Klangkunst über drahtlose Kommunikation

    Knallfunken

    39:46 Minuten
    Knallfunken Entladung
    Knallfunken Entladung © Foto: Raviv Ganchrow
    Von Raviv Ganchrow · 17.11.2023
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    Unsere Welt ist elektrisch aufgeladen. An den Blitzableitern der Funkstation Nauen empfängt Raviv Ganchrow Impulse weit entfernter Gewitter, wandernder Kraniche und schwärmender Bienen.
    Bei Hochspannung kommt es zu Funkenbildung. Dieses physikalische Gesetz ist Voraussetzung für die drahtlose Kommunikation. Man könnte daher sagen: Die Bezähmung von Blitzen läutet die Geburtsstunde des Radios ein.
    Das Hörstück „Knallfunken“ nutzt Miniaturblitze, um Funkenbildungen hörbar zu machen. An den Blitzableitern der Funkstation Nauen empfängt der Klangforscher Raviv Ganchrow Impulse weit entfernter Gewitter. Das Hörstück gleicht einem Schaltkreis aus spannungsgeladenen Spulen, funkensprühenden Kupferverbindungen, tropischen Gewittern, wandernden Kranichen, schwärmenden Bienen, Gegenden in Zentralasien und Südamerika, ionosphärischen Brechungen und Herbstwind.
    "Knallfunken" wurde ausgezeichnet mit dem Prix Phonurgia Nova 2019.

    Reihe: 100 Jahre Radio
    Knallfunken
    Von Raviv Ganchrow
    Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2019
    Länge: 39'40
    Eine Wiederholung vom 28.08.2019

    Raviv Ganchrow, geboren 1972 in den USA, lebt als Künstler und Klangforscher in Amsterdam. In seinen Texten und Klanginstallationen erforscht er die Beziehung von Klang, Raum und Hörerfahrung. Er lehrt am Institut für Sonologie der Universität der Künste in Den Haag.

    Grossfunkstelle Nauen, Brandenburg
    Grossfunkstelle Nauen, Brandenburg © Foto: Raviv Ganchrow

