IG Metall und die 28-Stunden-Woche

Mehr Flexibilität, mehr Freizeit

Eine Herbstszene im Wald.
28 Stunden pro Woche arbeiten, da bleibt mehr Zeit für die Familie. © Unsplash/Andrew Neel
Von Paul Vorreiter · 15.11.2017
Es hat Jahre gedauert, bis die IG Metall die 35-Stunden-Woche durchgesetzt hat. Nun geht sie einen Schritt weiter: Für die kommende Tarifrunde verlangt sie einen zweijährigen Anspruch auf 28 Stunden pro Woche. Eine Forderung, die für die Arbeitgeber an der Realität vorbeigeht.
Geschäftiges Treiben in einem kleinen Park im Süden von Berlin. Mitglieder des Schwimmvereins Friesen harken an diesem Herbsttag das Laub um eine Mühle herum. In vier, fünf Metern Höhe – auf der Balustrade des Gebäudes – beobachtet eine sportliche Frau, wie die Arbeit vorangeht:
"Ja, das ist unsere wunderschöne Mühle, 126 Jahre alt", sagt Stefanie Siegmund stolz und öffnet die Tür ins oberste Stockwerk der Mühle, in dem das Geschäftsbüro des Schwimmvereins ist. Die 41-jährige Hobbytriathletin verbringt viel Zeit in ihren Verein. Zeit, die knapp ist, wenn man nebenbei noch Projektingenieurin beim Technologie-Konzern "General Electrics" ist – und Betriebsrätin der IG Metall.
Eine Forderung ihrer Gewerkschaft für diese Tarifrunde: Die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie sollen für zwei Jahre das Recht erhalten, ihre Arbeitszeit auf 28 Stunden pro Woche zu reduzieren, mit der Garantie, danach wieder Vollzeit einsteigen zu können.
"General Electrics" zeigt sich in Sachen Arbeitszeit schon jetzt flexibel, schildert Siegmund. Die Ingenieure arbeiten in Gleitzeit, sieben Stunden in der Regel, bei einer Rahmenarbeitszeit von 6 bis 20 Uhr. Die Arbeitszeit drosseln? Einige ihrer Kollegen nutzten das bereits:
"Gerade von den Männern ist das immer mehr, die aufgrund ihrer Eltern oder Kinder sagen, sie wollen jetzt befristet 'ne verkürzte Arbeitszeit haben meistens also meistens mit ner Vier-Tage-Woche. Es nehmen halt hauptsächlich die Besserverdienenden den Anspruch, also die Mitarbeiter, die sich das leisten können."

Reduzierung mit Teillohnausgleich

Die IG-Metall will in der Tarifrunde durchsetzen, dass sich mehr Beschäftigte eine reduzierte Vollzeit leisten können. Die Gewerkschaft fordert für Beschäftigte, die Kinder oder Angehörige pflegen oder im Schichtbetrieb arbeiten, einen Teillohnausgleich.
Schon seit 2013 diskutiert die Gewerkschaft verstärkt über das Thema Arbeitszeit. In einer eigenen Umfrage in diesem Jahr unter gut 680.000 Beschäftigten stellte sich heraus, dass sich knapp 70 Prozent der Befragten in Westdeutschland und etwa 80 Prozent in Ostdeutschland wünschen, ihre tatsächliche Arbeitszeit herunterzufahren. Das heißt, sie würden vor allem gerne die im Westen vertraglich geregelte 35-Stunden-Woche nicht überschreiten. Einige wenige - zwischen 18 und 7 Prozent in West- und Ostdeutschland – wünschen sich eine noch kürzere Arbeitszeit.
Olivier Höbel, Leiter des IG-Metall Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen hat in die Zentrale nach Berlin-Kreuzberg eingeladen, um für die Tarifforderung zu werben: Ihm fällt mit Blick auf Umbrüche in der Arbeitswelt noch ein anderes Argument ein, das für die 28-Stunden-Option spricht:
"Es ist aber auch klar, dass die Arbeit der Zukunft nicht mehr einschließlich von einheitlichen Zeiten geprägt sein wird. Viele sind mobil unterwegs, machen einen Teil ihrer Arbeit übers Smartphone und insofern ist das Bild einer großen, gleichförmigen Industriearbeiterschaft morgen gar nicht mehr vorstellbar."
Ein Jahr Sabatical, um in Australien zu surfen; Vier-Tagewoche, um den Verein zu unterstützen, oder früher Feierabend machen, um die Kinder aus der Kita zu holen. Wäre die Idee nicht auch im Sinne der jüngeren Generation, die voraussichtlich länger arbeiten wird bis zur Rente und dann wenigstens von kürzeren Wochenarbeitszeiten profitieren sollte? Trifft die IG-Metall-Forderung also den Zeitgeist einer, neuen flexibilisierten Arbeitswelt? Flexibilität – das wünschen sich ja auch die Arbeitgeber. Allerdings verstehen sie darunter etwas anderes.

