"Ich bin sicher pessimistisch"

Von Bettina Ritter · 27.07.2011
Die CD "1983" ist nach ihrem Geburtsjahr benannt. "Ich war nicht so das gute Weinjahr", meint die 28-jährige Schweizer Sängerin Sophie Hunger. Sie ist derzeit in Deutschland auf Tournee.
Sophie Hunger: "Ja, ich bin sicher pessimistisch. Das ist nicht eine Charaktereigenschaft. Mein momentaner Informationsstand führt zu Pessimismus."

"Ich glaube, wir sind einfach der bisher historisch erfolgreichste Versuch von so was wie Unmündigkeit. Wir sind so sehr Teil von diesem System, dass sogar unsere Kritik Platz hat in diesem System."

Sophie Hunger ist aufmerksam und kritisch. Dabei geht sie behutsam mit ihren Worten um. Die 27-Jährige überlegt lang, will, dass alles, was sie sagt, genau das ausdrückt, was sie meint. Auch in ihrer Musik. In ihren Liedern beschäftigt sich die Schweizerin oft mit gesellschaftlichen Entwicklungen, die sie – natürlich – kritisch sieht.

Sophie Hunger: "Wir hatten ja zum Beispiel diese Wirtschaftskrise. Parallel dazu haben wir, wenn man den wissenschaftlichen Erkenntnissen glaubt, eine ökologische Katastrophe vor uns. Und das ist etwas, das allgemein bekannt ist. Und dennoch sehe ich keine Massen-Aufstände, keine Demonstrationen, kein revolutionäres Gedankengut in irgendeiner Form. Abends zum Bier tun sich dann alle ein bisschen kritisch äußern und haben vielleicht ein Che-Guevara-T-Shirt an. Das ist dann die Kritik. Die geht dann so weit, aber nicht weiter."

Dass sie selbst ein Teil dieser von ihr angeprangerten Unmündigkeit ist, das ist Sophie Hunger klar. Ihre Befreiung daraus ist die Musik. In ihren Texten klagt die Schweizerin Phänomene der Gesellschaft an. Die Fremdenfeindlichkeit, die Oberflächlichkeit der Medien und die Ich-Bezogenheit jedes Einzelnen. Die erreiche ihren Höhepunkt da, wo sich Menschen ihre ganz eigene Religion zusammenbasteln, singt Sophie Hunger in ihrem Lied "Personal Religion".

Sophie Hunger: "Ich habe bis jetzt noch nicht herausgefunden, was jetzt die beste Version wäre, um sich die Welt und das Leben vorzustellen. Ich glaube, ich habe da einen nicht sehr ernsthaften Bezug zu solchen Psychologisierungen. Es ist sogar so, dass ich glaube, dass es für die Gesellschaft im Allgemeinen schlecht ist, dass wir alle so viel Zeit damit verbringen. Und wir vielleicht eher wieder versuchen sollten, auf einer solidarischen Grundlage uns über uns Gedanken zu machen, was wir als Gesellschaft genau im Begriff sind zu tun."

Die große, schlanke Frau mit den dunkelbraunen, glatten Haaren wurde in gesellschaftliche Debatten hineingeboren. Ihre Mutter Myrtha Welti ist die ehemalige Generalsekretärin der Schweizerischen Volkspartei, ihr Vater Philippe Welti ist Diplomat. Deshalb zieht die Familie mit den drei Kindern oft um, Sophie wächst in ihrer Heimat Bern, in Bonn und London auf. Heute lebt sie allein in Zürich. Ihr Geburtsjahr ist gleichzeitig der Titel ihres zweiten Albums: 1983.

Song-Text:
"Guten Morgen 1983, wo sind Deine Kinder?
Ich bin zu Dir zurückgekehrt, nur kurz, noch nicht für immer
1983, zeig mir Deine Finger!
Man fragt nach Deinem Abdruck"

Es war nicht so ein gutes Weinjahr. Als Kind hat mich das immer gestört. Weil, in meiner Familie wird viel Wein getrunken, und mein Bruder ist 1982 geboren, und das war ein "tolles Weinjahr". Und immer wenn sie einen Wein aus '82 hatten, hieß es, das war das gute Weinjahr. Und ich war nicht so das gute Weinjahr.

Sophie Hunger ist die einzige Musikerin in ihrer Familie. Ihr Großvater väterlicherseits, Arthur Welti, war Schauspieler, Autor und Sprecher von Hörspielen. Ihr Urgroßonkel Albert Welti war Maler. Ihr Vater, erzählt sie, wollte immer Clown werden und sei froh, dass wenigstens eines seiner Kinder "so etwas Ähnliches" mache. Dass sie Musikerin geworden ist, sei einfach so passiert. Als Kind bringt sie sich das Klavier- und Gitarre spielen selbst bei. Die Autodidaktin lehnt es ab, ihre Musik zu analysieren.

Ich weiß, dass es für mich einfach sehr wichtig ist, von nichts auszugehen. Und wenn ich am Anfang schon genau wüsste, wie ich das jetzt mache und wie das klingen soll und wohin das zielt, dann bin ich ja vollkommen befangen und gefangen in einer bestimmten Idee. Also, es ist auch gar nicht hilfreich, so viel zu wissen über Musik. Das macht einen vielleicht auch unfrei.

Die vergangenen Jahre hat Sophie Hunger fast ausschließlich ihrer Musik gewidmet. Sie war auf Tour, hat zwei Alben produziert, Lieder geschrieben und komponiert. Das macht die Schweizerin in vier Sprachen. Welche sie für welches Lied benutze, sei keine bewusste Entscheidung. Egal ob Französisch, Englisch, Deutsch oder Schweizer Mundart. Die Sprachen helfen der Musikerin, das zu tun, was ihr am wichtigsten ist: Möglichst genau das zu sagen, was sie meint.

Wir versuchen ja dauernd mit Sprache was zu sagen. Aber gleichzeitig wissen wir ja, dass es immer nur eine Übersetzung ist von dem, was wir eigentlich sagen möchten. Aber wir können ja nur sprechen.

Service:
Sophie Hunger ist noch bis 23. August 2011 in Deutschland auf Tour. Am Sonntag tritt sie beim Würzburger Hafensommer auf. Dann folgen Stationen in Landsberg am Lech, Hannover und zum Zeltfestival Ruhr in Bochum.