    Knallfunken Leitfaden

    Von Raviv Ganchrow
    Übersetzung aus dem Englischen: Paolo Thorsen-Nagel
    Knallfunken Schaltkreis
    Die Erde und ihre Atmosphäre bilden zusammen ein gigantisches elektrisches Habitat. Knallfunken ist ein Schaltkreis, der zahlreiche Umfelder und Materien miteinander verbindet, darunter geladene Spulen, funkendes Kupfer, tropische Blitze, migrierende Kraniche, schwärmende Bienen, 250 kW Spannung, zentralasiatischen und südamerikanischen Erdboden, neuseeländische Antennen, ionosphärische Brechungen oder Herbstwind. Knallfunken folgt den Miniaturblitzen und dem Weg der Funken in der drahtlosen Telegraphie. Das Stück bringt den materiellen Kontext der Knallfunkensendetechnik zum klingen, ausgehend vom Ursprungsort der Langstreckenfunkübertragung, der Großfunkstelle Nauen.
    Schwache Impulse entfernter Gewitter im Erdboden unterhalb der Kurzwellensendestation Nauen - angezapft über den Blitzableiter des Gebäudes, durch Heinrich Hertz' historischen Sendeschaltkreis geleitet, von Radiogeräten empfangen und zurückgesendet durch die widerhallenden Räume der Sendeanstalt, um dann erneut an die gegenüber liegende Erdseite übertragen zu werden – dieser Signalweg vermittelt die elektrische Wesensart des Mediums Radio.
    Das Stück setzt sich zusammen aus Signalen, Geräuschen, Klicks und Resonanzen des Schaltkreises, wobei die Elektrizität die unterschiedlichsten Zwischenräume überspringt – von den wenigen Millimetern zwischen zwei Leitungsdrähten bis hin zur Entfernung zwischen Brandenburg und Neuseeland.
    Geburt des Radios
    Der Knallfunkensender ist das erste Gerät, das den praktischen Gebrauch von Radio demonstriert. Das Durchtrennen eines elektrischen Leiters öffnet diesen Stromkreis in den irdischen Raum. Wenn Funken aus ihrem Stromkreis springen, interagieren sie mit den Umgebungskonditionen, der Landschaft, dem Wetter, der Bodenleitfähigkeit und Ionosphärenladung, sowie mit anderen Funken (Blitzen) und Magnetfeldern von Erde und Sonne.
    Die Funken-Sendetechnik hat ihren Ursprung in Heinrich Hertz' bahnbrechenden elektrischen Oszillator Experimenten des späten 19. Jahrhunderts, welche Maxwell's Annahme von elektromagnetischen Wellen bestätigten. Allerdings ist der Hochspannungsfunken selbst ein Residuum elektrostatischer Faszinationen des 18. Jahrhunderts, die mit der Entwicklung des Blitzschutzes einherging. Die Miniaturisierung des Blitzes in elektrostatischen Vorführungen, sowie die Integration elektrischer Schaltkreise in Gebäuden lässt erahnen, dass die Geburt des Radios auch die Zähmung des Blitzes signalisierte. Piktogramme kleiner Blitzschläge auf Hochspannungsanlagen sind eine Hommage an diese Geschichte. Diese frühen Experimente zur elektrischen Steuerung und Modulation können als Wegweiser gesehen werden für die Entwicklung des elektrifizierten Haushalts, der nationalen Stromnetze und der mobilen Kommunikation.
    Von Raviv Ganchrow interpretierte Rekonstruktion von Heinrich Hertz' Experiment zur Übertragung elektromagnetischer Wellen; Knallfunken Installationsansicht, Künstlerhaus Bethanien, August 2018
    Von Raviv Ganchrow interpretierte Rekonstruktion von Heinrich Hertz' Experiment zur Übertragung elektromagnetischer Wellen; Knallfunken Installationsansicht, Künstlerhaus Bethanien, August 2018© Foto: Raviv Ganchrow
    Gebäude als Schaltkreis
    Das ikonische Gebäude der Sendestation Nauen, Anfang 1920 errichtet, wurde selbst als enormer elektrischer Schaltkreis konzipiert. Die räumliche Logik folgt einem Funksignalpfad, aufsteigend von einer Handvoll Volt am Mikrophon bis hin zu tausenden Volt an der ausstrahlenden Antenne. Das Wasser aus dem ausladenden reflektierenden Becken vor dem Gebäude wurde zur Kühlung durch die Anlage gepumpt. Profanere Merkmale des Gebäudeschaltkreises sind die robusten, an den Gebäudeecken in den Boden führenden Kupferblitzableiter, welche vor unerwünschten natürlichen Funken (Blitzeinschlägen) schützen sollten.

