Humanitäre Situation in Syrien "ist offensichtlich katastrophal"

Rolf Mützenich im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 11.04.2012
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sieht noch Chancen für einen Erfolg des Annan-Friedensplans im Syrienkonflikt. Er sei zwar skeptisch, aber man müsse abwarten. Er hoffe, dass der Annan-Plan die humanitäre Situation im Land erleichtere.
Korbinian Frenzel: Er hätte der Auftakt für eine friedliche Lösung der Situation in Syrien sein sollen, der gestrige Tag: Beginn des Abzugs der Regierungstruppen, Beginn einer Waffenruhe, die Raum schaffen soll für humanitäre Hilfe und für Verhandlungen zwischen Präsident Assad und der Opposition - hätte, es bleibt beim Konjunktiv.

Der Friedensplan des UNO-Sondergesandten Kofi Annan, der all das vorsah, bleibt vorerst allein Wunsch, denn die Waffen ruhen nicht in Syrien, ganz im Gegenteil. Gestern gab es schwere Kämpfe um die Rebellen-Hochburgen Homs und Hama mit Toten und Verletzten, heute reist Kofi Annan nach Teheran, ein neuer Versuch der Diplomatie.

Gibt es einen Ausweg aus der Spirale der Gewalt und wenn ja, wer müsste sich bewegen? Fragen, die sich stellen, Fragen, die wir stellen im Interview mit Rolf Mützenich, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, den ich jetzt am Telefon begrüße, guten Morgen!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Frenzel!

Frenzel: Mit Blick auf diese Nachrichten, auch auf die vom Wochenende, den Schüssen an der türkischen Grenze, ist der UNO-Friedensplan von Kofi Annan gescheitert, bevor er überhaupt anfangen konnte zu wirken?

Mützenich: So, man muss natürlich sehr skeptisch sein, insbesondere was den gestrigen Tag betrifft, weil in der Tat - Sie sagten es - das wäre ein wichtiger Auftakt gewesen, der ja auch zur Vertrauensbildung ganz wichtig gewesen wäre und auch ein Signal in die Internationale Gemeinschaft gegeben hätte. Alles das ist scheinbar gestern nicht gelungen, und man muss natürlich noch bis morgen auch warten.

Und ich glaube auch, dass der Vermittler Annan zu Recht gesagt hat, tatsächlich, die Gewalt eskaliert weiterhin, aber er will bis morgen endgültig vielleicht dann auch zu einem Urteil kommen, was ohnehin schwer ist, weil wir ja keine internationalen Beobachter letztlich im Land haben.

Frenzel: Gibt es noch irgendetwas, woraus Sie gerade aktuell Hoffnung ziehen können? Sie haben gesagt, Vertrauen muss dort entstehen, aber genau das fehlt ja gerade, auch mit Blick auf die Opposition.

Mützenich: Ganz schwer, Vertrauen kann man gegenüber dem Regime Assad überhaupt nicht aufgrund der Ereignisse der vergangenen Wochen in dem Sinne haben. Man muss aber insbesondere, glaube ich - und da tut Annan gut -, erstens in der unmittelbaren Nachbarschaft, wo er jetzt in den Iran reist, versuchen, noch Druck auszuüben. Und ich glaube, dass andere Regierungen, die ein Interesse an einer Befriedung der Situation haben, insbesondere mit Russland und China, auch ein sehr offenes und auch ein sehr starkes Wort werden reden müssen, insbesondere dann, wenn Assad die Versprechungen nicht erfüllt.

Frenzel: Ja, schauen wir mal auf Russland, und was Russland auch mit Blick auf die Opposition gefordert hat, da hat Moskau gesagt, der Westen solle Einfluss nehmen auf die Opposition, damit auch sie die Waffenruhe einhalten. Ist das aus Ihrer Sicht eine berechtigte Forderung, müssen wir auch die Opposition bremsen? Zielen da womöglich einige auf die Anheizung des Konflikts?

Mützenich: Also wir müssen auf jeden Fall versuchen, die Kanäle, die sich entwickelt haben gegenüber der Opposition auch nutzen. Andererseits sollten wir realistisch sein, die Ansprechpartner, die wir haben, haben auf dem Konfliktverlauf im Inneren Syriens nicht unmittelbaren Einfluss, weil wir haben offensichtlich ja auch einige autonome Gruppen, die auf der einen Seite sich aus ihrem Interesse heraus - wie sie sagen - nur wehren gegen die Gewalt des Regimes, gegenüber der Gewalt der Soldaten und der Sicherheitskräfte des Assad-Regimes.

