Igor Levit spielt Beethoven

Ein Klassik-Star in den Popcharts

04:27 Minuten
Porträt des Pianisten Igor Levit
Der Pianist Igor Levit ist ein Künstler, der es weiß, die sozialen Medien zu nutzen. Seine Kunst sollte man deshalb aber nicht unterschätzen. © Sony Music/Felix Broede
Von Uwe Friedrich · 23.09.2019
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Kaum ist die CD-Box mit Beethovens 32 Klaviersonaten auf dem Markt, landet sie direkt auf Platz 34 der deutschen Longplay-Charts. Damit schafft es der Pianist Igor Levit schon zum dritten Mal in die Popcharts. Was steckt hinter diesem Erfolg?
Marketingchefs der großen Plattenfirmen setzten lange auf Klassikvermarktung nach Popvorbild mit möglichst magazintauglicher Oberfläche, um die Verkaufszahlen zu steigern - mit bescheidenem Erfolg. Jetzt schafft es der Pianist Igor Levit schon zum dritten Mal in die Popcharts - nur mit seiner Musik. Erstaunlich.

Virtuose Selbstvermarktung auf Twitter

Wobei, nur mit seiner Musik stimmt natürlich nicht ganz. 23.300 Follower hat Igor Levit auf Twitter. Die Gesetze der Selbstvermarktung beherrscht er offenbar genauso virtuos wie sein Instrument. Wie viele seiner 23.300-Twitterfollower auch die neun CDs mit sämtlichen Beethovensonaten gekauft haben, wissen wir nicht. Jedenfalls findet er auch außerhalb der zwitschernden Filterblase ausreichend viele Fans, um seine Box in den Verkaufscharts zwischen die Alben "The Throne Within" und "Wave" zu schieben.
Das kann nicht nur am drohenden Beethoven-Jubiläum 2020 liegen oder daran, dass die "Mondscheinsonate" dabei ist. Und schon gar nicht an ein paar lustigen oder politischen Meinungsäußerungen, die ihm übrigens auch immer wieder Anfeindungen einbringen, wenn der einstige Kontingentflüchtling aus Russland sich vehement für eine liberale Gesellschaft einsetzt und engstirnigen Nationalisten dankenswert offen widerspricht. Das alles nehmen seine Fans sicher gerne mit, aber vor allem ist Igor Levit ein sehr selbstbewusster Künstler, der neugierig macht auf das, was er mit seiner Musik zu sagen hat.

Beethoven vom Sockel geholt

Sogar zu den vielleicht sogar schon zu oft aufgenommenen 32 Klaviersonaten Beethovens fällt ihm noch etwas Persönliches ein. Beethoven war nämlich nicht nur ein Erneuerer des Klavierspiels, ein musikalischer Grenzüberschreiter, ein Genie, sondern auch ein Einzelgänger und Sonderling, Alkoholiker mit gewöhnungsbedürftigem Sozialverhalten.
Auf den Sockel gehoben hat ihn erst das Bürgertum des späteren 19. Jahrhunderts, und da holt Igor Levit ihn nun wieder runter. Levit ist nicht der erste, der das erfolgreich macht, und das ist auch nicht sein vorrangiges Ziel. Vielmehr befragt er die kleinen schwarzen Punkte auf dem Notenpapier, ganz egal von welchem Komponisten, was sie ihm, und damit uns heute noch zu sagen haben. Das können auch andere Pianisten, klar. Hinter dem Erfolg von Igor Levit steht der Marketingapparat einer großen Plattenfirma, auch klar. Es gibt andere Klassikkünstler, deren Aufnahmen sich verkaufen wie geschnitten Brot, bei denen man ein großes Fragezeichen machen kann in Sachen künstlerischer Integrität, müssen wir nicht drüber reden.

Hoffnungsträger für den Klassikmarkt

Das ist aber das Erstaunliche an Igor Levits Erfolg: Seine Ernsthaftigkeit, seine Bedeutung als Künstler sind über jeden Zweifel erhaben. Wenn sich das nun rumspricht und so viele Menschen neugierig sind auf das neue Album eines Stars, in diesem Fall eines Pianisten, ist das ein Grund zur Freude. Kulturpessimistisch rumnörgeln können wir ein andermal.
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