"Ich finde Parallelwelten sehr spannend"

Anno Saul im Gespräch mit Frank Meyer · 22.11.2009
In seinem Film "Die Tür" erzählt Anno Saul die Geschichte eines Malers, der nach dem Tod seiner Tochter die Kontrolle über sein Leben verliert - bis er eine Tür entdeckt, durch die er in die Vergangenheit reisen kann. "Das Faszinierende an dem Stoff ist die Geschichte der zweiten Chance", sagt Saul.
Frank Meyer: Gesa Ufer über den Film "Die Tür" von Anno Saul. Und der Regisseur ist jetzt hier bei uns im Studio. Herr Saul, es gibt ja eine Vorlage für diesen Film, einen Roman, "Die Damalstür" heißt der, von Akif Pirincci. Als Sie diesen Roman gelesen haben, was hat Sie da gepackt, warum dachten Sie, daraus will ich einen Film machen?

Anno Saul: Ja, das Faszinierende an dem Stoff ist die Geschichte der zweiten Chance. Ich glaube, jeder Mensch hat in seinem Leben schon Momente erlebt, wo er sich überlegt hat, wie es wäre, wenn er sozusagen an einem Scheidepunkt anders abgebogen wäre oder wenn er auf Dinge besser aufgepasst hätte. Und das, was mich fasziniert an dem Stoff oder was mich an dem Stoff auch beim Lesen fasziniert hat, war, wie dünnhäutig der macht, also wie sehr man spürt, dass Dinge wertvoll sind, die man in seinem Alltag als sehr selbstverständlich ansieht. Und das, was mich fasziniert hat daran, das, was ich mit dem Film erreichen wollte, war, diese Dünnhäutigkeit weiterzugeben.

Meyer: Als Sie mit den Schauspielern daran gearbeitet haben, wie haben Sie die in dieses Thema reingeführt, was für Geschichten haben Sie denen dazu erzählt?

Saul: Also ich habe denen keine Geschichten erzählt, sondern die Schauspieler arbeiten dann mit ihren eigenen Geschichten. Und es ist gar nicht so sehr, dass man diese Geschichten dann austauscht, sondern ich glaube, das basiert auf einer Art nicht Telepathie, aber jeder weiß, dass der andere, dass das Gegenüber Punkte in seinem Leben hat, wo er sehr dünnhäutig wird. Und die muss man gar nicht rausarbeiten, also rausarbeiten im Sinne von, dass man sie sich erzählt, aber man muss sie so rausarbeiten, dass man sich eine Körperlichkeit zum Beispiel erarbeitet.

Jetzt haben wir bei Jessica Schwarz, die spielt quasi sich selber fünf Jahre älter als ziemliches Wrack, also als Frau, die alles verloren hat in ihrem Leben, und dadurch, dass David ja zurückkommen kann, eben auch als die noch strahlende Ehefrau in einer Welt, wo der Unfall mit der Tochter nicht passiert ist. Das sind zwei verschiedene Arten, sich zu bewegen, es sind zwei verschiedene Arten, sich in seinem Körper zu fühlen. Wenn man sich gut fühlt, wenn man sozusagen Rückenwind hat, wenn man von seinem Mann geliebt wird, auch wenn Schatten über diesen Dingen liegen, ist es trotzdem etwas anderes, wie man sich bewegt und wie man sich fühlt, als wenn man in seinem Leben so einen Horror erlebt hat, wie es sozusagen die alte Jessica erlebt hat, nämlich die ihre Tochter verloren hat.

Meyer: Jetzt ist ja besonders interessant an Ihrem Film eben diese Idee, man kann zurückkehren in sein altes Leben, man macht so einen Sprung zurück um fünf Jahre, aber da gibt es ein Problem: Nämlich man selber ist schon da in diesem Leben, in das man zurückkehrt. Also David zum Beispiel, der Maler, kehrt zurück und trifft den jüngeren David an, den fünf Jahre jüngeren, und er tötet ihn. Das ist ein Unfall, aber in anderen Fällen werden die Konkurrenten, die jüngeren Ichs bewusst getötet, um Platz zu schaffen für ein älteres, erfahreneres, gereifteres Ich. Welche Bedeutung hat dieser Vorgang für Sie, das alte Ich töten?

Saul: Das war schon einer der Kernpunkte, die mich auch so fasziniert haben, dass sozusagen David zurückkommt und nicht einfach nur diese zweite Chance auf dem Silberblatt präsentiert bekommt, sondern dass diese zweite Chance mit einem Sündenfall verbunden ist. Man setzt etwas Böses in die Welt, um etwas Gutes zu erreichen. Dass das so nicht funktionieren kann, ist uns allen klar, ich will aber nicht zu viel verraten von dem, was nachher passiert, aber diese Rechnung wird nachher aufgemacht.

Meyer: Es hat auch etwas Fatalistisches, der Film, oder? Die Lehre vielleicht, dass man eine Schuld nie wieder los wird, selbst wenn man glaubt, man hat die Chance dazu?

