"Ich möchte in erster Linie spannende Geschichten erzählen"

16.08.2012
In seinen Kriminalromanen lässt Volker Kutscher einen Kommissar im Berlin der 20er- und 30er-Jahre ermitteln. Im Interview spricht der Autor über die neue Popularität von Geschichtskrimis und den schmalen Grat zwischen spannender Fiktion und historischer Exaktheit.
Frank Meyer: Historische Krimis boomen auf dem deutschen Buchmarkt, spätestens seit den "Tannöd"- und "Kalteis"-Bestsellern von Andrea Maria Schenkel. Sehr erfolgreich in diesem Genre ist auch der Kölner Autor Volker Kutscher. Er hat sich für seine historischen Kriminalromane eine besonders schwierige Etappe ausgesucht: das Deutschland der späten 20er- und frühen 30er-Jahre. Seine Romane spielen im Polizeiapparat dieser Zeit – er schildert eindrucksvoll die ambivalente Haltung der Berliner Polizei zum aufkommenden Nationalsozialismus, so stand es in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Heute erscheint der vierte Band von Volker Kutschers Krimireihe, "Die Akte Vaterland" heißt er, und der Autor ist jetzt in Köln für uns im Studio. Seien Sie willkommen, Herr Kutscher!

Volker Kutscher: Ja, guten Tag, Herr Meyer!

Meyer: Warum haben Sie sich denn gerade für diese Zeit entschieden, das Ende der Weimarer Republik, der aufkommende Nationalsozialismus?

Kutscher: Da gibt es eigentlich eine ganze Reihe von Gründen. Erst einmal ist es die Zeit als solche, die ich mag, ihre ganze Kultur, die Autos, die Mode, die Architektur, die Musik, Literatur natürlich auch, also auch all die Dinge, die man so unter dem Stichwort Neue Sachlichkeit zusammenfassen kann. Ja, und dann bin ich ein großer Fan der klassischen amerikanischen Gangstergeschichten, die ebenfalls in dieser Zeit angesiedelt sind. Und so etwas wollte ich auch in Deutschland erzählen, in Berlin. Und da spielen natürlich dann auch die politischen Umstände eine besondere Rolle, weil wir befinden uns auf dem Weg ins Dritte Reich, was allerdings eine Entwicklung ist, die meine Protagonisten noch nicht ahnen.

Meyer: Das ist ja eben das Komplizierte sicherlich auch für Ihre Recherche. Sie begeben sich da auf ein geschichtspolitisch ja auch sehr umkämpftes Feld. Hinein in diese Frage, warum haben die Institutionen der ersten deutschen Republik so versagt, warum hat sich der Nationalsozialismus durchsetzen können. Ist das nicht ziemlich riskant, sich als Krimiautor auf so ein Feld zu begeben?

Kutscher: Ja, ob das riskant ist, das wird sich noch zeigen, denke ich. Ich finde es vor allen Dingen erst einmal interessant, weil die Fragen, die Sie da ansprechen oder die Frage, das ist eben eine Frage, auf die ich auch keine Antwort habe, wie es eben möglich war, dass in einem doch eigentlich zivilisierten Land wie Deutschland sich so ein barbarisches Regime letzten Endes etablieren konnte. Und ja, diese Frage, wie konnten aus braven Familienvätern später Massenmörder werden, das hat ja dann wirklich in den Alltag vieler Familien eingegriffen, und das sind Fragen, die ich mir bislang heute noch nicht beantworten kann, und vielleicht helfen die Romane da ein bisschen.

Meyer: Ja, es gibt in Ihrem neuen Buch eine Schlüsselszene, die zumindest in dieses Phänomen hineinleuchtet, das ist der Tag des sogenannten Preußenschlags – damals hat der Reichskanzler Franz von Papen die preußische Regierung und auch die Polizeiführung abgesetzt. Man erlebt nun in Ihrem Roman mit, wie die Polizeichefs abgeführt werden aus dem Präsidium, von Reichswehrsoldaten abgeführt werden, und ringsherum stehen Hunderte preußische Polizisten, schauen da zu, halten das für ein großes Unrecht, was passiert mit ihren Vorgesetzten, greifen aber nicht ein. Ist das für Sie eine symbolische Szene, auch für das Versagen der preußischen Polizei?

