"Ich sehe aus wie ein 30-Jähriger"

Moderation: Stephan Karkowsky · 21.06.2013
Sein Beruf sei ein "Hochleistungssport" - der Schauspieler müsse sich das Leben eines anderen aneignen, sagt Schauspieler Klaus Maria Brandauer, der eigentlich zum Geburtstag vor dem Rummel flüchten wollte. Er "schaue blendend aus", was er aber nur im "Hörfunkinterview" sagen könne.
Stephan Karkowsky: Im Luftkurort Altausee in Österreich, da gibt es eine Dirndlschneiderin namens Vroni Brandauer, und die wird gelegentlich gefragt nach möglicher Verwandtschaft zum bekanntesten Sohn des Ortes. Dann sagt sie: "Der Großvater vom Klaus war der Onkel meines Mannes", und weist einem den Weg zum Schneiderwirt, wo der Weltstar Klaus Maria Brandauer womöglich am Stammtisch sitzt. Und angeblich hört man ihn dann schon von Weitem lachen, wie eine Kollegin mal geschrieben hat.

Guten Morgen, Herr Brandauer!

Klaus Maria Brandauer: Guten Morgen!

Karkowsky: An Ihrem Geburtstag morgen Abend sitzen Sie im Wiener Burgtheater auf der Bühne und geben den Krapp aus Becketts "Das letzte Band". Warum sitzen Sie nicht am See und lassen die Beine baumeln?

Brandauer: Das hatte ich eigentlich vor, vielleicht nicht einmal am See, an unserem eigenen, sondern irgendwo ander der See. Aber es ist dann halt anders gekommen, als ich mir das vorgenommen habe. Ich wollte wirklich verschwinden, weil sehr viele Freunde, die auch so einen runden Geburtstag zu feiern hatten oder daran denken, an einem solchen Geburtstag zu sagen, ich verschwinde, weil mir der Rummel zu viel ist.

Karkowsky: Statt also nun zu verschwinden, wie es Ihr ursprünglicher Plan war, haben Sie jetzt einen ganzen Theatersaal voller Geburtstagsgäste. Macht Sie das ein bisschen nervös?

Brandauer: Ich bin nicht nervöser als sonst auch, denn ich möchte schrecklich gern gut sein an einem Abend, wo ich einen großen Autor zu Wort kommen lassen kann, sei es allein oder mit anderen Freunden, Kollegen zusammen. Ich bin immer nervös, weil es ist ja auch Hochleistungssport, was ich mache, das ist ja nicht Textaufsagen, das ist schon eine tolle Geschichte, wenn man es ganz, ganz ernst nimmt, sondern es ist ... Man eignet sich Gedanken, ja, ich würde fast sagen, ein Leben eines anderen an, so weit das geht.

Ich habe mir noch nie eingebildet, dass ich der bin, den ich vorgebe, da zu sein, also ich war noch nie Hamlet oder Wallenstein oder irgendetwas, was ich gespielt habe, so blöd bin ich nicht. Aber ich muss es behaupten können, dass Sie es glauben können, obwohl Sie wissen, dass es nicht stimmt. Das ist eine aufregende Geschichte. Das ist so toll, dass man es sich gar nicht vorstellen kann. Damit verbringe ich meinen 70. Geburtstag und zwar genau in der Minute, in der ich vor 70 Jahren - beinahe hätte ich gesagt 50 Jahren, ich sage zum Beispiel immer, mein Sohn wurde vor zwei Wochen 50 und dann habe ich gesagt, mein Sohn hat heute Geburtstag, ist 50, und ich werde 30 -, also genau in dieser Minute, dreiviertel neun, oder wie heißt das in Deutschland, Viertel vor neun, bin ich auf dem Burgtheater auf der Bühne, und 70 Jahre vorher bin ich im Krankenhaus Badersee geboren.

Karkowsky: Wie alt fühlen Sie sich denn eigentlich, Herr Brandauer? Viele von uns haben ja immer diesen komischen Konflikt, wenn sie vor dem Spiegel stehen und sagen, das ist mein Körper - mein Kopf ist eigentlich viel jünger.

Brandauer: Ich sehe aus wie ein 30-Jähriger, ich schaue blendend aus. Es ist fantastisch. Und wissen Sie, warum ich Ihnen das sage? Weil wir ein Hörfunkinterview machen. Wenn wir jetzt zum Beispiel im Fernsehen wären, würde ich diesen Käse nicht erzählen können.

Karkowsky: Okay. Sie haben einmal verraten, dass Sie sich mit 13 bereits den Theatervirus eingefangen haben, als Sie gleich drei Abonnements an verschiedenen Bühnen hatten. Aber was ich nirgendwo lesen konnte, ist: Wie kam es eigentlich dazu? Wer hat das initiiert?

