Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin

"Wir machen hier eine echte Revolution"

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© Deutschlandradio
Von Kemal Hür · 19.09.2017
"Es wurde Zeit, dass auch Frauen Imame werden können und dass alle gemeinsam beten." Bislang sind es nur rund 30 Menschen, die der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin angehören. Doch die Anhänger sind begeistert.
Gebetsruf. Und die wichtigste Frage der Journalisten betrifft mittlerweile nicht die islamische Theologie, sondern die Gründerin der liberalen Moschee, Seyran Ateş:
"Fürchten Sie um Ihr Leben?"
"Nicht wirklich, weil ich geschützt werde. Aber ich traue mich allein nicht aus dem Haus. Das mache ich nicht mehr."
Seyran Ateş steht unter Polizeischutz, weil sie eine liberale Moschee gegründet hat. Liberal bedeutet: Frauen und Männer beten gemeinsam in einem Raum. Frauen müssen nicht, dürfen aber ein Kopftuch tragen. Und sie dürfen auch vorbeten. Der konservative Islam verbietet all das.

Todesdrohungen: im Internet und auf der Straße

Ateş wird wegen ihrer Moschee nicht nur kritisiert und beschimpft. Sie bekommt sogar Todesdrohungen, anonym im Internet genauso wie auch auf offener Straße, erzählt sie:
"Auf der Straße bin ich von drei Männern – einer war aktiv, die anderen haben zugeschaut – angegriffen worden. Er sagte am Ende: Du stirbst bald. Es hat jemand bei mir angerufen, mich beschimpft und hat gesagt: Du stirbst bald. Es gibt Nachrichten, wo zum Beispiel jemand eine Pistole abgebildet hat und darunter geschrieben hat: Bald! Dann in türkischer und deutscher Sprache: Du verbrennst in der Hölle, jemand soll ihren Kopf gegen die Wand schlagen."
Doch die Anwältin Ateş lässt sich nicht einschüchtern. Ihr Projekt ist noch sehr jung. Aber Ateş sieht es bereits als einen Aufbruch im Islam.
"Wir machen hier eine echte Reform, eine echte Revolution, weil wir sagen: Im 21. Jahrhundert lassen wir uns nicht mehr von den Orthodoxen unterdrücken. Wir haben eine freiere Welt und hoffen, dass wir in der Demokratie in Deutschland, in diesem Rechtsstaat es schaffen, dieses freie Leben auch umzusetzen. Die Orthodoxen sind nach wie vor so gewaltbereit und so wenig dialogbereit, dass sie uns nicht leben lassen wollen."
Ob aus dem Moschee-Projekt eine Revolution ausgehen wird, das lässt sich nicht vorhersagen. Ateş und ihre Mitstreiter stehen noch am Anfang ihres Weges. Fakt ist aber, dass ein liberaler Gebetsraum keine Erfindung von Seyran Ateş ist. Solche Räume gibt es in mehreren Ländern, genauso wie liberale Strömungen im Islam seit Jahrhunderten existieren.
In Deutschland ist seit 2010 der eingetragene Verein Liberalislamischer Bund um die Religionspädagogin Lamya Kaddor aktiv. Aktuell ist Nuşin Atmaca die Vorsitzende:
"Wir bieten geschlechtergerechte Gebete an, Frauen beten vor. Wir schließen Ehen zwischen Musliminnen und Nicht-Muslimen. Wir würden auch Ehen schließen zwischen Menschen gleichen Geschlechts, die eine solche Ehe anstreben, vorausgesetzt eine Person ist Muslim. Gleichzeitig ist es natürlich auch so, dass das liberalislamische Spektrum heterogen ist, dass es nicht heißt, dass es nur einen einzigen Akteur geben muss, sondern auch, wenn man gewisse Ziele teilt, es durchaus Unterschiede geben kann."