Kutscher: Symbolisch ist mir vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen, es ist eher eine symptomatische Szene, weil der Preußenschlag eines der vielen Ereignisse ist, die den weiteren Verlauf der Geschichte entscheidend bestimmt haben. Also hätten sich die Beamten oder ihre Befehlshaber oder auch die preußische Regierung zur Gegenwehr entschieden, vielleicht wäre das Dritte Reich nie zur Realität geworden, aber höchstwahrscheinlich wäre etwas anderes passiert. Und ich denke, ein Bürgerkrieg in Deutschland wäre sehr wahrscheinlich gewesen, wenn Reichswehr gegen Polizei und umgekehrt gekämpft hätte. Und zur gleichen Zeit – das wissen wir ja nun auch aus den Geschichtsbüchern – hat in Spanien ein Bürgerkrieg getobt, und den haben am Ende die Faschisten gewonnen.

Meyer: Ihre Romanreihe spielt rund um den Polizeikommissar Gereon Rath, vor allem in Berlin, Ihr neuer Band aber, der wandert sozusagen aus nach Ostpreußen, in eine Kleinstadt dort, Treuburg, der Gegensatz zum quirligen Berlin dieser Zeit. In Treuburg, da unterstützt die örtliche Polizei schon ganz offen die SA, der Hass auf die polnische Bevölkerung ringsherum, der vereint die meisten Deutschen in dieser Stadt. Haben Sie diese Szenerie im deutschen Osten mit in Ihr Buch genommen, weil man da schon sehen kann, wohin die Reise für ganz Deutschland gehen wird?

Kutscher: Ich habe mich dafür entschieden, weil die Entwicklung in Ostpreußen, insbesondere in Masuren, eine ganz besonders tragische ist, weil dort eigentlich eine multi-ethnische deutsch-polnische Kultur herrschte, und dennoch haben sich die Masuren schon 1932 ganz enorm für die Nazis begeistert. Man hat da sogar von einer masurischen Erweckung gesprochen, so in diesem typischen Nazideutsch. Und die Masuren, das waren eigentlich polnischstämmige Preußen im Grunde genommen, die einen polnischen Dialekt auch von Haus aus sprachen, aber evangelisch waren und sich aus diesem Grunde auch nie als Polen gefühlt haben, sondern als Preußen, und Angst davor hatten, von dem neuen polnischen Staat verschluckt zu werden.

Man darf eben auch nicht vergessen, dass die polnische Armee damals im Jahr '32 stärker war als die Reichswehr, die ja nur auf 100.000 Mann beschränkt war, und so hatten die Masuren letzten Endes tatsächlich wohl Angst, in einen polnischen Staat zu kommen, den sie gar nicht wollten, und sind entsprechend in die Arme der Nazis geflohen, haben damit aber eigentlich ihre eigene Kultur schon zu Grabe getragen.

Im Dritten Reich begann schon bald eine ganz extreme Germanisierung, und ganz viele schöne Ortsnamen wurden eingedeutscht. Ein paar Dörfer, die in meinem Roman auch vorkommen – Markowsken, ein sehr schöner Name, wie ich finde, das wurde später zu Markau, aus Wielitzken wurde Wallenrode, also ganz fürchterlich germanisierte Namen. Ja, und bekanntlich verlor man dann ja auch den Krieg, und gleich nach dem Krieg setzte dann eine ebenso rabiate Polonisierung ein, und so war vielleicht eine multi-ethnische Möglichkeit der Annäherung von deutscher und polnischer Kultur in diesen Masuren letzten Endes endgültig zerstört.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Autor Volker Kutscher über seinen neuen Kriminalroman "Die Akte Vaterland". Wenn Sie so etwas nun aufgreifen für Ihren Roman, wie Sie es gerade geschildert haben am Beispiel von Masuren, gibt es da nicht eine gewisse Spannung? Einerseits wollen Sie einen spannenden Kriminalroman erzählen, mit der dazugehörigen dichterischen Freiheit, andererseits sind Sie an dieses Korsett der Geschichte gebunden. Wofür entscheiden Sie sich denn im Zweifelsfall, für die Spannung oder für die Exaktheit?

Kutscher: Das ist wirklich eine Gratwanderung letzten Endes immer zwischen der Wahrheit, die der Historiker sucht, und der Lüge, die der Schriftsteller per definitionem ja anwendet, weil er eben Figuren erfindet, die nie gelebt haben, und Geschichten, die sich nie abgespielt haben, aber das ist für mich auch gerade der Reiz, mich mit diesen erfundenen Figuren und Geschichten in einem historisch vorgegebenen Rahmen zu bewegen.

