"Ich bin ein Berliner"

Von Peter Hölzle · 26.06.2013
Den Spruch des US-Präsidenten Kennedy nahm die Berliner Bevölkerung am 26. Juni 1963 begeistert auf. 15 Jahre nach der Luftbrücke der Alliierten geriet der erste Berlin-Besuch eines US-Staatschefs seit dem Mauerbau zum Triumphzug mit höchster politischer Symbolkraft.
"‘Berlin grüßt Kennedy‘ steht auf einem Gerüst … und daneben Maler auf riesigen Leitern, die … den Präsidenten … in ihren weißen Kitteln grüßen. … Wir … können jetzt … sehr schön den Wagen des Präsidenten sehen, der nach rechts und nach links winkt und sich … für diesen herzlichen Empfang bedankt."

So schildert ein Reporter des ‚Senders Freies Berlin’ am 26. Juni 1963 die Ankunft des amerikanischen Präsidenten im Westteil der Stadt. Die Fahrt in der offenen Staatskarosse wird zum Triumphzug. Menschenmassen säumen die Straßen, auf denen John F. Kennedy das Pflichtprogramm für ausländische Staatsgäste absolviert: Kongresshalle, Brandenburger Tor mit Blick über die Mauer, Checkpoint Charlie, Schöneberger Rathaus.

Die Westberliner wissen, warum sie jubeln. Der jugendlich wirkende Sonnyboy, der da lächelnd an ihnen vorüberfährt, ist der Garant ihrer Freiheit, die seit Kriegsende immer wieder bedroht war: erst 1948/49 durch die Berlin-Blockade, dann durch mehrere Berlin-Krisen und schließlich durch den Mauerbau, der noch nicht einmal zwei Jahre zurückliegt. Wir sind im Kalten Krieg, und Westberlin ist eine kleine Freiheitsinsel inmitten eines sowjetischen Satellitenstaates namens DDR. Insofern ist der Besuch des US-Präsidenten eine Solidaritätsbekundung für den freien Teil der Stadt, die diesen Besuch schon früher erwartet hatte.

"Der Bundeskanzler Adenauer befindet sich in einem sehr angeregten und offensichtlich auch heiteren Gespräch mit Berlins Regierendem Bürgermeister Willy Brandt, während sich John F. Kennedy zur rechten Seite des Wagens herausbeugt und die Menschen grüßt","

berichtet ein weiterer Reporter direkt von der Fahrstrecke. Er weiß augenscheinlich nicht, dass der harmonische Schein, der aus dem Präsidentenfahrzeug nach außen vermittelt wird, trügt. Hatte nicht Kanzler Adenauer, kaum dass Kennedy am 23. Juni 1963 in Köln-Wahn gelandet war, den hohen Gast überdeutlich an ein Versprechen erinnert?

""Ihr Besuch, Herr Präsident, ist eine politische Tat. Am 10. Juni erklärten Sie vor der Universität von Washington, dass die Vereinigten Staaten zu ihrer Verpflichtung stehen, Westeuropa und West-Berlin zu verteidigen."

Und hatte nicht gerade Berlins Regierender Bürgermeister Brandt bei Kennedys Eintreffen in Tegel Adenauers Wink mit dem Zaunpfahl eine Absage erteilt?

"Wir erwarten in Berlin nicht immer neue Beteuerungen gegebener Garantien, denn wir vertrauen unseren Freunden, und sie können sich auch auf uns verlassen."

So distanziert das Verhältnis des alten CDU-Kanzlers zum vergleichsweise jungen Berliner SPD-Bürgermeister aller zur Schau gestellten Freundlichkeit zum Trotz war, so distanziert war es zum amerikanischen Präsidenten. Adenauer misstraute Kennedy und seiner Administration. Ihm schwante, dass seine kompromisslose Politik der Nichtanerkennung der DDR über kurz oder lang der neuen amerikanischen Entspannungspolitik geopfert werden würde, zumal er selbst nur mehr Kanzler auf Abruf war. Im Herbst 1963 würde er einem ungeliebten Nachfolger namens Ludwig Erhard Platz machen müssen.

Derweil ist der Konvoi mit Kennedy, Adenauer und Brandt vor dem Schöneberger Rathaus angelangt. Vor einer vieltausendköpfigen Menschenmenge ergreift der amerikanische Präsident das Wort und sichert sich mit den folgenden Sätzen einen Platz in den Herzen der Berliner und in den Geschichtsbüchern:

"Freedom is indivisible. And when one man is enslaved, all are not free … Die Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind alle nicht frei. Aber wenn der Tag gekommen sein wird, an dem alle die Freiheit haben und Ihre Stadt und Ihr Land wiedervereint sind … , dann können Sie mit Befriedigung von sich sagen, dass die Berliner und … Berlin zwanzig Jahre lang die Front gehalten haben. Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt West-Berlin, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: ‚Ich bin ein Berliner’."