"Ich bin eben einfach so ein Feigling"

David Sedaris im Gespräch mit Joachim Scholl · 17.11.2008
Der US-Autor David Sedaris füllt in Amerika ganze Hallen und ist auch in Deutschland mit seinen ironischen, absurden Erzählungen sehr erfolgreich. Seine Stoffe findet Sedaris, "weil ich so furchtbar schüchtern bin. Ich passe mich sozusagen an, so entwickeln sich dann die Geschichten. Die meisten Menschen würden solche Geschichten vorher irgendwie unterbrechen."
Joachim Scholl: Er ist 1956 im Staat New York geboren, in South Carolina aufgewachsen. Er ist schwul, lebt mit seinem Freund in Paris und in der Normandie, konsumiert ab und an illegale Drogen. Und all diese Dinge, Herkunft, Familie, sexuelle Orientierung, persönliche Leidenschaften hat er zum Stoff seiner Arbeit gemacht, der Autor, der Essayist, der Radiomoderator und vielfach preisgekrönte Humorist David Sedaris. Seit seinem Buch "Nackt" kennen und lieben ihn auch Hunderttausende von deutschen Lesern. Jetzt gibt es ein neues Buch von ihm auf Deutsch. Ich grüße Sie! Hello David Sedaris!

David Sedaris: Guten Tag!

Scholl: Jeder Amerikaner, Herr Sedaris, der uns zurzeit über den Weg läuft, kommt nicht drum herum, uns seine Ansicht zu Barack Obama zu liefern. Gerade bei einem Mann wie Ihnen interessiert uns das umso mehr, weil Sie in Ihren Büchern ja auch stets so auf die Kleinigkeiten und die scheinbaren Nebensächlichkeiten achten. Was sagen Sie zu Ihrem neuen zukünftigen Präsidenten?

Sedaris: Bevor ich hierher nach Deutschland gekommen bin, führte mich eine Lesetour durch Australien, Brasilien, England, Schottland, Irland, die Niederlande und überall sagten mir die Leute, Amerika wird doch niemals einen schwarzen Präsidenten wählen. Und ich antwortete dann darauf, vielleicht, aber halb Amerika wird sicherlich einen halb schwarzen Präsidenten wählen. Und so ist es auch gekommen.

Scholl: Sie leben hauptsächlich in der Normandie mit Ihrem Partner zusammen, sind also gewissermaßen ein Amerikaner im Exil. Warum eigentlich?

Sedaris: Nun, bevor ich diesmal nach Deutschland kam, habe ich mehr Zeit in London verbracht. Ich bin eigentlich nur ein bisschen hin- und hergependelt. Ich hätte jetzt auch schon Anrecht auf einen britischen Pass mit dieser Greencard. Ursprünglich war ich erst mal für beschränkte Zeit nach Frankreich gegangen. Ich wollte die Sprache lernen, aus einem Jahr wurden dann zehn Jahre. Und wissen Sie, ich hatte 40 Jahre in den USA gelebt, das reichte mir. Es gefällt mir einfach, ein Ausländer zu sein. Wenn man im Ausland lebt, dann ist man für nichts verantwortlich.

Scholl: Viele Leser fragen sich, wie kommt der Mann eigentlich immer zu seinen Geschichten. Man hat den Eindruck, Sie brauchen bloß aus der Tür zu treten, einmal um sich zu schauen und haben schon wieder Stoff zum Schreiben. Gibt es einen besonderen David-Sedaris-Blick oder sehen wir normale Menschen nur nicht richtig hin?

Sedaris: Ich glaube, es gibt eigentlich nur eines, was zu meinen Gunsten spricht, und das ist, dass ich eben kein aggressiver Mensch bin. Ich bin ein Feigling. Ich sage nicht, halt, keinen Schritt weiter, das gefällt mir so nicht. Andere würden das so machen. Aber ich sage, gut, so ist es eben. Dann entwickelt sich das weiter und weiter. Ich passe mich sozusagen an, so entwickeln sich dann die Geschichten. Die meisten Menschen würden solche Geschichten vorher irgendwie unterbrechen. Ich tue das nicht, einfach weil ich so furchtbar schüchtern bin.

Scholl: Mir gefiel jetzt in diesem neuen Buch am besten, David Sedaris, wie Sie von einem Businessclassflug erzählen und ganz eingeschüchtert sind. Und dann schreiben Sie, typisch, man bezahlt 8000 Dollar für so einen Flug und traut sich dann nicht, die Stewardess um ein zweites Schälchen Erdnüsse zu bitten.

Sedaris: Zweimal im Jahr fahre ich ja auf Lesereise in die USA. Die Veranstalter bezahlen mir dann auch so einen Flug in der Businessklasse von Paris in die USA. Und da ist es ja so, man bekommt dann zum Nachtisch Eis oder einen Karamellpudding oder Erdnüsse. Aber es dauerte Jahre, bis ich mich traute, überhaupt eine zweite Portion Eis zu verlangen. 8000 Dollar für das Ticket einerseits und 30 Cent für das Eis. Das scheint im Missverhältnis zu stehen. Und dennoch habe ich lange damit gerungen. Ich bin eben einfach so ein Feigling.

