"Ich habe meinen Augen nicht getraut"

Stefan Weber im Gespräch mit Dieter Kassel · 26.01.2012
Mit "Roads of Arabia" ist in Berlin eine Ausstellung eröffnet worden, die einen neuen Blick auf die arabische Welt ermöglicht. Erstmals, so Stefan Weber, Direktor des Islamischen Museums, hat sich Saudi-Arabien bereit erklärt, auch Exponate aus vorislamischer Zeit zuzulassen.
Dieter Kassel: Ab heute ist endlich auch in Berlin eine Ausstellung zu sehen, die zuvor schon in Paris, Sankt Petersburg und Barcelona für Furore gesorgt und wirklich viele Besucher angelockt hat: "Roads of Arabia" zeigt architektonische Schätze aus 7.000 Jahren saudi-arabischer Geschichte. Und bei mir im Studio ist dazu jetzt der Direktor des Islamischen Museums Berlin, Stefan Weber. Schönen guten Tag, Herr Weber!

Stefan Weber: Schönen guten Tag!

Kassel: Einige Objekte, vor allem der Kaaba und der Stadtgeschichte von Mekka sind im Rahmen dieser Ausstellung das allererste Mal in Deutschland zu sehen, da frage ich mich, warum eigentlich? Hat man vorher nie danach gefragt oder wollten die Behörden in Saudi-Arabien die vorher nie rausrücken?

Weber: Diese ganze Bewegung des eigenen Kulturerbes, das zu entdecken, zu erforschen, zu ergraben, zu pflegen und herauszustellen, ist relativ jung in Saudi-Arabien. Alle anderen Nachbarländer, also Ägypten, Syrien, Irak, die haben eine lange Geschichte mit Nationalmuseen, mit Ausgrabungen, und es gab einfach noch nicht so die Gelegenheit, dies zu zeigen, weil das Königshaus erst seit Kurzem angefangen hat, dies zu unterstützen und eine nationale Geschichte zu schreiben. Und wir sind natürlich jetzt dann auch glücklich, dass wir zum ersten Mal diese – sagen wir mal – Wissenslücke, dieser weiße Fleck, Terra incognita, zeigen können.

Sie müssen sich vorstellen, dass wir uns im Museum haben die ganzen Länder abgebildet des Nahen Ostens in ihrer historischen Vielfalt und Breite, außer die arabische Halbinsel. Also es gibt kleine Grabstelen aus Jemen, es gibt verschiedene Objekte dort, aber Saudi-Arabien selber war zum einen den Wissenschaftlern kaum bekannt, weil es halt so lange sehr verschlossen war, weil es keine Ausgrabungen gab, seit zehn Jahren sind jetzt wir bei ersten Kooperationsausgrabungen dabei, und wir haben auch keine Objekte im Museum, wo wir mal diesen großen Landfleck irgendwo zeigen können. Und dass wir mit einem Schlag diesen weißen Fleck mit Farbe füllen können, ist für uns, sagen wir, aus dem Wunsch nach Vollständigkeit erst mal wichtig, auch den Wunsch nach Erkenntnisgewinn, wir wollen überhaupt wissen, was es da gibt, und das natürlich noch so auszustellen, dass Menschen sich das anschauen können, wo immer sie herkommen.

Kassel: Nun sind wir als Europäer doch relativ daran gewöhnt, bei historischen Betrachtungen doch locker damit umzugehen, dass sich eben jetzt mal auch die religiöse Landkarte im Laufe der Jahrhunderte immer verändert hat. In einem so muslimischen Land wie Saudi-Arabien, wie geht man denn da überhaupt mit der vorislamischen Geschichte um?

