"Ich finde die EU-Kritik ein bisschen halbherzig"

Moderation: Birgit Kolkmann · 13.04.2006
Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk, hat die EU-Kritik am mangelhaften Nichtraucherschutz in Deutschland zurückgewiesen. Die EU subventioniere den Tabakanbau und habe bislang keine einheitlichen Preise für Zigaretten in Europa durchgesetzt, sagt die SPD-Politikerin.
Birgit Kolkmann: Deutschland ist führend im Umweltschutz, aber Nichtraucher werden hierzulande nicht vor den Folgen des blauen Dunstes geschützt. Ein Land ohne Nichtraucherschutz. Die Tabakindustrie hat eine mächtige Lobby und Verbindungen in die Politik, und die europäische Richtlinie über das Tabakwerbeverbot versucht die Bundesregierung gerade auf juristischem, auf Klagewege, zu verändern. Ganz anders geht es in Spanien, Italien, Irland und Großbritannien: Nichtrauchergesetze verbieten das öffentliche Rauchen; Zigaretten dürfen in fast allen größeren Restaurants nur in extra ausgewiesenen Zonen angezündet werden. In Großbritannien würde sich kein Politiker mit einem Vertreter der Tabakindustrie treffen, man redet gar nicht miteinander. 140.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland an den Folgen des Rauchens. 17 Milliarden Euro kosten die Schädigungen die Krankenkassen. In der Ortszeit begrüße ich die Staatssekretärin im Gesundheitsministerium und frühere Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Guten Morgen, Marion Caspers-Merk.

Marion Caspers-Merk: Guten Morgen, Frau Kolkmann.

Kolkmann: Frau Caspers-Merk, warum tut die Bundesregierung so wenig, diese Erkenntnisse in konkrete Politik umzusetzen?

Caspers-Merk: Erstens haben wir, als ich Drogenbeauftragte war, vier Dinge gemacht, die auch sehr wirksam sind. Wir haben die Tabaksteuer erhöht, in drei Schritten. Das hat dazu geführt, dass insbesondere die jugendliche Raucherquote gesunken ist. Wir haben zweitens ins Jugendschutzgesetz eine Regelung gemacht, die jetzt zum 1.1.2007 greifen wird, dass Tabakautomaten, also Zigarettenautomaten, entweder abgehängt werden müssen, oder mit einer Sperre versehen werden müssen, damit Jugendliche sich nicht dort bedienen. Wir haben drittens dafür gesorgt, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung mit dem Hotel- und Gaststättenverband abgeschlossen wurde. Es ist so, dass in Österreich und den Niederlanden der selbe Weg gegangen wird. Also die Tabakpolitik ist in der EU sehr uneinheitlich. Ich selbst könnte mir auch mehr vorstellen, und dass die WM rauchfrei sein soll, dass wir also Aufforderungen in den Stadien senden werden "please stop smoking", das finde ich ein weiteres wichtiges öffentliches Zeichen.

Kolkmann: Ganz schlechte Noten hat die Bundesrepublik aber auch in einer Studie der University of California bekommen. Die Tabaklobby habe hier wesentlich größeren Einfluss als in anderen westlichen Staaten. Woran liegt denn das?

Caspers-Merk: Diese Studie bezieht sich auf die Politik der 80er Jahre unter der Regierung Kohl. Das mag dort so sein. Ich habe jedenfalls die Maßnahmen, die in sieben Jahren Rot-Grün gemacht worden sind, aufgezählt und ich habe nicht den Eindruck, dass wir hier zu einer Umkehr der Politik kommen. Für uns, aus gesundheitspolitischer Sicht, ist nach wie vor Rauchen das größte gesundheitliche Risiko und deswegen müssen wir auch den Nichtraucherschutz verstärken. Aber man muss ehrlicherweise sagen, in Deutschland haben die Klage gegen das Tabakwerbeverbot vor allen Dingen die Zeitungsverleger initiiert. Also man soll sich hier keine weiße Weste machen, sondern hier waren es vor allen Dingen die Verleger, die Druck auf die Bundesregierung ausgeübt haben, deswegen kam es zur Klage. Wir wollen die Klage jetzt abwarten. Wenn die Klage negativ ausgeht, dann wird umgesetzt. Die Vorbereitungen dazu sind getroffen.

Kolkmann: Aber wie kann denn die Bundesregierung eine Klage auf den Weg bringen, nur durch Druck der Zeitungsverleger?