Saul: Der Film ist nicht fatalistisch, er gibt ein Stück Hoffnung. Er sagt durchaus, es gibt Dinge, die ich ändern kann, von dem, was ich an Bockmist in meinem Leben gebaut habe, aber ich kann mich nicht durch die Hintertür sozusagen daran vorbeimogeln, dass ich mich mit dem darüber auseinandersetze, mit dem ich das angerichtet habe. Das ist schon eine sehr klare Aussage des Films.

Meyer: Sie haben diesen Film ja sehr konzentriert. Was ich finde, ist, auch die Stärke dieses Films gewinnt dadurch so etwas Parabelhaftes, eine Filmerzählung über Schuld und Sühne eben. Er wird aber nun als Mystery-Thriller angekündigt, wo man sich oft einen ganzen anderen Film vorstellt, eben Genrekino, wo viel mit düsterer Musik und so weiter gearbeitet wird. Warum haben Sie sich für diese Konzentration, diese Geschlossenheit entschieden?

Saul: Das Parabelhafte ist definitiv beabsichtigt, weil es ist eine wirklich grundlegende Geschichte, die sich mit dem Themen Schuld und Sühne und der Möglichkeit von Sühne und der Möglichkeit von Aufhebung oder eben nicht, Aufhebung von Schuld beschäftigt. Der geht an Fragen heran, die Menschen grundlegend beschäftigen. Insofern ist es auch ein Drama. Wir haben immer gesagt, es ist ein Mystery-Drama, weil wir gesagt haben, es ist ein Drama. Das Mystery ist einfach nur, dass wir diese Konstruktion dieser Tür verwenden. Da ist gar nichts großes sonst Mysterymäßiges dran, muss es aber auch gar nicht. Wenn Sie sich zum Beispiel "The Sixth Sense" angucken, was ja auch ein Mysterie-Drama ist, dann haben Sie dort eine grundmenschliche Geschichte eines kleinen Jungen, der sich zu Tode fürchtet darüber, dass er Tote sieht, und er muss sozusagen lernen, damit umzugehen. Und das sagt etwas über unser Leben und unser Verhältnis zu Tod und auch unsere Verdrängung von Tod aus. Es geht also um was ganz Grundmenschliches. Und das ist bei uns auch so. Es geht um Schuld und Sühne, und das Mystery ist sozusagen ein Erzählkonstrukt, das wir verwenden.

Meyer: Aber in dieser Konzentration, in dieser, ja, Kargheit ist das falsche Wort, aber in der Geschlossenheit, die der Film auch hat, und in dem Verzicht auf so Effekte und Nebenhandlungen und so weiter und im Ausbau dieses ganzen Mystery-Gedönses, was man ja auch dazu hätte denken können, ist damit nicht auch die Sorge verbunden, das wird dann vielleicht nicht so ein Kassenknüller wie ein richtiger Mystery-Thriller, ein richtiges Genrekino hätte sein können?

Saul: Also ob Sie es glauben oder nicht, aber das sind weniger die Gedanken, die einen treiben, sondern es ist …

Meyer: Aber die vielleicht den Produzenten des Films treiben?

Saul: Ja, aber auch der Produzent ist jemand, der sozusagen sich ja durch Inhaltlichkeit sehr hervorgetan hat. Der Hauptproduzent, die Wüste Film, die haben die Fatih-Akim-Filme wie "Gegen die Wand" gemacht, haben auch einen Film von mir vorher produziert wie "Kebab Connection", und Senator Film, die als zweite große Produzenten da drin waren, die haben so was wie "Das Experiment" gemacht. Das sind alles Filme, die einen sehr starken Anspruch haben, auch einfach schlaue und spannende Filme zu sein. Wir haben uns wirklich nicht viel Gedanken darüber gemacht, für welches Publikum. Wissen Sie, wenn Sie das machen, dann brauchen Sie in Deutschland keinen Thriller machen. Nennen Sie mir einen Thriller, der in den letzten zehn Jahren in Deutschland funktioniert hätte! Das ist eigentlich fast ein sinnloses Unterfangen. Und wir haben es trotzdem gemacht, weil wir diese Grundgeschichte so spannend und so klug fanden.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, der Regisseur Anno Saul ist bei uns zu Gast. Wir reden über seinen Film "Die Tür", der am Donnerstag in unsere Kinos kommen wird. Sie haben ja auch schon ein paar Filme erwähnt, die auch spielen mit dieser Idee einer zweiten Realität, was ja auch ein eingeführter Gedanke ist in der ganzen Filmwelt. Wie gehen Sie mit solchen Filmen um, wenn Sie dann Ihren eigenen Film drehen? Spielen die noch eine Rolle, wenn Sie den Film unmittelbar vorbereiten, schauen Sie sich das noch mal an, vielleicht mit den Schauspielern zusammen?

