Human Rights Watch lobt Kanzlerin für Worte zur Zivilgesellschaft in Russland

Wenzel Michalski im Gespräch mit Gabi Wuttke · 08.04.2013
Für Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, nimmt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihren kritischen Worten zur russischen Zivilgesellschaft eine "Leuchtturmfunktion" in Europa ein. Diese Funktion fülle die Regierungschefin "sehr gut" aus.
Gabi Wuttke: Katharina die Große steht seit fast acht Jahren auf dem Schreibtisch von Angela Merkel. Die Zarin und die deutsche Regierungschefin, die mächtigsten Frauen ihrer Zeit. Wie machtvoll protestiert Merkel gegen die Kriminalisierung von Nichtregierungsorganisationen in Russland einerseits, gegen die Beschneidung der Rechte für russische Bürger andererseits?

Zusammenarbeit, so die Kanzlerin gestern Abend zur Eröffnung der Hannover Messe mit Wladimir Putin, gelinge am besten, wenn es eine aktive Zivilgesellschaft gebe, und es sei wichtig NGOs in Russland eine gute Chance zu geben. Am Telefon ist jetzt Wenzel Michalski, Chef von Human Rights Watch Deutschland. Einen schönen guten Morgen!

Wenzel Michalski: Guten Morgen!

Wuttke: War das für Sie genug Machtwort der deutschen Regierungschefin, oder sollte das mit Blick auf die heutigen kurzen Gespräche nur ein Appetithäppchen gewesen sein?

Michalski: Also, wir sind als Menschenrechtsorganisation natürlich ganz scharf darauf, dass möglichst viel und oft und lautstark solche Missstände angeprangert werden. Und deswegen wäre es wirklich ganz toll, wenn Frau Merkel das heute auch noch mal wiederholen könnte.

Aber ich muss sagen, dass Frau Merkel - oder ich kann sagen, dass Frau Merkel da eine Leuchtturmfunktion hat in Europa und diese auch sehr gut ausfüllt in diesem Fall. Und wir hoffen nur, dass sich auch andere europäische Staatschefs da eine Scheibe abschneiden und sich ein Vorbild an Frau Merkel nehmen.

Wuttke: Wenn wir noch mal die Worte herausgreifen, eine aktive Zivilgesellschaft sei förderlich und eine gute Chance für NGOs – also anprangern, Herr Michalski, klingt anders. Trotzdem - eine Leuchtturmfunktion der Kanzlerin? Wir werden es gerne weitergeben!

Michalski: Ja. Also, Herr Putin wird ja auch jetzt - morgen, glaube ich - weiterreisen in die Niederlande und Herrn Rutte treffen. Und wir hoffen nur, dass Herr Rutte zumindest genauso deutlich spricht wie Frau Merkel. Wir haben ja leider von Herrn Steinbrück eigentlich auch erst gestern etwas vage Kritik gehört.

Es ist also so, dass Frau Merkel tatsächlich da relativ auf einsamer Flur steht in Deutschland, aber auch in Europa. Und wir wünschen uns, dass eben andere Staatschefs mindestens genauso, wenn nicht noch mehr wie Frau Merkel Kritik an dieser Niederschlagung der NGOs, die da gerade passiert in Russland, üben. Und Frau Merkel könnte natürlich nach unserem Geschmack noch kräftiger sprechen, aber es ist doch immerhin ein Anfang.

Wuttke: Bleiben wir doch mal in Deutschland, und bleiben wir mal bei der SPD. Sie haben gerade den Namen Steinmeier genannt – sähe es denn Ihrer Einschätzung nach in Russland heute anders aus, wenn die Welt Putin in den ersten Nach-Jelzin-Jahren nicht so hofiert hätte wie Gerhard Schröder?
Michalski: Ich denke, ja. Wir denken als Human Rights Watch, dass es sehr nützlich ist, dass man Missstände öffentlich anprangert, Naming und Shaming, so nennt man das bei uns, ist eigentlich ein Instrument, das auch was bringt. Denn kein Staatschef möchte sich in eine Reihe mit anderen Menschenrechts- – -verbrechern will man nicht sagen, aber sagen wir mal Staatschefs, die Menschenrechte eben nicht respektieren – möchte sich mit solchen Leuten nicht in einer Reihe sehen.

Wuttke: Kann Human Rights Watch denn jetzt in Russland überhaupt noch die Zivilgesellschaft unterstützen? Auch Ihr Russland-Büro ist ja Ende März durchsucht worden. Was genau ist dort passiert?

Michalski: Ja, also zunächst einmal: Klar können wir das, und wir werden das auch machen. Und selbst, wenn unser Büro nicht funktionieren könnte mehr – könnte, sage ich, denn es funktioniert ja noch –, werden wir noch weiter unsere Stimme erheben und weiter anprangern, was da passiert in Russland. Was genau ist da passiert?

Vor einigen Tagen sind Beamte, unter anderem auch Steuerbeamte der russischen Regierung in unser Büro gekommen, die hatten sich angemeldet und haben unser Büro durchsucht, haben Unterlagen mitgenommen und ziemlich schnell auch wieder zurückgegeben, diese Unterlagen. Also es lief alles relativ freundlich und höflich ab, wenn man das überhaupt in so einem Zusammenhang sagen kann, aber wir werden erst in ein paar Monaten wissen, welche Konsequenzen daraus gezogen werden.

Also, es ist, da habe ich doch wirklich auch eine bedrohliche Situation. Sie sind bei uns nicht ganz so brutal vorgegangen wie zum Beispiel bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, wo man gleich ganze Computer mitgenommen hat, oder aber unseren Kollegen von Memorial, wo es lautstarke Auseinandersetzungen gegeben hat. Aber es kann vielleicht auch sein, dass wir ja wussten, dass die kommen, dass wir innerlich vorbereitet waren, und dass unser Personal in Moskau, ja, sagen wir mal, freundlich und höflich war.

Wuttke: Und Sie sagen, das Büro funktioniert nach wie vor. Hat das wiederum was damit zu tun, wie sich Human Rights Watch finanziert? Oder was meinen Sie damit, dass die Arbeit weitergehen kann trotz des Gesetzes?

Michalski: Es hat was damit zu tun, dass wir eine internationale, eine globale Menschenrechtsorganisation sind. Wir sind ja gegründet worden 1978 als Helsinki-Watch, also als eine Organisation, die damals die Menschenrechte in der damaligen Sowjetunion aufs Korn genommen hat. Das heißt, wir sind sehr gut geübt mit diesem Land und können international weiterhin Druck ausüben, und zwar machen wir das, indem wir eben Druck auf Regierungen wie die Bundesrepublik ausüben, selber, die bitten, die drängen, über die Medien, jetzt zum Beispiel in diesem Interview, solche Missstände anzuprangern und dafür zu sorgen, dass diese Sachen aufhören. Und bisher ist das ja schon ganz gut gelaufen. Die Sowjetunion hat aufgehört zu existieren.

Und jetzt haben wir einen Rückschlag, einen massiven Rückschlag durch die neue Regierung Putin und, ja, müssen hart daran weiterarbeiten. Es hat auch was damit zu tun, wie wir finanziert sind. Wir sind unabhängig von Regierungsgeldern und finanzieren uns rein durch private Spender und können dadurch eben unabhängig und frei reden.

Wuttke: Sagt Wenzel Michalski, der Direktor von Human Rights Watch Deutschland. Ich danke Ihnen sehr!

Michalski: Bitte sehr!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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