Im Angesicht der Gewalt

06.03.2012
London, Manchester, Glasgow: Das sind die Brennpunkte verheerender Gang-Gewalt. In "The Hood" besichtigt der Reporter Gavin Knight drei Kriegsgebiete der zivilisierten Welt und berichtet von Drogenkurieren und einem fanatischen Mafia-Jäger.
Wenn Troll einen seiner Drogenkuriere bestrafen will, steckt er ihn in einen Fahrstuhl, gemeinsam mit einem Pitbull. Fünfzehn Stockwerke später hat der Dealer begriffen, dass mit dem 14-Jährigen aus Somalia nicht zu spaßen ist.

Troll, der ehemalige Kindersoldat, ist eine der Hauptfiguren aus Gavin Knights Erzählungsband "The Hood". Drei Prosastücke, die von Gang-Kriminalität in England und Schottland handeln, geschrieben von einem Experten: Knight ist Reporter, er arbeitet für den "Guardian", "The Times" und "Newsweek"; sein Hauptinteresse gilt den Jugendlichen, die sich in Banden organisieren und ganze Stadtteile terrorisieren. Für das Buch wertete er Hunderte Stunden Interviewmaterial aus und übersetzte die Schilderungen realer Verbrechen in ein literarisches Tableau urbaner Gewalt.

"The Hood" ist Faction, eine Zwitterform aus Journalismus und Genreprosa, dramaturgisch exzellent gestaltet und dabei von dokumentarischer Präzision. Knight begleitete Polizeieinheiten bei ihren Einsätzen, freundete sich mit einem Undercover-Ermittler an. Der lieferte die Vorlage für Detective Anders Svensson aus der Manchester-Erzählung: Zwölf Jahre lang verfolgt dieser Beamte den Drogenbaron Merlin und seinen Auftragskiller; am Ende ist die Jagd zur Manie geworden, die alles – Privatleben und Gesundheit des Polizisten – zerstört.

Trolls Geschichte spielt in East London, sie ist das Porträt einer Teenagergeneration, die Drogen und Gewalt in eine Parallelwelt abgedrängt haben. Dort fungieren Gangs als Familienersatz und Mafiosi als Vaterfiguren, weil die wirklichen Väter tot sind oder im Gefängnis sitzen. Die Rekrutierungsmaßnahmen der Gangster, ihre Methoden, Heranwachsende einzuspannen für den blutigen Verteilungskampf der Straße, das kennt man in dieser Form vor allem aus der Fernsehreihe "The Wire". Knight wird entsprechend mit David Simon verglichen, der ebenfalls als Reporter arbeitete und mit der Serie die große Verfallsgeschichte der Post-Reagan-Ära in den USA geschrieben hat.

In Manchester zitierten Gangmitglieder Dialogzeilen aus "The Wire", berichtet Knight in einem Interview. "Sie erklärten, sie würden die Serie schauen, um von ihr zu lernen." So schließt sich ein Kreis zwischen der realen Misere und ihrer popkulturellen Verwertung.

"The Hood" ist jedoch kein voyeuristischer Blick ins Ghettoelend. Der Autor setzt seine Mittel sparsam ein, verzichtet auf gefällige Zuspitzungen, lässt romantische oder komische Motive außen vor.

In der Glasgow-Erzählung begleitet man die Polizeianalystin Katryn McClusky bei der Einrichtung eines neuen Präventionssystems: Die Täter werden mit den Hinterbliebenen ihrer Opfer konfrontiert, müssen sich deren Leid und Kummer stellen. "Face-to Face Call" heißt die Methode, und ihre moralische Wucht erschüttert auch den Leser: Er wird Zeuge einer gesellschaftlichen Not, die nicht irgendwo da draußen, in einem Dritte-Welt-Land oder einem maroden Juntastaat existiert, sondern vor der eigenen Haustür, im Herzen der westlichen zivilisierten Welt.

Besprochen von Daniel Haas

Gavin Knight: "The Hood"
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Ullstein Verlag, Berlin 2012
289 Seiten, 14,99 Euro