Hospiz- und Palliativgesetz

Wir müssen uns mit dem Tod mehr auseinandersetzen

Von Gundula Geuther · 05.11.2015
Bei der Palliativversorgung liegt zu viel im Argen, als dass es mit dem am Donnerstag verabschiedeten Gesetz grundlegend verbessert werden könnte, meint Gundula Geuther. Es liegt an uns als Gesellschaft, bei diesem Thema weiter Druck zu machen.
Das Gesetz, das der Bundestag heute beschlossen hat, steht in der öffentlichen Diskussion im Windschatten der Sterbehilfe-Debatte. Und auch wenn der Bundestag die beiden Themen glücklicherweise getrennt diskutiert - auch dort ist es so. Das zeigt schon der Zeitplan: Morgen entscheiden die Abgeordneten über den Umgang mit dem assistierten Suizid.
Auf den ersten Blick liegt die Verbindung der Themen auf der Hand: Wer im Sterben keine Linderung der Schmerzen durch Palliativmedizin erwarten darf, der wird den Arzt oder den privaten Verein um andere Hilfe bitten. Tatsächlich ist das wohl medizinisches Küchenlatein. Onkologen zumindest sagen, dass sich in letzter Konsequenz diese Alternative kaum je stellt, dass kaum ein Sterbender in der Krebsstation diesen einfachen Ausweg wählen will.
Auch dieses Gesetz kann keine vernünftige Versorgung in der Fläche gewährleisten
Die Verbindung der beiden Themen ist wohl eher eine andere: Abstrakt, aus der Ferne, fällt es leichter, sich diesen scheinbar einfachen Ausweg vorzustellen. Das macht es leichter, die Realitäten des Sterbens von sich fern zu halten. Und das wollen die meisten von uns. Nur so ist zu erklären, dass dieser viel wichtigere Bereich der Sterbebegleitung bisher nicht stärker im Focus von öffentlicher Wahrnehmung und Politik stand. Nur so ist zu erklären, dass auch dieses Gesetz beim besten Willen keine halbwegs vernünftige Versorgung in der Fläche gewährleisten kann, weil schlicht zu viel im Argen liegt.
Im Bundestag wurde es heute vorgerechnet: Zwei von hundert sterbenden Menschen werden derzeit auf einem der unterschiedlichen Wege palliativ begleitet. Jeder zehnte aber leidet Schmerzen, die so gelindert werden könnten. Wobei die Sterbebegleitung deutlich mehr ist als bloße Schmerztherapie. Ärzte, Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Psychologen arbeiten im besten Fall mit Physiotherapeuten und Seelsorgern zusammen. Einen Euro von Tausend wenden die gesetzlichen Krankenkassen derzeit dafür auf. Und das nicht einfach aus Geiz - jeder zweite Patient stirbt unter Einsatz der Gerätemedizin im Krankenhaus. Auch das kostet.
Gesellschaft muss weiter Druck auf Politiker machen
Von einer völligen Fehlverteilung unserer medizinischen Aufwendungen und Bemühungen am Lebensende sprach heute der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Solche Rechnungen relativieren auch die geschätzten Kosten von 200 Millionen Euro, die aus dem heutigen Gesetz entstehen. Die Abgeordneten der Linkspartei haben sich heute enthalten, weil ihnen das Gesetz nicht weit genug geht. Sie wünschen sich vor allem mehr Aufwendungen für die Sterbebegleitung in Pflegeheimen. Der Pflegekritiker Claus Fussek nennt das Gesetz heute im Deutschlandfunk den Versuch, mit der Wasserpistole einen Waldbrand zu löschen, und auch er meint vor allem den Zustand in den Pflegeheimen.
Beide mögen Recht haben. Vor allem, weil die Herausforderungen mit der älter werdenden Gesellschaft steigen werden. Aber immerhin wird hier ein Anfang gemacht. Redner aller Fraktionen waren sich heute einig, dass es ein erster Schritt auf einem langen Weg ist. Ob weitere Schritte tatsächlich folgen, haben die Abgeordneten kommender Bundestage in der Hand. Ob sie das Thema weiterhin so ernst nehmen wie ihre Kollegen heute, wird aber auch vom Druck aus der Gesellschaft abhängen. Auch wenn das bedeutet, dass wir uns mehr mit den Realitäten des Sterbens auseinandersetzen müssen.
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