Brandauer: Ich weiß nicht, ich glaube, wahrscheinlich ich selber, indem ich einfach meine Mutti ... das heißt, meine Mutter hat das immer irgendwie gespürt, dass mich das sehr interessiert, lesen und dann Geschichten zu erzählen. Und es wurde auch gefördert durch meinen Vater und meine Mutter, die mir immer Geschichten erzählt haben vor dem Einschlafen.

Und am nächsten Tag haben sie gesagt, jetzt lies mal diese kleine Geschichte und dann musst du sie auch nacherzählen können. Also ich hatte immer irgendwie mit Literatur, mit Geschichten, mit Erzählen, mit Vormachen, Menschen Nachmachen zu tun, und deshalb habe ich ... Ich bin ja aufgewachsen in Deutschland, mein Vater war ja ein deutscher Beamter, und man hat mich sozusagen im Alter von sechs Jahren von diesem herrlichen Altausee weggeholt, eigentlich gestohlen, würde ich sagen, und dann bin ich in Deutschland aufgewachsen, zuerst in Grenzach, alles ist in Baden-Württemberg, also in Baden, muss ich sagen, damals noch, dann im Oberkirch im Schwarzwald.

Und da gab es eben Theater in der Umgebung, zum Beispiel Theater der Stadt Freiburg und das Stadttheater in Baden-Baden und das Badische Staatstheater in Karlsruhe. Und bei diesen drei Theatern hatte ich die Möglichkeit, immer wieder hinzufahren und auch ein Abonnement gehabt.

Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" den Schauspieler Klaus Maria Brandauer, der morgen 70 Jahre alt wird. Campino hat mal gesagt, Sie wären Schauspieler geworden, weil Sie als Kind zu dünne Waden gehabt hätten, um Fußballer zu werden.

Brandauer: Da hat er vollkommen recht. Das ist auch eine Erklärung. Ich hatte wirklich gar keine Waden, und heute auch noch nicht, sondern ich hatte zum Beispiel bei meinem Debut in Tübingen beim Landestheater 1963, da hatte ich mir bei der Trikotagenfabrik in Bruchsal eine Strumpfhose bauen lassen, wo man Waden drin eingebaut hat. Und als ich aufgetreten bin als Claudio in "Maß für Maß", ein Shakespeare-Stück, habe ich gesehen, dass aus reinem Zufall der Waden nicht hinten war, sondern vorne am Schienbein herausgeschaut hat. Der hat recht, der Campino, witzig, wie immer, und ein bisschen ist es auch wahr.

Karkowsky: Und er hat auch darüber gesprochen, dass Sie jemand sind, der sehr treu, nicht nur zu sich selbst, sondern auch zu anderen ist und vor allen Dingen, dass Sie niemals Werbeangebote angenommen hätten. Stimmt das eigentlich wirklich?

Brandauer: Ja, das stimmt. Aber man weiß nie, was noch kommen kann. Wenn es einem einmal so schlimm geht, dass die Familie nicht mehr leben kann, dann werde ich auch Werbung machen. Bevor das nicht der Fall ist, ist es nicht nötig.

Karkowsky: Sie haben an anderer Stelle mal gesagt, Sie leben jeden Tag, als wäre es der vorletzte. Gehören Sie denn zu den Menschen, die wie Luther am letzten Tag noch ein Apfelbäumchen pflanzen würden?

Brandauer: Also ich finde das ja unglaublich, ich möchte mich natürlich nicht da einreihen, das ist Namedropping - Luther, stellen Sie sich das mal vor. Das ist doch eine wichtige Geschichte. Mein Gott! Das ist, wie seine Idee, was ... wie toll das eigentlich so in Mitteleuropa ist, auch durch die zwei Religionen, die aber aus derselben herauskommen, das ist faszinierend.

Vielleicht ist das etwas, warum man hier doch immer wieder trotz aller Katastrophen und Schrecklichkeiten zu einem Ausgleich kommt, weil es hier immer so abwägend ist und wir trotzdem im selben Fahrwasser, aber man hat zwei Möglichkeiten. Das gefällt mir gut. Luther. Was war die Frage?

Karkowsky: Ob Sie am letzten Tag noch ein Bäumchen pflanzen würden, oder würden Sie den letzten Tag auch gerne auf der Bühne verbringen?

Brandauer: Hören Sie zu, das hängt davon ab, wie der letzte Tag aussieht. Wenn ich nichts mehr weiß von mir, dann werde ich wahrscheinlich kein Bäumchen pflanzen. Ich finde das auch zu romantisch. Vielleicht geht es mir so schlecht, dass ich an ein Bäumchen gar nicht denken kann. Aber warum nicht?