Es gibt aber offensichtlich auch andere Gruppen, die vielleicht sogar noch eine andere Agenda haben, die auch von arabischen Ländern aus der Region mit betrieben werden.

Frenzel: Kofi Annan, der UNO-Sondergesandte, reist ja heute nach Teheran zur anderen großen Kraft in dem Spiel. Ist von der iranischen Führung eine konstruktive Rolle zu erwarten?

Mützenich: Ich glaube, in dem Sinne nicht, aber dennoch ist es wichtig, den Iran auch mit in die Situation in Syrien einzubeziehen und nicht nur an sie zu appellieren, sondern sie auch als wichtiger Akteur letztlich wahrzunehmen. Weil wir erleben ja in Syrien in der Tat offensichtlich mittlerweile eine Auseinandersetzung zwischen einzelnen Ländern in der Region, wo auf der einen Seite Saudi-Arabien, Katar und auf der anderen Seite auch der Iran zu gehören, und deswegen, glaube ich, ist es richtig, auch zu diesem Zeitpunkt in Teheran Gespräche zu führen. Was das Ergebnis dann sein wird, werden wir ja sehen.

Frenzel: Ja, aus Ihren Worten klingt noch immer die Hoffnung auf die Diplomatie, auf die Gespräche, dass sie fruchten werden. Wenn all das nicht passiert, wenn wir jetzt also auch an diesen Stunden, die sehr entscheidend sind für die Erfüllung des Friedensplans, wenn wir da weiter eine Eskalation sehen, müssen wir dann umplanen, müssen wir dann über neue Instrumente nachdenken?

Mützenich: Das muss man immer, ich habe natürlich sehr stark noch mal auf den Annan-Plan Bezug genommen, weil ich immer noch hoffe, dass er zumindest die humanitäre Situation im Lande etwas erleichtert, weil das ist ja sozusagen der erste Schritt, eine Waffenruhe herzustellen, einen Waffenstillstand und auch politische Gespräche, und das ist ja ohnehin schon eine schwierige Stufenleiter. Aber wir müssen die Menschen letztlich in den Fokus nehmen, und die humanitäre Situation ist offensichtlich katastrophal.

Dennoch in der Tat, es ist richtig, man muss dann, wenn der Friedensplan möglicherweise gescheitert ist, sehr stark auch noch an Russland und auch an China nicht nur appellieren, sondern sie sozusagen auch in einen Mechanismus bringen, dass es endlich eine Resolution im Sicherheitsrat gibt, die dem Regime in Damaskus klar macht, dass dieses Verhalten in keiner Form mehr von irgendjemandem Einflussreichen in der internationalen Politik unterstützt wird.

Frenzel: Eine Resolution, die das nur mit Worten fordert oder die auch im Zweifel Gewalt androht?

Mützenich: Die auf jeden Fall - und deswegen, glaube ich, sollten wir uns auch zeitgeschichtlich immer genau erinnern - ja auch nicht in Libyen der Fall gewesen ist, dass sofort auch gegenüber Gaddafi mit der Flugverbotszone ein auch militärisches Verhalten vonseiten der Vereinten Nationen gegeben war, sondern die hatten die Resolution 1970, die ein internationales Waffenembargo aufgelegt hat, die eine Verhaltensänderung von Gaddafi versucht hat zu bekommen, eben ohne die Gewaltandrohung, und ich glaube, wenn möglicherweise der Plan von Annan gescheitert sein sollte, dass etwas ähnliches wie die damalige Resolution 1970 eben ohne die unmittelbare militärische Gewaltanwendung auch möglich sein kann und auch möglich sein muss.

Frenzel: Auswege aus der Syrienkrise, Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Vielen Dank für das Gespräch!

Mützenich: Vielen Dank, Herr Frenzel, schönen Tag!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rolf Mützenich, SPD-Außenpolitiker
Rolf Mützenich, SPD-Außenpolitiker, plädiert im Fall des Scheiterns des Annan-Planes für eine UN-Resolution.© Rolf Mützenich MdB
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