Sorgen bei den Unternehmen

Im Haus der Wirtschaft in Berlin-Charlottenburg ist man mit Blick auf die Tarifrunde besorgt. Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg:
"Wir haben mal ausgerechnet, dass etwa 60 Prozent der Arbeitnehmer einen solchen Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit in Anspruch nehmen könnte, das sind über zwei Millionen Beschäftigte und das ist einer Zeit des permanenten Fachkräftemangels. Es soll ja ein individueller Anspruch sein, der durchgesetzt werden kann, ohne die Berücksichtigung betrieblicher Belange. Dass das nicht gehen kann in einer internationalen Wettbewerbswirtschaft, wo wir auf Flexibilität angewiesen sind, das ist meiner Ansicht nach evident."
Arbeitnehmer haben bereits seit Jahren einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit; in Betrieben ab 15 Mitarbeitern, denen sie mindestens sechs Monate angehören. Allerdings: Wer erstmal in Teilzeit ist, hat kein Recht darauf, automatisch in Vollzeit zurückzukehren.
Einen entsprechenden Gesetzesvorschlag konnte die ehemalige Arbeitsministerin Nahles in der Großen Koalition gegen den Willen der Union nicht durchsetzen. In der neuen möglichen künftigen Regierung aus CDU/CSU, FDP und Grünen ist eine solche Idee auch wenig aussichtsreich. FDP und CDU/CSU diskutieren angeregt durch die Wirtschaftsweisen gerade vielmehr, ob Arbeitszeitgesetze gelockert werden sollten. Die Arbeitgeber weisen darauf hin, dass Unternehmen schon jetzt flexible Lösungen anböten. Christian Amsinck:
"Jeder gerade mittelständische Unternehmer mit 50, 70, 100 Beschäftigten wird darauf achten, dass er seine Kernmannschaft beieinander hält: das bedeutet, dass man auf die Belange der Mitarbeiter irgendwie darauf eingeht. Das sind dann Gespräche zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern, wie kann man das einrichten? ist es zeitlich möglich? Ist es im Schichtsystem verankerbar und so weiter? So stelle ich mir das vor".
Wer sich das wohl nicht so vorstellt, ist Stefanie Siegmund: die Projektingenieurin und Betriebsrätin bei GE. In der Adlermühle in Berlin-Mariendorf verrät die Hobbysportlerin, dass sie gerade ein etwa 150-Seiten langes Buch zur Geschichte ihres Schwimmvereins schreibt. Auf 28 Stunden runtergehen mit der Garantie, danach wieder voll einzusteigen? Für sie eine ganz dringend notwendige Option:
"Ich persönlich würde es wahrscheinlich sofort machen und würde mehr Zeit investieren, um an diesem Buch zu schreiben. Ziel ist es 2020 mit dem Buch fertig zu sein, denn dann feiert der Verein sein 125-jähriges Bestehen."
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