In einem Märchen, die ich früher erzählt bekommen habe, ist es nicht schlecht. Kurz vorm Schluss pflanze ich noch ein Bäumchen, das Sie dann, da Sie ja wahrscheinlich viel jünger sind, durch die Frage spüre ich das schon, anschauen können.

Karkowsky: Am Wiener Max-Reinhardt-Seminar, da beschreiben manche Schüler den Schauspielunterricht mit Ihnen als Religionsunterricht. Wie ist das denn umgekehrt? Sie sagen ja manchmal von sich, eigentlich wären Sie jetzt ein alter Sack. Lernen Sie von Ihren Schülern?

Brandauer: Ja, natürlich, ich lerne von allen Menschen, mit denen ich zusammen bin, manchmal gar nichts, aber ich lerne von ihnen, dass man auch, ohne dass man was von sich gibt und dem anderen ein bisschen Luft unter die Flügel bläst, auch leben kann. Ich bin dafür, dass wir im Dialog bleiben, dass wir uns gegenseitig Freude bereiten, dass wir miteinander streiten, dass die Fetzen fliegen, und mit meinen Kindern, wie ich meine Studenten nenne, bin ich irgendwie jung geblieben.

Ich hatte plötzlich ihre Probleme, und weil ich mich auch dafür interessiert habe, ich habe ihre Liebesgeschichten so am Rande mitbekommen, mehr als am Rande, und ich habe sie ein Stück begleitet, und hoffentlich war ich ehrlich zu ihnen, und das habe ich ja auch von den Schülern und den Studenten gefordert: Wir müssen uns ganz ehrlich unterhalten über etwas, was wichtig ist. Es ist möglich, habe ich immer gesagt, wenn die 15 Leute, die genommen wurden von 500 oder mehr, die in der Auswahl waren, es ist möglich, dass wir die 15 besseren weggeschickt haben, denn wir sind nicht im Sport. Im Sport weiß man: Wenn die Uhren stimmen, dann ist der, der am schnellsten ist, der Beste. Das gibt es bei uns nicht.

Bei uns ist es eine unwägbare ... Natürlich kann man viel lernen. Man kann technisches Rüstzeug haben und sich anstrengen. Aber das, was uns ausmacht, ich meine, das Künstlerische, das kann man eigentlich niemandem beibringen, sondern das ist ein Konglomerat aus so vielen Dingen. Und gerade auf der Suche nach dem allen, und wie das zusammenkommt, gewinnt man große Einsichten.

Karkowsky: Und dennoch hat man von Deutschland aus den Eindruck, gerade in den letzten Jahren: Die Österreicher, die können es irgendwie besser, die sind uns mehr als nur eine Nase voraus in Sachen Weltruhm.

Da sind Namen wie Haneke und Waltz ja nur die letzten in einer längeren Reihe. Wie kommt das? Haben Sie eine Erklärung dafür?

Brandauer: Warten Sie ein bisschen, Deutschland wird schon wieder aufholen, das ist überhaupt kein Problem. Es darf sich ja nicht eine Nation, weil zwei, drei Leute gut sind, das halt auf die Fahnen heften. Das ist doch lächerlich. Das haben wir doch länger überwunden. Wir sind doch auf der Welt.

Das sind europäische Künstler, die halt auch international ihren Weg gemacht haben, und das ist sehr, sehr fein. Aber lassen wir das, Deutsche, Österreicher, nein, nein. Das ist selbst im Fußball zu überwinden. Das sagen wir nur, damit es eine Gaudi ist.

Aber kämpfen tun wir da nicht, und da ist es nicht nötig, dass eine ganze Nation dahintersteht. Wir müssen nicht Papst sein. Das muss dann schon derjenige sein, der sagt: Das mache ich auch. Und das ist eine schwere Geschichte. Und dann muss er es eben machen!

Karkowsky: Klaus Maria Brandauer, ich kann aus vollem Herzen sagen, es war mir ein großes Vergnügen!

Brandauer: Mir auch!

Karkowsky: Vielen, vielen Dank! Seinen 70. Geburtstag begeht er morgen Abend auf der Bühne des Burgtheaters in Wien als Krapp in Becketts "Das letzte Band".


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Klaus Maria Brandauer als Jedermann in dem gleichnamigen Theaterstück von Hugo von Hofmannsthal bei den Salzburger Festspielen 1983.
Klaus Maria Brandauer als Jedermann in dem gleichnamigen Theaterstück von Hugo von Hofmannsthal bei den Salzburger Festspielen 1983.© picture alliance / dpa / Istvan Bajzat
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