    Drei Jahrzehnte vor der Fertigstellung der Sendestation Nauen prognostizierte der britische Physiker Oliver Lodge, dass Kupfer als bevorzugtes Material für Blitzableiter allmählich an Bedeutung verlieren werde. Lodge entdeckte zeitgleich mit Hertz (aber unabhängig), in einer Reihe von Experimenten die elektromagnetische Oszillation. Sein Ansatz basierte jedoch auf Forschungen zum Blitzschutz. Das Buch Lightning Conductors and Lightning Guards (Blitzableiter und Blitzschutz) aus dem Jahr 1892 von Lodge, in dem auch Hertzs Wellenoszillationsexperimente erörtert werden, enthält Abbildungen von Gebäuden, die Wurzeln aus ihren Blitzableitern schlagen. Die Verästelungsstruktur im unteren Bereich (und in einigen Entwürfen auch im oberen), die das Gebäude in Erdkreisläufen verankert, "ähnelt einem Baum mit Zweigen, die sich in die Luft strecken und Wurzeln, die sich im Boden verzweigen". Immerhin hatten Bäume schon eine Beziehung zu Blitzen vom Himmel, lange bevor es Gebäude und Blitzableiter gab.
    Naturalisierter Funke
    Generell ist Luft ein elektrischer Isolator und dennoch wird sie bei sehr hohen Spannungen leitfähig. Es bedarf ungefähr eines Anstiegs von 3000 Volt, um einen Millimeter Luft mit einem Funken zu überbrücken. Die im Schaltkreis von Knallfunken auftretenden Funken hatten eine Ladung von 6.000 – 24.000 Volt. In frühen Jahren elektrischer Experimente war es entscheidend für eine ordentliche Funktion der elektronischen Geräte, die Qualität des Stroms in den Schaltkreisen abzuhören. Der krude Klang von Knallfunkensendern weist hörbare Eigenschaften auf, die über jene semiotische Funktion hinausweisen, die ihr durch drahtlose Telegrafie zugeschrieben wird. In seiner ursprünglichsten Form ist der Funke eher ein Merkmal von Materie als ein echtes Signal. Sein ambivalenter Status im Schaltkreis als mehr natürliches denn synthetisches Phänomen ist mit anderen Kreisläufen der Erde verwandt. Dies deutet auch auf inhärente irdische Komponenten naturalisierter Stromkreise hin, wie elektrische Signalübertragung von Pflanzen, Elektrokommunikation zwischen Honigbienen oder das menschlichen Nervensystem. Die Koevolution von Mineralien und Leben auf der Erde ist möglicherweise auch eine Entwicklung von elektrischen und sensorischen Kreisläufen. In diesem Sinne richtet Knallfunken radiophones Hören auf seine eigene Vorgeschichte aus.
    Tellurische Tweeks
    Die Erde bildet zusammen mit ihrer Atmosphäre einen gigantischen elektrischen Kreislauf. Donnerschläge sind ein hörbares Indiz dieser Gegebenheit. Das radiophone Spektrum von Blitzen kann problemlos mit AM-Radios empfangen werden. Blitzschläge bleiben oft zwischen Erdoberfläche und Ionosphäre hängen und wandern, ähnlich der Kurzwellenausbreitung, weit über die Ausdehnung ihres Donners hinaus. Während der Ausbreitung verändert sich ihre elektrische Signatur: Ein Radio-Gewitter (aka Sferics), das 2000 km und mehr zurückgelegt hat, wandelt sich von einem charakteristischen "Klick" in ein spektrales "Zwitschern" (aka Tweek). Der Empfang dieses Vogel-ähnlichen Zwitscherns weist auf bis zu 20.000 km entfernte Gewitter hin. Während Geistergewitter unhörbar über uns hinwegziehen, vermittelt sich ihre Präsenz in Erdstrommustern.
    Schalttafel in der Großfunkstelle Nauen mit einer Weltkarte
    Schalttafel in der Großfunkstelle Nauen© Foto: Raviv Ganchrow
    Bei einer der Aufnahmesitzungen in Nauen zeichneten wir dieses entfernte elektromagnetische Zwitschern im Erdstromgewirr unter dem Sendegebäude auf. Die Präsenz und Hörbarkeit dieser Tweeks bescheinigen dem Ort eher ein Potential für Langstreckenempfang als für Sendung. Selbst im tiefsten Winter scheint es in den Brandenburgischen elektrischen Feldern tropische Gewitter zu geben; eine 02:07 Min lange Aufnahme dieser tellurischern Ströme, über die Blitzableiter in Nauen angezapft, wurde zum Ausgangsmaterial der elektrischen Funken, die durch Knallfunken zirkulieren.
    Elektrischer Isolator aus Porzellan, Relikt der drahtlosen Knallfunken Telegrafie in Nauen
    Elektrischer Isolator aus Porzellan, Relikt der drahtlosen Knallfunken Telegrafie in Nauen© Foto: Raviv Ganchrow