Saul: Nein, gar nicht. Es gibt auch so einen Punkt, wo man in der Vorbereitung alles loslassen muss, was man sich jemals dazu gedacht hat. Also dann geht es wirklich nur noch darum, was man an dieser Geschichte erzählen will. Also alle filmischen Vorbilder und alle Sachen, die man sich vielleicht für eine Kameraführung anguckt oder so, das ist irgendwann vergessen. Irgendwann müssen Sie Ihre eigene Sprache finden, irgendwann müssen Sie Ihren eigenen Rhythmus finden, irgendwann müssen Sie auch Ihre eigene Geschichte finden.

Meyer: Sie haben gerade behauptet, man würde dann alles hinter sich lassen, wenn man dann anfängt, an die wirkliche Arbeit heranzugehen. Ich zweifle ein bisschen, ob man das wirklich kann. Zum Beispiel, als ich gelesen habe, dass Sie auch Philosophie studiert haben mal, bevor Sie so richtig zum Film kamen, da dachte ich dann doch: Aha, das ist der Punkt. Weil der Film hat ja auch etwas philosophisches in dieser Konzentration und in dieser Parabelhaftigkeit. Würden Sie das zugeben, da wirkt Ihre Vorbildung nach?

Saul: Absolut, das gebe ich gerne zu. Ich meinte damit einfach nur, dass die Filme, die da manchmal Pate stehen, oder dass man sagt, das ist ein Film, der mich fasziniert, das ist irgendwann dann weg. Dann muss man sozusagen seine eigene Sprache finden. Man selber geht natürlich mit durch die Tür, also mit seiner Geschichte und mit all dem, was man da so reinbringt. Und dass ich irgendwann mal Philosophie studiert habe, ist kein Zufall. Es interessieren mich sozusagen die Grundfragen menschlicher Existenz und auch des menschlichen Denkens, aber auch des menschlichen Fühlens. Und das findet man dann mitunter auch in meinen Filmen wieder.

Meyer: Sie haben sich ja ein Schauspielerensemble zusammengesucht, da sind sehr interessante Typen dabei. Thomas Thieme zum Beispiel hat mir besonders gefallen, der wacht da so wie eine Art Blockwart über dieses ganze Wiedergängerensemble und passt auf, dass da keiner aus der Reihe tanzt, mit durchaus drakonischen Mitteln. Jessica Schwarz haben Sie schon erwähnt als weibliche Hauptdarstellerin, Heike Makatsch ist dabei. Und die Hauptrolle spielt aber – und er steht sehr im Zentrum dieses Filmes – Mads Mikkelsen, kennt man sonst oft so als dänisches Sexsymbol wird er vorgestellt, oder aus einem James-Bond-Film, "Casino Royal", da hat er den Bösewicht gegeben, also ganz andere Rollen als die, die er hier spielt. Warum haben Sie gedacht, das ist der Richtige für diese tragende Hauptrolle?

Saul: Das ist eine intuitive Entscheidung gewesen. Also ich habe ihn mir, als wir das Buch entwickelt haben, schon immer vorgestellt. Er hat ein Gesicht, was so einzigartig ist, und er hat die Fähigkeit, mit relativ wenig Mimik eine totale Transparenz seiner Gefühle herzustellen, und das ist wirklich ergreifend. Ich wollte immer mit dem Mann arbeiten, und jetzt habe ich es dann einfach gemacht.

Meyer: Sie kriechen auch ganz nah an ihn ran oder gehen ganz nah an ihn ran in dem Film, vor allem am Anfang, weil das Ganze vielleicht auch in seinem Kopf stattfindet, alles, was man da sieht?

Saul: Das sehe ich nicht so. Ich glaube, das ist eine Realität. Im Roman ist es ja so, dass es alles in seinem Kopf spielt. Und ich verrate jetzt mal, dass wir das so nicht erzählen und uns sehr bewusst dafür entschieden haben, es nicht zu erzählen. In der Physik gibt es ja durchaus die Möglichkeit paralleler Welten. Ich bin jemand, der sich sehr für Astrophysik interessiert, und ich finde die Gedanken von Parallelwelten sehr spannend und das flirrt mich wirklich an. Wir haben lange darüber diskutiert und fanden dann, dass ein Ende, wo alles nur ein Traum war oder alles nur irgendwie - keine Ahnung, so ein Komatraum ist das glaube ich im Roman, da hätten wir uns betrogen gefühlt. Das machen wir nicht. Es ist eine reale Geschichte und es ist ein reales Passieren. In seiner Parabelhaftigkeit ist es natürlich eine Parabel, das stimmt. Punkt.

Meyer: Es ist sehr schön, dass Sie die Parallelwelten in der Physik erwähnen, um die wird es nämlich heute in dieser Sendung noch gehen. Nach 11 Uhr 30 haben wir einen Beitrag dazu, wie sich die Physiker Parallelwelten vorstellen. Aber wir haben geredet über Parallelwelten in einem Kinofilm, "Die Tür" von Anno Saul, der kommt am Donnerstag in unsere Kinos. Herr Saul, schön, dass Sie da waren!

Saul: Vielen Dank!