Hummer-Nachwuchs für Helgoland

Von Dietrich Mohaupt · 07.08.2013
Auf der Nordseeinsel Helgoland versuchen Biologen, den vom Aussterben bedrohten Hummer wieder anzusiedeln. Unterstützt werden die Artenschützer von sogenannten Hummerpaten, die die Aufzucht durch Spenden unterstützen. So konnten seit 2003 rund 15.000 Exemplare ausgewildert werden.
Dicht an dicht stehen die Aquarien und Kunststoffgefäße gestapelt – Platz für insgesamt 1200 junge und 70 ausgewachsene Hummer. Im Meerwasserlabor der Biologischen Anstalt des Alfred-Wegener-Instituts auf Helgoland ist Auswilderungstag – die Hummer, die sich hier tummeln, sind seit einem Jahr mühsam gezüchtet worden. Jetzt soll es in die Freiheit gehen, damit sie sich fleißig vermehren. Mit knapp vier Zentimeter Größe sind die Schalentiere groß genug für das Leben in der Nordsee.

Diesen Moment wollte sich auch Manfred Weber nicht entgehen lassen, aus Dortmund ist er extra angereist, um bei der Auswilderung dabei sein zu können. Ein sogenannter "Hummerpate" mit Leib und Seele eben:

"So was muss man einfach unterstützen – ich sage mal, wenn man daran denkt, wie leichtsinnig – oder unüberlegt – man solche Tiere manchmal gegessen hat, dann kann man durchaus auch einen Obulus geben, um sie unterstützen."

25 Euro kostet die Hummerpatenschaft – Manfred Weber unterstützt damit die Bemühungen, einen weiteren Rückgang des Bestands zu verhindern. Seit dem Projektstart 2007 haben schon fast 1.600 Paten mitgemacht. Interessiert beobachtet Manfred Weber die letzten Vorbereitungen für die Auswilderung.

Ein Mitarbeiter der Biologischen Anstalt befüllt kleine Kunststoffgefäße mit Wasser – in diesen etwas größeren Eierbechern sollen die Junghummer transportiert werden. Dafür müssen sie einzeln aus ihren Aufzuchtbecken heraus gesammelt werden – das überlässt Michael Janke aber zwei Kolleginnen, für grobe Männerhände ist das nichts.

"Die sind noch so zerbrechlich – wenn man da zu stark zudrücken würde, dann wären die Matsch. Also, die sind noch sehr empfindlich."

Vorsichtig fummeln die beiden Frauen die kleinen Hummer in die Transportbecher – mehrere Paletten mit diesen Bechern werden kurz darauf zum Hafen der Gemeinde Helgoland gebracht. Hier wartet bereits der Forschungskutter "Aade".

Die Junghummer werden verladen, gleichzeitig gehen die Hummerpaten an Bord der traditionellen Helgoländer Börteboote, die tagsüber die Touristen von den Seebäderschiffen auf die Insel bringen. Gegen halb neun abends ist alles bereit – die "Aade" läuft aus, im Schlepptau eine kleine Armada von Börtebooten, voll besetzt mit Hummerpaten wie Manfred Weber. Der Konvoi fährt zwischen der Hauptinsel und der östlich vorgelagerten Badedüne hindurch, Ziel ist die Nordspitze der Insel, erklärt Isabel Schmalenbach, Leiterin des Hummerprojekts.

"Wir fahren jetzt Richtung Norden und biegen dann ein wenig westlich ab – von da aus kann man auch gut die lange Anna sehen, und da ist ein gutes Auswilderungsgebiet für die Jungtiere. Da müssen wir aber erst warten, bis dann alles dunkel ist."

Gut 20 Minuten dauert die Fahrt in den Sonnenuntergang – gegen kurz nach neun heißt es dann: Alle Maschinen stopp, die Boote treiben jetzt nur noch auf den Wellen in Sichtweite Helgolands. Langsam verschwindet die Sonne hinter dem Horizont – es wird Zeit, die Hummer in die Freiheit zu entlassen.

"Es ist dunkel genug, es ist keine direkte Sonneneinstrahlung mehr auf dem Wasser – das heißt: Kurz unter der Oberfläche ist es schon dunkel. Wir können jetzt beginnen."

Ein Transportbecher nach dem anderen wird über die Bordwand entleert – die jungen Hummer verschwinden sofort in der Nordsee, jetzt in der Dunkelheit sind sie erst einmal sicher vor Fressfeinden.

"Sobald die an der Wasseroberfläche ausgesetzt werden, schwimmen die aktiv nach unten und suchen sich unter dem nächsten Stein eine Versteckmöglichkeit – sie fangen sofort an, aktiv zu buddeln. Also – die Überlebenschancen sind sehr, sehr gut."

Ganze 400 einjährige Hummer werden auf diese Weise in die Nordsee gesetzt – rund 15.000 waren es insgesamt in den vergangenen zehn Jahren, schätz Isabel Schmalenbach. So konnte der Bestand bei Helgoland immerhin stabilisiert werden – mit 20.000 bis 30.000 geschlechtsreifen Exemplaren allerdings auf sehr niedrigem Niveau.

"Wenn man das vergleicht mit den damaligen Zahlen, so schätzen wir, dass in den dreißiger Jahren der Bestand größer als eine Million war."

Um wieder auf vergleichbare Zahlen zu kommen müssten über mehrere Jahre hinweg noch einige zehntausend Hummer ausgewildert werden. Die Biologen konzentrieren sich deshalb nicht nur auf den Felssockel rund um Helgoland – vom kommenden Jahr an sollen 3.000 in den Hallen der Biologischen Anstalt aufgezogene Hummer in einem Offshore-Windpark nordwestlich der Insel Borkum ausgewildert werden. Zum Schutz der Fundamente der Windkraftanlagen wurden dort große Mengen Natursteine in der Nordsee versenkt – eine ideale Basis auch für den Naturschutz.

"Da die Tiere ja hauptsächlich Steine bevorzugen als Lebensraum oder nur ausschließlich auf diesem Lebensraum vorkommen, gibt das alles her, was für eine Hummerheimat notwendig ist. Diese Experimente dienen als ökologische Grundlagenforschung – wie hoch muss die Dichte sein für eine erfolgreiche Ansiedlung – aber auch, um dem Hummer weiterhin eine Grundlage zu bieten, seine Art zu erhalten."

Vor Helgoland ist gegen 22 Uhr das Werk erst einmal wieder vollbracht – Isabel Schmalenbach hält den Transportbecher mit dem letzten Junghummer hoch, bevor sie ihn in die Freiheit entlässt. Die Börteboote mit den Hummerpaten umkreisen den Ort des Geschehens, im Sekundentakt klicken die Fotoapparate, Blitzlichter erleuchten die Szenerie.

"Wie heißt dieser Hummer – Otto – Alles Gute, Otto!"

Und während Hummer Otto in den Tiefen der Nordsee verschwindet um sich – hoffentlich – fleißig weiter zu vermehren, nehmen die Boote wieder Kurs auf die Biologische Anstalt Helgoland. Dort schwimmen in einer Säule aus Plexiglas stecknadelgroße Tierchen mit zwei großen, schwarzen Augen. Einen Tag erst sind sie alt. Es ist die nächste Generation Hummer, die im kommenden Jahr ausgewildert werden soll.
Mehr zum Thema