Meyer: Dieses Genre – ich weiß, jeder Kriminalroman ist natürlich auch ein Einzelfall wie jedes Buch, aber es gibt Berührungspunkte zu anderen Büchern, die sich in diesem Genre historischer Kriminalromane bewegen –, das scheint in Deutschland immer beliebter zu werden, in anderen Ländern – Großbritannien, Frankreich – hat das schon eine viel längere Tradition. Haben Sie eine Theorie, warum die Deutschen den Geschichtskrimi für sich entdecken?

Kutscher: Also nicht wirklich. Es ist ja auch so, dass Geschichtskrimi nicht gleich Geschichtskrimi ist. Was ich feststelle, schon seit einigen Jahren sind ja Mittelalterromane, nicht nur Krimis sehr, sehr beliebt, wahrscheinlich angefangen damals mit "Der Name der Rose", Umberto Eco ...

Meyer: Das wäre der erste große ...

Kutscher: Ja, so ungefähr, genau. Wobei ich glaube, dass viele dieser Mittelalterbücher doch eher aus Eskapismusgründen gelesen werden – man möchte in diese Welt eintauchen, dieses Mittelalter, das vielleicht auch nicht immer so ganz historisch exakt getroffen wird. Das ist, denke ich, bei meinem Romanen auch wieder ein bisschen was anderes, weil es eine ganz andere Zeit ist, eine Zeit, die ich auch gar nicht so historisch sehe, die ist eben doch recht nahe eigentlich. So möchte ich sie zumindest auch darstellen, um zu zeigen, dass die Lebensumstände der Deutschen damals sich gar nicht so sehr von den unseren unterscheiden.

Meyer: Was wäre dann der Gegenpol zum Eskapismus, wenn Sie sagen, ich bin da woanders unterwegs, ist es dann eher der Pol der Aufklärung, wollen Sie mit Ihren Büchern auch so etwas wie historische Aufklärung mitleisten?

Kutscher: Also Aufklärung finde ich auch ein bisschen zu hoch gegriffen. Ich möchte in erster Linie spannende Geschichten erzählen. Ich bin nicht so der Typ Wanderprediger, der den Leuten mit erhobenem Zeigefinger die Wahrheit über die Vergangenheit erzählen möchte, zumal ich, wie ich ja eben auch schon sagte, auf viele Fragen auch selber keine Antwort habe. Der Roman bringt da eher eine Annäherung, soll die Leser ein bisschen zum Selberdenken anregen, weil ich glaube, historische Fragen lassen sich nicht so ganz einfach plump beantworten. Und das Zum-Denken-Anregen, weil viele Dinge auch heute vielleicht ähnlich passieren, passieren könnten, wie sie damals passiert sind, die Augen offen zu halten, das ist eine Sache, die mir schon am Herzen liegt. Und wenn das geschieht, dann bin ich schon sehr froh.

Meyer: Sie haben jetzt den vierten Band veröffentlicht, es sollen aber noch vier weitere Bände folgen, und Sie wollen Ihre Serie bis ins Jahr 1936 fortschreiben. haben Sie schon eine Vorstellung, was aus Ihrem Ermittler Gereon Rath wird – das ist ja eigentlich ein ganz sympathischer, etwas unordentlicher Typ –, was aus dem wird, wenn seine Chefs dann Nazis sein werden?

Kutscher: So ganz genaue Vorstellungen habe ich nicht, da möchte ich mich erst mal selber nicht so sehr einschränken. Und vor allen Dingen möchte ich mich auch überraschen lassen von meiner Figur, weil Gereon Rath ist – kann man ja so sagen – eine Art Versuchskaninchen, das ich stellvertretend für mich und für meine Leser in die Vergangenheit schicke, in eben diese Zeit des Umbruchs, wo die Demokratie zerbröselt, wo die Nazis sich immer fester in den Sattel setzen. Also wird er natürlich durchaus anfällig sein für bestimmte Verlockungen der neuen Zeitumstände, und so habe ich ihn auch charakterlich angelegt. Also er wird kein Nazi werden, das glaube ich nicht. Aber die Frage ist, was er tun wird, wie weit er sich anpassen wird – sei es, um Karriere zu machen oder einfach nur, um keine Schwierigkeiten zu bekommen. Das ist die Frage, die mich interessiert.

Meyer: Für die nächsten Bücher dann. Jetzt ist erst mal der vierte Band von Volker Kutschers Gereon-Rath-Reihe erschienen. "Die Akte Vaterland" heißt dieses Buch, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, mit 576 Seiten, für 20 Euro ist dieses Buch zu haben. Herr Kutscher, vielen Dank für das Gespräch!

Kutscher: Ja, gern geschehen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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