"Ich kann schlecht über Schuld sprechen"

Moderation: Matthias Hanselmann · 26.06.2012
Der rumänisch-deutsche Dichter Oskar Pastior hat als Informant der rumänischen Staatssicherheit wohl keinem geschadet, meint der stellvertretende Vorsitzende der Oskar-Pastior-Stiftung Ernest Wichner. Die Schuld des Schriftstellers sei schwer einzuschätzen.
Matthias Hanselmann: Oskar Pastior, der rumänien-deutsche Dichter und enger Freund der Literaturnobelpreisträgerin Hertha Müller, war Informant der rumänischen Staatssicherheit Securitate. Dies wurde im September 2010 bekannt. Zwischen 1961 und 1968 war Pastior unter dem Decknamen "Stein Otto" in den Akten der Securitate geführt worden. Nach diesen Enthüllungen hat die Oskar-Pastior-Stiftung ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, das das genaue Ausmaß der Verstrickung untersuchen sollte. Erste Ergebnisse sind jetzt bei einer Tagung im Berliner Literaturhaus vorgestellt worden, mit dessen Leiter, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Oskar-Pastior-Stiftung, Ernest Wichner, sprechen wir jetzt. Guten Tag, Herr Wichner!

Ernest Wichner: Guten Tag!

Hanselmann: Ich möchte noch vorwegschicken: Sie recherchieren im Auftrag der Oskar-Pastior-Stiftung im Bukarester Archiv über Pastiors Berichte als inoffizieller Mitarbeiter. Der Dichter hat sich selbst einmal als schuldlos schuldig beschrieben. Wie viel Schuld hat er denn aus Ihrer Sicht auf sich geladen?

Wichner: Ach, das ist schwer zu sagen. Weil überhaupt schwer zu sagen ist, wie man Schuld bemisst. Ist einer schuldig geworden, weil er 1961 nach einem Verhör, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er, wenn er nicht bereit sei, für die Securitate zu arbeiten, ins Gefängnis gehen würde, oder ist er nicht schuldig geworden? Dürfen wir von ihm fordern, sich zu verweigern und ins Gefängnis zu gehen, oder dürfen wir das nicht? Ich kann schlecht über Schuld sprechen, und ich glaube, das ist ja auch das Interessante an so einem Fall, kaum jemand kann das wirklich. Deshalb haben wir auch sozusagen uns zur Aufgabe gemacht, hinzusehen, was dieser Mensch getan hat. Also, nachdem er diese Verpflichtungserklärung im Juni 1961 unterschrieben hat, in welcher Weise ist er für die Securitate tätig geworden? Und wir haben nach ...

Hanselmann: Entschuldigung, ich möchte noch ganz kurz noch mal bei dem Moment bleiben, bevor er unterschrieben hat. Es gibt Schriftstellerkollegen und -kolleginnen, die sagen, er hätte nicht unterschreiben sollen, es hätte Möglichkeiten gegeben, die Securitate-Mitarbeit zu verweigern.

Wichner: Es hat diese Möglichkeit gegeben, aber es hat sie nicht für ihn gegeben. Das hat mit seiner Vorgeschichte zu tun. Er war fünf Jahre lang als 17-Jähriger deportiert nach Russland nach 1900 - also schon vor Anfang 1945, eben bis 1949, dann war er drei Jahre lang beim rumänischen Militär. Dann kam er nach einigen Jahren, in denen er noch gearbeitet hat auf einem Bau, nach Bukarest an die Universität. Und dort war er schon umstellt von Securitate-Spitzeln. Zwei seiner Hochschullehrer haben ganz regelmäßig über ihn Berichte geschrieben. Und dann ist 1959 eine Frau, nämlich Grete Löw, verhaftet worden. Er hatte ihr Gedichte hinterlassen, als er aus Hermannstadt nach Bukarest zum Studium gegangen ist, und weil diese Gedichte in ihrem Besitz waren, weil sie sie Freundinnen weitergezeigt hat und auch vorgelesen hat, ist sie zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das alles gehörte sozusagen zu seiner Vorgeschichte. Außerdem sind im Jahr davor, anderthalb Jahre davor, vor seiner Unterschriftsleistung, fünf siebenbürgische Schriftsteller, mit denen er in losen, aber guten Bekanntschaftsbeziehungen stand, verhaftet worden und zu insgesamt 95 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Also alles dies hatte er vor Augen, alles dies wurde ihm auch mitgeteilt, als man ihn verhört hat, er würde, wenn er sich verweigerte, ins Gefängnis gehen. Es gab Gleichaltrige, die haben sich verweigert, die hatten nicht diese fünf Jahre Lager vorher, die waren weniger gebrochen durch ihre biografischen Erfahrungen als er. Ich glaube, er hatte keine andere Wahl, als da zu unterschreiben.

Hanselmann: Und sich damit schuldlos schuldig zu machen. Wie sehr hat denn Pastior nach Ihren neuesten Recherchen den Menschen durch seine Berichte geschadet?