Weber: Das ist ein interessantes Thema, und es hat was zu tun mit einem traditionellen Geschichtsbild, das in Saudi-Arabien mehr gepflegt wird als in anderen Ländern, und zwar, dass die vorislamische Zeit die Zeit des Unwissens ist, und dass man sich da lange drum nicht so stark gekümmert hat. Das ist vollkommen anders mit Ägypten, mit der pharaonischen Zeit. Jedes Kind kennt das, und es ist auch im Nation-Building-Prozess, in der Nationwerdung im 20. Jahrhundert enorm wichtig, sich auf die vorislamische Zeit zu berufen.

In Saudi-Arabien war es lange so, dass man damit eigentlich erst mal gar nicht so richtig was anfangen konnte. Also man muss wissen, zum Beispiel nach streng islamischem Glauben ist Grabbau verboten. Und wenn man mal durch die Welt geht, die islamische Welt, da weiß man, dass islamische Grabbauten überall bedeutend und wichtig waren. Istanbul hat wunderbare, Indien, die berühmtesten der Iran, aber in Saudi-Arabien, die puritanistische Auslegung wollte halt diese Grabeskultur nicht haben. Und dass man jetzt anfängt und sagt, ich möchte aber doch eigentlich ein nationales Kulturerbe haben und das setze ich zusammen aus dem, was wir auf unserem Boden, auf der Erde dieser Nation vorfinden, und dieser Prozess, der ist halt recht jung. Und diese Bewegung wollen wir natürlich auch unterstützen, weil wir das für einen, sagen wir mal, kulturpolitisch sehr wichtigen Beitrag halten.

Kassel: War es denn in der Zusammenarbeit mit den saudi-arabischen Behörden überhaupt einfach, ein Ausstellungskonzept durchzusetzen, das natürlich die Epochen relativ gleichwertig behandeln will? Ich könnte mir vorstellen, dass da natürlich der Wunsch bestanden hat, zu sagen, ab der islamischen Zeit, ab des Auftauchens des Propheten Mohammed, da fängt unsere Geschichte erst an, und das sollte auch stärker in dieser Ausstellung vorkommen als die, sagen wir mal, rund 5.500 Jahre davor.

Weber: Ich habe, als ich die Ausstellung in Paris gesehen habe, meinen Augen nicht getraut. Es gab keine Unterscheidung zwischen vorislamischer und islamischer Geschichte, und das ist für uns selbstverständlich, und das ist auch für viele Länder der islamischen Welt selbstverständlich, allerdings nicht für Saudi-Arabien. Dass Saudi-Arabien auf einmal so ein Geschichtsbild nach außen trägt und dass das Wichtige dann nach der Tour im eigenen Land präsentieren will, das ist was Neues.

Man hat dagegen große, sagen wir mal, auch Widerstände der konservativen, sehr religiösen Strömungen das auch durchgesetzt und auch überzeugt, dass das ein nationales Erbe ist und dass das gleichwertig ist so als eigener Schatz, der im Boden schlummert – nicht nur das Öl, sondern auch die natürlich kulturellen Zeugnisse.

Kassel: Es gibt natürlich an dieser Ausstellung Kritik, denn diese Ausstellung hätte man nicht machen können, hat der Louvre nicht machen können, haben auch die anderen europäischen Kooperationspartner nicht machen können ohne eine enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden in Saudi-Arabien.

Saudi-Arabien ist eine Diktatur, Saudi-Arabien ist ein Land, in dem die Menschenrechte nicht durchgängig geachtet werden, es gibt keine Meinungsfreiheit, keine Gleichberechtigung der Geschlechter. Muss man da nicht als westlicher Ausstellungsmacher sagen, mit einem solchen Land arbeite ich nicht zusammen?