Caspers-Merk: Es ging ja um zwei Dinge. Zum einen haben die Zeitungsverleger argumentiert, dass die EU-Regelung zu weit in die Tiefe geht. Dieses Argument hat sich die Bundesregierung zu eigen gemacht, denn hier wird etwas geregelt, für was die EU gar nicht zuständig ist. Also zum Beispiel die Regionalzeitungen, ob die noch Werbung abdrucken dürfen, oder nicht, die überhaupt keine grenzüberschreitende Bedeutung haben. Und das zweite war, dass man grundsätzlich wissen wollte, welche Möglichkeiten hat die EU, die nationalen Spielräume einzuschränken. Und ich finde die EU-Kritik ein bisschen halbherzig, weil man ja auf der anderen Seite doch einmal sehen muss, dass in der EU nach wie vor der Tabakanbau subventioniert wird und dass es gerade dem EU-Kommissar bislang nicht gelungen ist, wenigstens einheitliche Preise in Europa durchzusetzen für Zigaretten. Wenn wir Richtung Osteuropa, den neuen Mitgliedsstaaten, ein anderes Preisgefälle hätten, dann hätten wir auch ein deutliches Signal, dass sich der Schmuggel und der illegale Import hier nicht lohnt.

Kolkmann: Nun fragt man sich aber doch, warum der Staat seine Verantwortung nicht stärker wahrnimmt, seine Fürsorgepflicht, wenn es darum geht, umzugehen mit allem, was Sucht hervorruft? Ob das Nikotin ist, oder Alkohol, oder auch Glücksspiel.

Caspers-Merk: Ich glaube, wir haben bei allen dreien einiges jetzt an Schritten auch gemacht. Arbeitnehmer haben in Deutschland das Recht auf einen rauchfreien Arbeitsplatz, und immer mehr Firmen werden rauchfrei. Ich habe letztes Jahr eine Kampagne für rauchfreie Krankenhäuser gestartet. Immerhin 33 von 2000 Krankenhäusern sind rauchfrei, aber es könnten natürlich noch ein paar mehr werden.

Kolkmann: Ausgerechnet Krankenhäuser!

Caspers-Merk: Ja, ausgerechnet Krankenhäuser! Und wir haben eine Kampagne rauchfreie Schulen gestartet. Sie wissen, leider ist der Bund dafür gar nicht zuständig, sondern die Länder. Und immerhin 10 der 16 Bundesländer haben sich dazu durchgerungen, auch in der Schule Rauchverbote auszusprechen. Aber ich gebe Ihnen zu, dass wir das ganz große Rauchverbot, wie es andere Länder haben, nicht durchgesetzt haben. Ich hätte gerne mehr gewollt, aber es ist zumindest ein Start.

Kolkmann: Ein Start ist es sicherlich. Trotzdem, wenn wir über Folgeschäden, die die Krankenkassen zu tragen haben, 17 Milliarden im Jahr, sprechen und gleichzeitig über eine Gesundheitsreform, die auch vor allen Dingen kosteneinsparend wirken soll, ist es dann nicht angesagt, dass man doch etwas mehr herangeht an solche Dinge wie Nichtraucherschutz und Tabakwerbeverbote, weil man auf diese Weise die Volksgesundheit ganz anders beeinflussen kann?

Caspers-Merk: Also ein reines Tabakwerbeverbot und eine reine Erhöhung der Tabaksteuer und ein reines Verbot des Rauchens in öffentlichen Gebäuden allein bringt nichts.

Kolkmann: Fünf Prozent weniger, in anderen Ländern, an Konsum.

Caspers-Merk: Das haben internationale Studien erwiesen. Was etwas bringt ist ein Policymix: Sie müssen das teuerer machen, Sie müssen die Präventionsbotschaften verstärken und Sie brauchen klare Regelungen. Bei den ersten zweien sind wir ganz gut, beim letzten können wir noch aufholen. Richtig ist auch, dass Rauchen das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko ist und dass der Staat weniger an Tabaksteuer einnimmt, als er für die Risiken des Rauchens und für die Krankheiten ausgibt. Insofern will ich auch weitere Schritte gehen. Und die föderalen Staaten haben alle keine Rauchverbote durchgesetzt, sondern die Niederlande und Österreich haben den selben Weg eingeschlagen, wie wir, weil es eben mit den Ländern schwierig ist. Und nach der Föderalismusreform wird es noch schwieriger sein, dass man auf Bundesebene ein Rauchverbot durchsetzt.

Kolkmann: Vielen Dank, Marion Caspers-Merk, Staatssekretärin im Gesundheitsministerium und frühere Drogenbeauftragte der Bundesregierung.