Ich kaufe, also bin ich

22.12.2009
Der Soziologe Zygmunt Bauman zeigt in seinem Essay auf, wie sehr der Konsum inzwischen unser aller Leben bestimmt, mehr noch: wie er zum zentralen Moment unserer Gesellschaft geworden ist. Bauman sieht in den Selbstdarstellungsportalen wie Facebook auch den Versuch, sich selbst zum Produkt zu machen.
Wir konsumieren, aber wir werden auch konsumiert. Der zeitgenössische Bürger der westlichen Welt ist nicht nur ein vollkommener und vollendeter Konsument, er versteht sich auch zunehmend selbst als Konsumgut.

In seinem persönlichen Stil und Kaufverhalten folgt er dem rigiden Diktat ständig wechselnder Moden, die ihn zum Konsumieren zwingen; aber mehr noch: er betreibt mittlerweile auch aktiv seine Selbstdarstellung als Produkt, wenn er sich auf Internetforen und sozialen Netzwerken wie Facebook oder MySpace möglichst attraktiv zu machen und zu vermarkten versucht – sei es als potentieller Beziehungspartner oder als ultimativ flexible Arbeitskraft.

So lautet kurz gesagt die Diagnose des Buchs "Leben als Konsum" des Soziologen Zygmunt Bauman. Bauman, ein in Polen geborener Jude, der vor den Nazis in die Sowjetunion flüchtete und nach dem Krieg in Polen Karriere machte, bevor er aus politischen Gründen das Land verließ und zuerst nach Israel, dann nach England auswanderte, gilt als ein Grandseigneur der linken Soziologie und beschäftigt sich schon seit Jahren mit Fragen der "flüssigen" und "flüchtigen" Moderne, unter anderem mit ihrer Konsumkultur.

Ausführlich beschreibt er auch in seinem jüngsten Buch den Übergang vom Zeitalter der Produktion zu dem des Konsums, also den Wandel des Staates von einem Gebilde, das seine Bürger vor allem als Arbeiter und Soldaten braucht, zu einem, das seine Bürger vor allem als Konsumenten versteht. Und er zeigt, wie heute die Logik des Konsums mit ihren zentralen Werten von Angebot und Nachfrage an vielen Stellen im politischen Prozess greift, etwa wenn in Einwanderungsdebatten darüber gesprochen wird, welche Arten von Ausländern das Land "brauche" und für welche die Märkte "keinen Bedarf" hätten.

Mit "Konsumismus" bezeichnet Bauman den Geist unserer Zeit, in der Konsum nicht mehr nur Bedürfnisse abdeckt, sondern zum Selbstzweck und zum zentralen Identitätsstifter für unser aller Leben geworden ist. Konsumiert werden muss heute um seiner selbst willen und gut geht es unserer Gesellschaft nur, wenn sie ausreichend Waren umsetzt – egal, ob diese echten Bedürfnissen entsprechen oder nicht.

Unsere Gesellschaft ist demzufolge auch eine Sofort-Bedürfnis-Befriedigungs- und eine Wegwerfgesellschaft, die – anders als die Staatstheorien der Aufklärung es gerne hätten – nicht an die Vernunft des Bürgers appelliert, sondern an seine Unvernunft, seine emotionale Verführbarkeit: Nur wer sich von den Glücksversprechungen der Warenwelt täuschen lässt, wird im angemessenen Maße konsumieren und damit das Spiel am Laufen halten.

Solche und viele weitere Überlegungen des Buches sind zwar nicht vollkommen originell, aber Bauman stellt auch explizit nicht den Anspruch, etwas völlig Neues zu entwickeln, sondern schließt an bestehende Theoriedebatten an. Ganz ohne jeden Zweifel behandelt er ein daueraktuelles Thema unserer Zeit; und wer gerade Gefahr läuft, sich in weihnächtlichen Konsumrausch zu verrennen, wird in dem elegant geschriebenen Essay sicher Nachdenkenswertes finden.

Etwas unbefriedigend sind die soziologische Abstraktion und der Mangel an Analysen von konkreten empirischen Phänomenen. Die wenigen Beispiele zur Selbstdarstellung der Internetgeneration etwa scheint der Mitachtziger vorwiegend aus seiner Lektüre von Tageszeitungen zu beziehen; das Spezifische dieser Generation beschreibt er nur sehr skizzenhaft und wie aus großer Distanz. Etwas mehr Empirie und eine nähere Analyse gegenwärtiger Phänomene würde das Buch sicherlich noch anregender und aktueller machen.

Besprochen von Catherine Newmark

Zygmunt Bauman: Leben als Konsum
Aus dem Englischen von Richard Barth
Hamburger Edition, Hamburg 2009
204 Seiten, 15 Euro