Scholl: Der amerikanische Autor David Sedaris ist im Deutschlandradio Kultur zu Gast. Ein gewichtiger Teil Ihres neuen Buches ist dem Rauchen gewidmet bzw. dem Nichtrauchen. Mister Sedaris, ich muss an dieser Stelle sagen, dass alle rauchenden Leser vermutlich schwer enttäuscht sind. Jahrelang haben Sie die Kippe gewissermaßen hoch gehalten, waren einer der letzten beinharten Kettenraucher, jetzt sind Sie eingeknickt, das ist eigentlich merkwürdig und das müssen Sie uns erklären.

Sedaris: Ja, wissen Sie, der einzige Grund, warum ich mit dem Rauchen aufgehört habe, ist ja, dass ich zweimal im Jahr diese Lesereisen durch Amerika habe. 60 Tage verbringe ich pro Jahr in guten Hotels und die wirklich guten Hotels sind ja mittlerweile alle reine Nichtraucherhotels. Man kann nirgendwo mehr rauchen. Und es ist auch nicht so, dass man einfach irgendwo rausgehen kann und sich dann eine Kippe anstecken kann. Ich bin ja ein starker Raucher gewesen. Da sagte man mir, ja, wir geben ihnen ein Zimmer mit Terrasse. Da sagte ich darauf, ja, dann müssen sie aber auch das Bett, dann müssen sie auch meinen Schreibtisch auf die Terrasse stellen, damit ich wirklich so rauchen kann, wie ich will. In den guten Hotels war für mich kein Auskommen mehr. Und dann habe ich nur ein paar Mal, fünf Wochen, in einem schlechten Hotel gewohnt und da war ich dann kuriert. Einfach, um weiterhin in guten Hotels wohnen zu können, musste ich auf das Rauchen verzichten. Es hatte überhaupt nichts mit Gesundheit zu tun.

Scholl: Sie waren jetzt gerade auf Ihrer aktuellen Lesereise in Deutschland. Ich vermute, dass Sie dort wieder ordentlich Stoff für neue Geschichten getankt haben, oder?

Sedaris: Tja, ich trage ständig ein Notizbuch mit mir herum. In das schreibe ich alles rein, was so um mich herum geschieht. Und das Gute ist ja bei solchen Lesereisen, dass man mit vielen Menschen ins Gespräch kommt. Mancher erzählt mir dann etwas und ich probiere das gleich bei der nächsten Person oder bei dem übernächsten Menschen aus. Tja, ganze Geschichten? Das weiß ich nicht. Aber ich bekomme kleine Teile von Geschichten, all die absonderlichen Einzelheiten, die ich dann weiterverarbeiten kann. Und das Besondere hier in Deutschland ist, es ist so schwer für mich, deutsche Wörter auszusprechen. Ich bin aber ein passionierter Sammler von langen deutschen Wörtern und ich frage oft, was ist das längste Wort, dass du mir sagen kannst. Ich höre dann ein Wort mit 28 Buchstaben. Aber das Schlimme ist, ich kann es einfach nicht aussprechen.

Scholl: Mir zeigt David Sedaris jetzt gerade seinen Notizblock und da steht das Wort Militärdienstuntauglichkeit. So try, Mister Sedaris, Militärdienstuntauglichkeit.

Sedaris: Militärdienstuntauglichleit. Die Wörter sind halt so lange, dass man in der Mitte schon vergisst, was man am Anfang gesagt hat. Lebensgefällter ...

Scholl: Lebensabschnittsgefährte. Hm, das ist auch ein schönes Wort.

Sedaris: Ein Wort, das so lange ist, dass man an seinem Partner jedes Interesse verloren hat, wenn man das Wort mal ausgesprochen hat.

Scholl: Mister Sedaris, jetzt werden wir den ersten schwarzen amerikanischen Präsidenten haben. Werden wir jemals einen Präsidenten der Vereinigten Staaten haben, der wieder raucht?

Sedaris: Ja, aber Obama raucht doch, er ist doch ein Raucher. Er schnorrt Zigaretten bei anderen und raucht die dann. Er ist im engeren Sinne kein Raucher, das kann er sich auch gar nicht leisten. Das ist in Amerika nicht zulässig. Man kann ein Vorstrafenregister haben, ab und zu mal Drogen verkauft haben, aber ein richtiger Raucher zu sein, das geht nicht an in den USA. Und mir gefällt das hier auch. Immer wieder werde ich gefragt, rauchen Sie? Und ich sage, nein, ich rauche nicht, ich rauche nur etwa acht Zigaretten. Und die Leute verstehen das nicht. Sie wollen immer Entweder-oder haben. Alles muss so streng getrennt sein in den USA.

In Italien und Frankreich übrigens, da waren die Leute doch ganz wild aufs Rauchen. Plötzlich kommt die Regierung her und sagt, hört auf zu rauchen, und die Leute folgen. Hier in Deutschland sind die Leute nicht gefügig. Die sind ein bisschen verrückter, und das gefällt mir auch an Deutschland, dass die verrückter sind.

Scholl: Danke schön, David Sedaris! Alles Gute für Sie! Das war der Autor David Sedaris. Sein neuestes Buch "Schöner wird's nicht" ist jetzt im Karl Blessing Verlag erschienen. Thanks for the visit!

Sedaris: Oh, thank you for having me!
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