Weber: Wir haben implizit den Auftrag, mit den Ländern der islamischen Welt umzugehen, und es gibt leider sehr wenige Länder in der islamischen Welt, deren Regierung demokratisch legitimiert ist, also, dass wir eigentlich gar nicht drum herum kommen, uns einen Partner auszusuchen in den Ländern, wo wir sagen, das sind gute Wissenschaftler, die machen eine gute Arbeit, und wir arbeiten mit diesen Partnern. Und so ist es auch in Saudi-Arabien: Der Chef des Nationalmuseums, mit dem wir jetzt eng zusammenarbeiten, ist ein hervorragender Wissenschaftler, und der zuständige der Behörde hat dann auch durchgesetzt, dass die erste gemischtgeschlechtliche Konferenz stattfindet, an der ich dann auch teilgenommen habe letztes Jahr, wo ich dann auch den Kontakt aufgenommen habe. Das ist so natürlich immer eine Gratwanderung. Was möchte man machen, was möchte man erreichen.

Und dann denke ich aber immer, wenn wir nun immer sagen würden, was ist die Regierung, was macht die Regierung, dann würde dieser kulturelle Austausch und der Wissenschaftsaustausch und auch der, sagen wir mal, Know-how-Austausch gar nicht stattfinden. Und ich glaube, dass es nun enorm wichtig ist, dass man sich nicht abkapselt.

Kassel: Auf der anderen Seite ist natürlich zum Beispiel der zuständige Minister – also der gehört natürlich auch zur Königsfamilie, das ist da nun mal so –, aber der zuständige Minister ist zuständig für Architektur und Tourismus. Das heißt, da ist schon klar, eine solche Ausstellung in großen europäischen Metropolen – ich habe es ja erwähnt, vor Berlin war Paris, Barcelona und Sankt Petersburg – das ist ein Imagegewinn natürlich auch für Saudi-Arabien, das muss man in Kauf nehmen, dass da eine Diktatur einen Imagegewinn hat, oder nicht?

Weber: Wenn dieser Imagegewinn dadurch vonstatten geht, dass man sagt, okay, das ist unser kulturelles Erbe und da werden wir selber stolz drauf, dann sage ich, ja, dann ist der Image-Gewinn in dieser Richtung gut. Ich muss dazu sagen, ich habe zwölf Jahre im Nahen Osten gelebt und habe gemerkt, dass wenn ich in Häuser reinging – ich habe Forschung gemacht über Altbauten und bin dann in die Häuser und habe mit den Leuten geredet –, und als die merkten, dass ein Ausländer daher kommt und über ihre doch, wie sie dachten, alten Bruchbuden, wo ja nichts mehr ist, da sind tolle Paläste, aber runtergekommen, als die gesehen haben, dass da ein Ausländer kommt und sich das anschaut und dass sie einen Grund haben, darauf stolz zu sein, haben die ihren Blick gewechselt, weil dieser Blick von außen einem hilft, auf etwas stolz zu sein, was man vorher als, sagen wir, nicht wichtig, als unnütz erachtet hat. Und es gibt schwierige Verhältnisse, aber dieser Prozess des Bewusstwerdens, desStolzwerdens auf das eigene kulturelle Erbe und dessen Erhalt finde ich im Augenblick wichtiger, ist unser Aufgabe.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Nachmittag mit Stefan Weber, dem Direktor des islamischen Museums in Berlin über die Ausstellung "Roads of Arabia", die ab heute in Berlin im Pergamonmuseum zu sehen ist bis Anfang April.

Das heißt "Roads of Arabia", es geht um Straßen, es geht um Wege, und ich habe mich da was ganz Simples gefragt: Es geht um so rund 7.000 Jahre, es geht, wir haben es erwähnt, auch eben um die vorislamische Zeit. Die Gegend war aber im Grunde genommen damals schon genau so unwirtlich, wie sie ja heute immer noch ist. Das ist eine Halbinsel, die fast nur aus Wüste besteht, bis auf die Küsten natürlich. Warum gab es auch schon, bevor Mekka so bedeutend wurde als religiöses Zentrum, warum gab es da überhaupt Wege? Warum sind Leute da überhaupt langekommen?