Zahl der Gemeindemitglieder sei nicht wichtig

Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee ist auch nach drei Monaten nur ein Gebetsraum im dritten Stock der evangelischen St. Johanniskirche im Berliner Stadtteil Moabit. Der etwa 60 Quadratmeter große Raum hat weder eine Kuppel noch eine Gebetsnische; weiße Wände, weißer Teppich, drei große Fenster an der Längsfassade.
Zum Freitagsgebet rollt jeder Gläubige einen kleinen Gebetsteppich aus. Es kommt nur eine Handvoll Muslime in diesen Raum. Ateş spricht zwar von 30 Personen, die zu ihrer Gemeinde gehören sollen. Aber die Zahl der Gemeindemitglieder sei nicht wichtig, sagt sie.
"Wir sind noch nicht eine Bewegung von Tausenden, die anwesend sind. Aber wir sind eine Bewegung von Millionen, weil wir weltweit Reaktionen nicht nur hervorgerufen haben, sondern seit Jahrzehnten wissen, dass weltweit Menschen auf so etwas warten. Ob jetzt acht Leute oder 25 Leute hier beim Gebet sind, ob mehr Kameraleute da sind und wenige Gläubige, das ist nicht ausschlaggebend."
Einer der Handvoll Muslime, die regelmäßig zum Freitagsgebet kommen, ist Mohammed El Kateb. Der Ägypter lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Er habe sich bislang in keiner Moschee wohlgefühlt, sagt er:
"Die meisten Moscheen in Deutschland sind entweder türkisch; sie sprechen nur Türkisch. Das verstehe ich nicht. Oder sie sind arabisch; sie sprechen Arabisch, aber sie sind mehr fundamentalistisch oder mehr salafistisch. Ich habe in manchen Moscheen Auseinandersetzungen mit dem Imam, dem Vorbeter, gehabt, dass sie meine Kritiken nicht angenommen haben. Und als ich von einer liberalen Moschee, die für alle offen ist, gehört habe, war ich begeistert und habe sie besucht. Und ich habe mich hier gefunden."
Die 18-jährige Miriam trägt ein schwarzes Kopftuch, eine Jeansjacke und hat in der Nase und der Unterlippe mehrere Piercings.
"Ich finde, es ist ein geniales Projekt. Es wurde Zeit, dass auch Frauen Imame werden können und dass alle gemeinsam beten, dass die Frauen nicht in der hintersten Ecke in der Garage beten müssen. Ich hoffe, es wird noch größer – in ganz Deutschland am besten."

In einem Rechtsgutachten als unislamisch verurteilt

Tatsächlich gibt es Pläne, weitere liberale Moscheen in Deutschland zu gründen. Widerstand kommt vor allem aus dem Ausland. Eine der weltweit höchsten islamischen Instanzen, die ägyptische Fatwa-Behörde, hatte in einem Rechtsgutachten das gemeinsame Beten von Männern und Frauen in der liberalen Berliner Moschee als unislamisch verurteilt.
Das türkische Religionsamt in Ankara, die Mutterorganisation des deutschen Moscheeverbands DITIB, hatte Ateş und ihrer Moschee sogar vorgeworfen, den Islam zu pervertieren. Bei einem Solidaritätsbesuch der liberalen Moschee forderte Grünen-Chef Cem Özdemir die politisch Verantwortlichen zur Wachsamkeit auf – besonders im Hinblick auf den Einfluss ausländischer Institutionen und Regierungen:
"Wenn der Koran auf dem Boden unserer Verfassung so oder so ausgelegt wird, dann entscheiden das Gläubige hier und müssen dafür weder in Kairo noch in Ankara, noch in Riad, Teheran oder sonst wo um Erlaubnis dafür fragen. Das muss man in Ankara vielleicht noch ein bisschen deutlich machen, dass wir andere Gesetze haben. Und die werden wir wegen dem Operettensultan vom Bosporus sicherlich nicht ändern."
Der Dialog innerhalb der Muslime würde in Deutschland besser funktionieren, sagt Özdemir, wenn sich ausländische Regierungen oder deren Religionsbehörden nicht einmischen würden. Verbände wie die deutsche DITIB müssten sich von ihren Herkunftsländern lösen und zu Vertretern der Muslime in Deutschland werden. Auch das Innen- und Außenministerium haben die Einmischung der türkischen Religionsbehörde mit ungewohnt deutlichen Worten verurteilt. Die konservativen Islamverbände in Deutschland haben bislang auf die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee nicht reagiert.
Der Einfluss aus dem Ausland aber wirke bis in die einfache Bevölkerung hinein, sagt Seyran Ateş:
"Das Traurige an dem, was wir hier sehen, ist: Es ist nicht der IS-Staat, es ist nicht Al-Kaida, es ist nicht Boko Haram, es ist auch nicht Taliban oder Hamas, auch nicht Salafisten, also Extremisten, die wir bekämpfen wollen, die uns Anfeindungen schicken. Schauen Sie bitte in die sozialen Medien. Das ist der Nullachtfünfzehn-Bürger. Es sind Leute, die uns bisher immer weißmachen wollten, sie sind die Liberalen."
Diese Menschen wolle die liberale Moschee erreichen, sagt der Islamwissenschaftler Abdel Hakim Ourghi, Mitstreiter von Seyran Ateş und ebenso Gesellschafter der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee.
"Wir sehen, dass Muslime über ihre eigene Religion nicht informiert sind. Und wir liberale Muslime haben die Aufgabe, diese Menschen zu informieren über ihre eigene Geschichte, über die eigene Religion. Wir möchten dadurch die so genannten konservativen Muslime entmachten. Wir möchten denen die Deutungshoheit strittig machen."
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