Im Bann des Alten Testaments

Von Tobias Wenzel · 26.12.2007
Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård hat mit dem Roman "Alles hat seine Zeit" ein fulminantes Buch über das Alte Testament geschrieben. "Weltliteratur", jubelten Literaturkritiker in Skandinavien. Jetzt liegt der Roman auf Deutsch vor.
Klassische Musik

Karl Ove Knausgård: "Ich erinnere mich daran, wie in der Schule die biblischen Geschichten einen unglaublichen Eindruck auf uns sieben- oder achtjährige Kinder machten."

Karl Ove Knausgård, ein schlanker Mann mit stark ausgeprägten Wangenknochen und schulterlangen, grau melierten Haaren, lehnt sich zurück in das Sofa einer Frankfurter Hotelbar. So stark, wie das Interesse an der Bibel in der Schulzeit war, so schnell war es auch wieder verschwunden. Erst mit knapp 30 Jahren kam es zurück, als der Norweger gerade eine Kurzgeschichte über Engel schrieb. Um zu recherchieren las er im Alten Testament und kam nicht mehr davon los:

Karl Ove Knausgård: ""Das alte Testament zieht mich regelrecht an. Einige Leute fragen mich: Aber was ist mit der Liebe und dem Neuen Testament? Aber die Geschichten des Alten Testaments sind doch so grundlegend. Die Geschichte von Kain und Abel, das sind sechs, sieben Sätze in der Bibel, aber da ist alles drin enthalten. Selbst wenn ich 500 Seiten über Kain und Abel geschrieben hätte, wäre meine Geschichte immer noch kleiner als die Passage aus der Bibel. Das ist seltsam."

Der 39-jährige Karl Ove Knausgård blickt mit seinen hellblauen Augen sein Gegenüber ratlos an. Die Kraft der biblischen Sätze, der Geschichten vom Sündenfall, von der Arche Noah und eben Kain und Abel - all das lässt den Schriftsteller staunen.

Ebenso wenig fassen kann Karl Ove Knausgård, dass er "Alles hat seine Zeit" geschrieben hat, einen 600-Seiten-Roman über das Alte Testament und zugleich eine Geschichte der Engel. Sechs Jahre hat er über das Buch nachgedacht, in nur 6 Wochen hat er es niedergeschrieben. Wie in einem Rausch. Seine Frau, eine Dichterin, war nicht minder verwundert:

Karl Ove Knausgård: "Mit einer Bankangestellten würde eine Beziehung wohl leichter sein. Es ist zwar einerseits sehr schön, mit einer Schriftstellerin zusammenzuleben, aber manchmal auch sehr schwer. Schließlich sind die Rollen nicht klar verteilt. Sie liest meine Texte, ich ihre, und wir diskutieren und streiten darüber. Da muss ich durchaus mal richtig Kritik einstecken. Und dann frage ich mich: Hat sie recht? Aber ich vertraue ihr. Sie hat ein großes Gespür für Literatur."

Mit ihr und drei kleinen Kindern lebt Karl Ove Knausgård seit einem Jahr in Malmö. Wenn seine Kinder groß genug sind, wird er ihnen aus der Bibel vorlesen, um sie für die Geschichten darin zu begeistern. So wie Knausgård Großeltern ihn einst für Literatur begeisterten:

"Ich sprach mit meinem Großvater über Knut Hamsun. Hamsun war sein Lieblingsautor. Meine Großmutter war sehr krank und konnte kaum mehr sprechen. Ich sah aber, dass sie ihre Lippen bewegte. Also habe ich mein Ohr an ihren Mund gelegt und hörte sie flüstern: "Duun, Duun, Duun!" Sie meinte Olav Duun, einen anderen großen norwegischen Autor der Zeit, ihren Lieblingsautor. Unser Haus war immer von Literatur erfüllt."

Und das umso mehr, als auch ein Onkel Karl Ove Knausgårds Dichter ist. Als sich Karl Ove Knausgårds Eltern trennten, sie eine Krankenschwester, er ein Lehrer, zog Karl Ove mit seiner Mutter vom Süden in den Westen Norwegens. Das Umziehen ist der 1968 geborene Schriftsteller seitdem gewohnt. Er lebte später in Island, England und Schweden, lange ohne das zu tun, was er eigentlich wollte: schreiben.

Karl Ove Knausgård: "Ich habe meinen ersten Roman mit 10 Jahren geschrieben, 20 Seiten über Segelschiffe im 18. Jahrhundert. Mein Bruder meinte, das sei nicht gut, man müsse über die Jetztzeit schreiben. Schon als Kind wollte ich ein Schriftsteller werden. Ich las damals unendlich viel. Mir erscheint die Grenze zwischen Lesen und Schreiben als nicht so groß. Wenn ich ein richtig gutes Buch lese, empfinde ich dasselbe wie beim Schreiben."

Und wenn er die Bibel liest, was empfindet er da? Vielleicht so etwas wie Glauben an Gott? Karl Ove Knausgård zögert, sieht auf seine Kaffeetasse und hebt dann wieder seinen Blick:

Karl Ove Knausgård: "Nein. Zumindest nicht im christlichen Sinn. Ich möchte aber diesen Wandel verstehen, den Wandel von einer Welt, in der alle an Gott glaubten, zu einer Welt, in der Gott nur noch für wenige von uns existiert. Was ist da passiert? Ist diese Welt also gar keine Welt mehr?"