    Irdische Resonanz
    Globale Gewitter, welche die Atmosphäre durchqueren (durchschnittlich 50 Blitze pro Sekunde), versetzen den Raum zwischen Erdoberfläche und Ionosphäre buchstäblich in Schwingung und generieren ein eigenständiges elektromagnetisches Obertonmuster. Diese sogenannten Schumann-Resonanzen, die ständig von der fortschreitenden globalen Symphonie der Blitze ausgehen, bilden elektromagnetische stehende Wellen in unserer Atmosphäre. In letzter Zeit scheinen sich diese Resonanzen jedoch im Abwärtstrend zu befinden, ihr längerer Verfall könnte ein weiteres akustisches Indiz der globalen Erwärmung sein. Bei der Kurzwellensendung via Nauen, welche das Audiomaterial für Knallfunken generierte, passierte Einiges mit den Signalen die rekursiv durch das Wellenfeld der Erdionosphäre zirkulierten. Ein verblüffender Effekt war das Auftreten einer Resonanz bei 120.4 Hz in den empfangenen Signalen. Wenn sich Signale mehr als um die halbe Erdkugel bewegen, holen sie sich selbst ein und erzeugen eine sogenannte "um die Welt" Verzögerung. Wäre ein Signal stark genug um weiter zu kreisen, könnte es hypothetisch eine stehende Welle erzeugen, deren Intervall die Erde umrundende Entfernung widerspiegelt; ein hörbares Artefakt, das anschaulich den Weg sich ausbreitender Wellen beschreibt. Das in Knallfunken auftauchende 120,4-Hz-Artefakt ist zu hoch für eine Schumann-Resonanz, aber womöglich ein modulierter Oberton?
    Erde umkreisend
    Wenn man von Nauen aus ein Loch durch den Erdmittelpunkt bohren würde, käme man vor der Küste Neuseelands heraus. Um diesen Ort mit dem Radio von Nauen aus zu erreichen, muss ein Signal himmelwärts gesendet werden und dreimal zwischen Ionosphäre und Erdoberfläche hin und her reflektieren.
    Als die Antenne für Knallfunken korrekt ausgerichtet und eingeschaltet war, stellte sich, inmitten des statischen Rauschens, beim Neuseeländischen Empfänger unmittelbar ein Moment der Stille ein. Mit dem Signalisieren Richtung Antipode berührte Nauen, die Erde umspannend, den Südpazifik. Auf der 20.000 km langen Reise schlug das Signal während einer einzigen Sendung eine Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Morgen- und Abenddämmerung und durchstreifte mehr als eine Jahreszeit. Für elektromagnetische Wellen ist die gesamte Erdkugel jedoch eine einzige Zeitzone. Die enorme Geschwindigkeit mit der sie sich ausbreiten, bedeutet, dass zwischen Ausstrahlung und Empfang am anderen Ende beinahe keine merkliche Verzögerung wahrgenommen werden kann.
    Das ist es, was Historiker im Zeitalter drahtloser Kommunikation als "Aufhebung von Zeit und Raum" propagieren, wo Gleichzeitigkeit greifbar wird. Das mag auf das Signal selbst zutreffen, keineswegs aber auf die wandernden Wellen oder auf die hörbaren Resultate. Radiowellen und Umgebung interagieren so, dass bei zunehmender Sendestreckenentfernung die hörbaren Abdrücke von durchquerten Gebieten und aufgetretenen Ereignissen innerhalb der Wellenfeldstruktur zunehmen. Die weiten Entfernungen, die im Kurzwellenfunk zurückgelegt werden, sind ein Paradebeispiel jener Materialität der Wellen innerhalb derer sich hörbare Räume vervielfachen.
    Großfunkstelle Nauen. Ein Funkmast steht auf einer Wiese, im Hintergrund ein Gebäude
    Großfunkstelle Nauen© Foto: Raviv Ganchrow
    Kurzwellen
    Auch weniger hörbare Räume sind Teil der Kurzwellenübertragung. Verbindet man mit der Erfindung der drahtlosen Telegrafie die Entwicklung der Seefahrtsnavigation und der Wetterüberwachung, so ist die Entwicklung der Kurzwelle im 20. Jahrhundert an Abläufen imperialer Ausdehnung, nationaler Identität, politischer Reichweite, militärischer Kommunikation und Ortung (Überhorizontradar), diplomatischer Kommunikation und transnationaler Spionage (Zahlensender) gekoppelt. Diese operationalen Räume stehen in Zusammenhang mit einer Gruppe nichthörbarer Geräusche – den Altagsgeräuschen des Sendebetriebes wie der Steuerung der Sendemechanik in der Turbinenhalle in Nauen oder dem Anheizen der Öfen in der Funkstation Kamina.

