IG Metall-Chef wirft EU "blanken Neoliberalismus" vor

Berthold Huber im Gespräch mit Hanns Ostermann · 12.09.2008
IG Metall-Chef Berthold Huber hat der EU-Kommission aufgrund der Klage gegen das neue VW-Gesetz einen "blanken Neoliberalismus" vorgeworfen. In Europa gelte nur noch der freie Kapitalverkehr, Arbeitnehmerrechte sollten dagegen offensichtlich abgeschafft werden, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende. Dies widerspreche dem Gedanken der Gründungsväter von Europa.
Hanns Ostermann: In Wolfsburg werden nicht nur Autos gebaut; bei Volkswagen wird auch gepokert. Es geht um Macht und Einfluss und um Porsche und nicht zuletzt um Arbeitnehmerrechte. Die IG Metall hat deswegen heute zu einer Großdemonstration aufgerufen. Und noch etwas spielt eine Rolle: der Sportwagenhersteller will noch in diesem Jahr seinen Anteil bei VW auf über 50 Prozent erhöhen. Die Frage ist nur: Wie sicher sitzt Porsche-Chef Wendelin Wiedeking auf seinem Stuhl? Die Chemie zwischen ihm und einem der Eigentümer, Ferdinand Piech, scheint nicht mehr zu stimmen, so jedenfalls der Eindruck. Wie sieht man das bei den Porsche-Mitarbeitern? Wie ist dort die Stimmung?

Die IG Metall in Baden-Württemberg hält sich bedeckt. Dafür redet IG Metall-Chef Berthold Huber jetzt um 7:50 Uhr bei uns im Deutschlandradio Kultur und später auf der Großdemonstration. Guten Morgen, Herr Huber.

Berthold Huber: Guten Morgen, Herr Ostermann.

Ostermann: Gibt es hier einen Interessenkonflikt zwischen den Gewerkschaftern in Baden-Württemberg und Niedersachsen? Warum hält man sich in Stuttgart so bedeckt?

Huber: Nein. Einen Interessenkonflikt gibt es da nicht. Beide, in Stuttgart wie in Wolfsburg, sind für den Erhalt des Volkswagengesetzes. Es wird ja auch gerne um Feindschaften und Gegnerschaft spekuliert. Es gibt ein paar Differenzen in der Frage der zukünftigen Mitbestimmungsvereinbarung, und da gibt es Differenzen und die kann man unter Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern lösen. Das dauert halt im Moment noch.

Ostermann: Wen werden Sie heute mehr aufs Korn nehmen, den Brüsseler Binnenmarkt-Kommissar oder auch Porsche, das gegen das eher arbeitnehmerfreundliche VW-Gesetz ist?

Huber: In erster Linie werde ich für den Erhalt des Volkswagengesetzes plädieren. Dieses Gesetz hat ja eine Historie. Volkswagen ist entstanden aus den geraubten Gewerkschaftsvermögen, die die Nazis bei der Enteignung der Gewerkschaften nach '33 sich unter den Nagel gerissen haben. Das Gründungskapital von Volkswagen ist aus diesen Geldern, und darum geht’s doch. Das ist doch der Kern, und es geht nicht um ein paar Streitigkeiten, um ein paar Unstimmigkeiten in ein paar Paragrafen.

Ostermann: Das VW-Gesetz sieht unter anderem vor, dass die Arbeitnehmer ihr Veto einlegen können bei möglichen Fabrikschließungen. Ohne sie wäre eine notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit nicht zu erreichen. Stehen sich hier nicht aber in der Tat zwei zentrale Werte unvereinbar gegenüber, auf der einen Seite Regeln der Kapitalverkehrsfreiheit - so jedenfalls argumentiert Brüssel – und auf der anderen Seite die Interessen der Beschäftigten?