Wichner: Er hat in einem Bericht, den hat er drei Monate nach seiner Verpflichtungserklärung abgeliefert über eine Literaturwissenschaftlerin, Ruth Kisch, über die hat er berichtet, dass sie sowjetische wie amerikanische Atomwaffen gleichermaßen verurteilt und nicht bereit sei, für sowjetische Atomwaffen etwa einzutreten und die amerikanischen zu verurteilen. Das hätte sie tun müssen nach ideologischer Vorgabe in Rumänien zu jenen Jahren. Dass sie dies nicht tut, hat er verraten. Das ist ein Bericht, der denunziatorischen Gehalt hatte, dieser Frau hätte schaden können. Er hat es nicht. Also, sie ist weder ins Gefängnis geraten noch hat sie ihre Stelle an der Universität verloren. Da kann er - er ist tot, aber - das war, ging glimpflich für ihn auch aus, aber es ändert nichts daran, dass es diesen Bericht gibt. Daneben gibt es noch fünf weitere Berichte, die meiner Lesart nach gänzlich harmlos sind und niemandem geschadet haben können.

Hanselmann: An dem Punkt sollten wir über einen schweren Vorwurf sprechen, der gemacht wurde. Sie haben unter anderem fünf Berichte ausgewertet, die Oskar Pastior über den Schriftsteller Dieter Schlesak angefertigt hatte ...

Wichner: Nein, zwei.

Hanselmann: Zwei. Dieter Schlesak hatte 2010 in der "FAZ" behauptet, Pastior habe den Selbstmord seines engen Freundes und Dichterkollegen Georg Hoprich zu verantworten, weil er ihn angeblich verriet an die Securitate. Was ist dran an diesen Berichten?

Wichner: Da ist überhaupt nichts dran. Es gibt keinerlei Belege, weder in der Akte von Oskar Pastior noch in der Akte von Hoprich. Es gibt keinen einzigen Bericht von Oskar Pastior über Georg Hoprich. Die beiden waren befreundet und die waren auch befreundet, als Georg Hoprich aus dem Gefängnis entlassen worden war. Oskar Pastior war sogar der Taufpate eines seiner Söhne. Die standen in besten freundschaftlichen Verhältnissen, vorstellbar ist, dass die Securitate damals selber dieses Gerücht gestreut hat, dass Oskar Pastior auf Hoprich als IM angesetzt sei, weil das eine bekannte Diversionsmethode ist. Also, wie man Freunde gegeneinander in Stellung bringt und Misstrauen sät, aber es gibt keinen einzigen Bericht, keinen einzigen Hinweis, dass irgendetwas daran sein könnte.

Hanselmann: Der Münchner Literaturwissenschaftler Stefan Sinad, der seinerzeit die Pastior-Akte entdeckt hatte, hat im Jahr 2010 damit eine regelrechte Lawine losgetreten. Die Kritik an Pastior war bei Weitem nicht nur eine freundliche Kritik. Was würden Sie sagen, war zu erahnen, dass dies solche Wellen schlagen würde?

Wichner: So etwas ist zu erwarten, denn Oskar Pastior war ein sehr bekannter Dichter, der den Büchner-Preis für sein Werk bekommen hat, also gibt es auch ein öffentliches Interesse an dieser Person und auch an ihrem moralischen und ethischen Verhalten. Und daran, wie diese Person einzuschätzen sei. Also das kann ich absolut verstehen. Deshalb haben wir uns ja auch die Mühe gemacht und haben zigtausende Seiten Akten in Bukarest gelesen. Auch ich war jahrzehntelang mit Oskar Pastior befreundet, auch ich wollte wissen, was da nun konkret dran ist.

Hanselmann: Oskar Pastior ist aus Ihrer Sicht, ich würde es mal so sagen, quasi freigesprochen. Aber es können ja noch weitere Berichte von ihm auftauchen. Er hat sich wohl nach seiner Flucht der CIA offenbart. Auch diese Akte steht noch aus. Wie sicher sind Sie, dass da nicht noch etwas Belastendes nachkommt?

Wichner: Ich kann nicht sicher sein, dass da nicht noch etwas Belastendes nachkommt, das kann niemand sein. Zumal die Akten dieser Behörde in Rumänien noch lange nicht alle zugänglich sind, und zwar, weil sie einfach noch nicht alle erfasst sind. Und ich werde weiterhin dranbleiben und recherchieren, was es da noch gibt.

Hanselmann: Noch eine Frage, Herr Wichner, die ich ganz ausdrücklich auch an Sie stelle als langjährigen Lebensbegleiter von Oskar Pastior. Er hat zu seinen Lebenszeiten nicht über seine Aktivitäten für die Securitate geredet. Freunde, Weggefährten sind darüber, gelinde ausgedrückt, erstaunt beziehungsweise eher enttäuscht. Hätte er sich nicht offenbaren müssen?

Wichner: Er hätte es tun sollen. Hertha Müller dagegen sagt, sie freut sich, dass er sich ihr gegenüber nicht offenbart hat. Und zwar, bevor die Akten nicht zugänglich waren. Denn sie hätte ihm nie geglaubt, dass er IM gewesen sei, nicht aber irgendetwas Böses und Schädigendes getan habe. Sie meint, ähnlich wie ich, dass die Akten mittlerweile mitteilen, dass er keine große Schuld auf sich geladen hat, und meint, sie hätte ihm das damals nicht geglaubt und ihm die Freundschaft aufgekündigt.

Hanselmann: Sie auch, Herr Wichner?

Wichner: Ich vermutlich auch, ja.

Hanselmann: Vielen Dank. Ernest Wichner, der Leiter des Literaturhauses Berlin. Er recherchiert im Auftrag der Oskar-Pastior-Stiftung über Pastiors Berichte als inoffizieller Mitarbeiter. Dankeschön und schönen Tag noch!

Wichner: Gern geschehen. Wiederschaun.

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