zu präsentieren. In Seitenräumen werden Reproduktionen der Fresken gezeigt, die Raffael mit seinen Zeichnungen vorbereitete. Und da ist dann zu bemerken, wie sicher dieser Künstler schon im Moment der Zeichnung seine Kompositionsideen verfolgte. Wenn man die Studie des Diogenes sieht, dieses Philosophenfreak aus der "Schule von Athen", der lässig hin gelagert ist, dann entdeckt man exakt diese Haltung in der Reproduktion des Freskos.

"Und um das vorzubereiten, bittet er einen Werkstattmitarbeiter sich so hinzusetzen, und zwar nackt, bis auf die Unterhose nackt, sieht man sehr schön auf der Zeichnung, und zwar genau in der Haltung des Diogenes, und das hält er dann mit Silberstift fest, und das geschieht auf eine lockere, zügige, sehr sichere Weise, diese Zeichnung lebt und atmet ... "

Genau das zeigt die Frankfurter Ausstellung: wie sehr bei Raffael alles lebt und atmet. Zeichnungsausstellungen sind für das Publikum nicht immer leicht. Das Städel-Museum gibt Hilfestellung. In zwei abgetrennten Kabinetträumen gibt es Filme zur Zeichentechnik und Figurenentwicklung bei Raffael. Ein angenehm dezentes Angebot zur Schulung des Sehens. Um die Ausstellung dann wirklich genießen zu können.

Link zur Ausstellung:

Raffael-Ausstellung in Frankfurt (2012/2013)
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