Huber: Volkswagen hat sich nach 1945 zu einem Welt-Player entwickelt, trotz seiner schwierigen Ausgangssituation. Volkswagen ist sozusagen Synonym für ein Wirtschaftswunder. Diese zwei Drittel haben immer funktioniert, und ich glaube, wir brauchen mehr VW-Gesetz. Denken Sie an die radikale Schließung, rücksichtslose Schließung von Nokia in Bochum. Denken Sie an Elektrolux in Nürnberg, wo ausschließlich aus Profitgründen gut gehende, rentable Unternehmen, Betriebe geschlossen worden sind - zulasten der Beschäftigung und der Beschäftigten.

Was die Europäische Kommission hier praktiziert, ist blanker Neoliberalismus. Es gilt nur eines in Europa: der freie Kapitalverkehr. Arbeitnehmerrechte, auch wenn sie national gesichert sind, sollen ganz offensichtlich abgeschafft werden. Das kann nicht der Gedanke eines vereinigten Europas sein. Das war niemals jedenfalls der Gedanke der Gründerväter von Europa. Insofern wird die IG Metall auch nicht davor zurückschrecken, nach Brüssel zu marschieren, weil ganz offensichtlich dort Leute sitzen, die außer dem freien Kapitalverkehr keine Rücksichtnahme auf die Interessen der Menschen kennen.

Ostermann: Die Frage ist ja trotzdem, welche Konsequenzen auch politischer Art zu ziehen sind. Erhoffen Sie sich da von der Bundesregierung eine entsprechende Unterstützung?

Huber: Ja, natürlich. Die Bundesregierung hat ja das VW-Gesetz überarbeitet aufgrund bestimmter Mängel, die der Europäische Gerichtshof formuliert hat. Das ist geändert worden und die Bundesregierung steht hinter dem Volkswagengesetz. Das beginnt beim Ministerpräsidenten hier bis bei der Bundeskanzlerin über die Frau Justizminister. Also insofern ist das eine eindeutige Haltung der Bundesregierung.

Ostermann: Und der Standort Deutschland - auch so argumentiert ja immer wieder Brüssel -, könnte der nicht in der Tat für ausländische Investoren unter diesen Gesichtspunkten uninteressant sein?

Huber: Warum? Können Sie mir das sagen?

Ostermann: Unter anderem, weil eine gewisse Planungssicherheit oder eine gewisse Flexibilität eindeutig dadurch beschränkt wird, dass die Mitarbeiter einen so großen Einfluss haben. Ich könnte als Unternehmer nicht so schalten und walten, wie ich wollte.

Huber: Ist das beabsichtigt? Ich dachte immer, wir haben in Deutschland eine soziale Marktwirtschaft.

Ostermann: Sie müssen mich nicht überzeugen. Brüssel ist zu überzeugen.

Huber: Ich will Sie nicht überzeugen. Wir haben in Deutschland eine soziale Marktwirtschaft. Wir haben Mitbestimmungsrechte. Und wem das nicht passt, der soll eben weg bleiben. Das ist doch eine freie Entscheidung, wenn Sie dann das Kapital meinen.

Ostermann: Herr Huber, ich frage mich trotzdem. Wenn Brüssel in die nächste Instanz geht und die Bundesregierung möglicherweise sich so nicht durchsetzen kann, dann kommen ja erhebliche Kosten auf die Bundesrepublik Deutschland zu. Sitzt Brüssel nicht doch möglicherweise am längeren Hebel?

Huber: Das ist durchaus - wie soll ich sagen - zu befürchten. Aber ich denke, Herr Ostermann, man kann erst über diese Dinge reden, wenn man mal die erste Etappe hinter sich gebracht hat. Das ist eine berechtigte Befürchtung und ich kann nur wiederholen: Ja, das ist eine Befürchtung, und die bleibt stehen.

Ostermann: Herr Huber, danke für das Gespräch heute früh. Berthold Huber, der IG Metall-Chef war das im Deutschlandradio Kultur.