Weber: Die brauchten ein Gut, und das Gut war nicht nur, aber vor allen Dingen, Weihrauch. Weihrauch war extrem wichtig für die kultischen Handlungen in der Antike und auch davor, aber nur im Jemen gab es den guten Weihrauch, so dass dann dieser durch die Wüsten transportiert werden musste. Zwischen diesen großen Tagesabschnitten oder Wochenabschnitten lagen Städte in Oasen, kleine Königreiche, die sich unabhängig voneinander entwickelten, aber durch den Handel dann im steten Austausch kulturell befruchteten, und nicht nur miteinander, regional, sondern überregional, sodass die Händler, die zum Teil dann aus Rom kamen, aus der Mittelmeerwelt, in den Jemen, dass diese ihre Kulturgüter mitbrachten, ihr Wissen, ihr Know-how, und das in die Oasenstädte mit hinein trugen.

So, auf einmal findet man, und das finde ich extrem interessant, entlang dieser Handelsstraßen zum Beispiel Haarmode aus Rom an einer Büste. Wir haben eine wunderbare – wir wissen nicht, ob es Mann oder Frau ist –, 40 Zentimeter groß, aus Bronze gegossen, Hohlguss. Der Fundort ist eine Handelsstadt ganz im Südosten in einem leeren Viertel der großen Wüste Saudi-Arabiens. Dort ist auf einmal Antike gefunden worden, römisches Glas, die nur natürlich dort hinkamen durch diesen Handel, aber nicht nur, sagen wir, die Objekte als solche, sondern dieser Bronzeguss selber ist lokal hergestellt. Also es kamen sowohl Technik als auch die Geschmacksmuster zeitgleich dort hin, und das ist natürlich für jeden Wissenschaftler wieder eine große, freudige Bestätigung einer Grundthese, dass nämlich Kulturen sich auseinanderentwickeln und dass Geschichte ein Prozess ist, der Ursache und Wirkung hatte durch den steten Kontakt von Menschen, hauptsächlich durch Handel, aber auch durch Glauben, Machtwillen, dass Menschen in Kontakt kamen und eine Kultur die andere bereicherte und sich daraus entwickelte.

Und das kann man entlang dieser Weihrauchstraße – und die Weihrauchstraße muss man sich nicht vorstellen wie eine Autobahn, die dann praktisch quer durch die Wüste geht, sondern das sind Handelswege, ein Netz von Handelswegen, das dann diesen Namen bekommen hat --, und man kann es anhand der Funde dort ganz schön beweisen. Das kann man also jetzt im Pergamon-Museum in einigen Metern abschreiten auf 1.300 Quadratmetern, dass wir praktisch von der Vor- und Frühgeschichte, vom Neolithikum dann aus über die historische Zeit in die Antike bis ins 20. Jahrhundert leiten.

Kassel: Ich hatte schon das Gefühl durch Ihre Erzählung, als wäre ich gerade schon mitten im Pergamon-Museum in dieser Ausstellung, wobei, glaube ich, an jedem Tag voll sein wird, da wären wir nie zu zweit, es sei denn, ich schleiche mich mit Ihrer Hilfe irgendwie außerhalb der Öffnungszeiten rein.

Ich glaube, es wird voll, aber ich glaube, es lohnt sich trotzdem, es zu versuchen und diese Ausstellung zu sehen. "Road of Arabia" heißt sie und zu sehen ist sie ab heute bis einschließlich 9. April. Das ist aber gar nicht so lange, finde ich, insofern sollte man sich beeilen, um da mit Zeittickets oder ähnlichen Methoden in Ruhe mal gucken zu können. 1.300 Quadratmeter für 7.000 Jahre Geschichte der arabischen Halbinsel. Stefan Weber, der Direktor des islamischen Museums Berlin hat uns das erklärt. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie bei uns waren!

Weber: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Mehr Infos zur Ausstellung im Netz;

"Roads of Arabia" im Pergamonmuseum