    Die globale Reichweite von Nauen war schon vor der Inbetriebnahme der Kurzwellenübertragung von entscheidender Bedeutung. Die Knallfunkentelegrafie von Nauen aus war die wichtigste Methode der Übersee-Kommunikation mit Armeen und Flotten, insbesondere mit der Großstation Kamina im 5000 km entfernten westafrikanischen Togoland, damals eine deutsche Kolonie. Der historische Telefunken Knallfunkensender, in einem schlichten Holzgehäuse mit den Maßen eines Bienenstocks, steht noch heute in einer Ecke der Turbinenhalle in Nauen. In Knallfunken finden sich zahlreiche Aufnahmen von Resonanzen aus dem Hohlraum dieses Kästchens.
    Seit der Privatisierung der Signale bedient die Kurzwelle in Nauen ein breites Spektrum an Interessen. NHK (Nationaler Rundfunk Japan) überträgt regelmäßig Programme über die Kurzwellenantennen nach Nordafrika und darüber hinaus. Der niederländische Sender "The Mighty KCB" sendet Rock und Pop an Fernlastfahrer in Nordamerika. Beträchtlicher Radiowellenverkehr wird von christlich evangelischen Rundfunkanstalten wie AWR (Adventist World Radio) und BVB (Bible Voice Broadcasting) betrieben, die in vielen Sprachen via Nauen zu Zielen auf der ganzen Welt senden. Die Aufnahmen für Knallfunken enthalten ferne Spuren dieser Vielsprachigkeit, die in direktem Kontakt mit den metallenen Gegenständen und Oberflächen in und um das Gebäude aufgenommen wurden.
    Zeitkrümmung ein- und ausblenden
    Eine der Aufnahmen in Knallfunken legte die Strecke von Deutschland nach Neuseeland elf Mal zurück, über 220.000 km in der Luft und eine ähnliche Distanz nochmals via Internetkabel. Mit zunehmender Entfernung machte sich Zeit bemerkbar. Während der Bearbeitung der Aufnahmen wurde hörbar, dass die empfangenden Klänge und Geräusche nicht mehr mit ihren Quellen synchronisiert waren; die Dauer der empfangenen Aufnahme hatte sich leicht verändert. Als würde sich die Zeit selbst irgendwo auf der Strecke anfangen zu krümmen.
    Verschwindende und wieder auftauchende Signale sind bei der Fernübertragung, insbesondere bei Kurzwellenfunk, weit verbreitet. Während sie durch die Atmosphäre springen, projizieren Signale Vielfache von sich selbst, die sich in konstruktiven und destruktiven Interferenzen am Empfänger überlagern. Die Folge ist ein charakteristisches Schwanken wenn sich ein Signal aus statischem Rauschen ein- und ausblendet. Während der ersten Sendung aus Nauen wurde wegen eines kurzen Transmitterausfalls eine unbeabsichtigte Leerstelle im Signal an die andere Seite der Erdkugel projiziert. Knallfunken endet mit dieser Funkstille, die in drei Sprüngen über Ionosphäre-Zentralasien-Ionosphäre-Mongolei-Ionosphäre-Neuseeland nach Osten und in drei Sprüngen über Ionosphäre-Nordafrika-Ionosphäre-Uruguay-Ionosphäre-Neuseeland nach Westen gesendet wurde.
    Migration
    Zugvögel verlassen sich auf wissenschaftlich schwer fassbare Magnetorezeptoren - Sinnesorgane, die Magnetfelder registrieren - um über den Horizont zu fliegen. Brandenburg ist eine bekannte Zwischenstation im Migrationsmuster von Kranichen und Gänsen. Jeden Herbst sammeln sich zehntausende südwärts ziehende Vögel in den Feldern um Nauen. Am Oktobermorgen der Testsendung von Nauen nach Neuseeland dominierten Graugänse das Klangpanorama, deren Migration sich mit unseren Funkwellen vermischte. Wie nimmt wohl ein Vogel die sendenden Antennen magnetischen wahr? Vielleicht als Leitsignal, ähnlich denen ziviler Radiofunksender, die in den frühen Tagen der Luftkriegsführung heimlich zur Orientierung genutzt wurden?
    Durch Brandenburg ziehende Gänse im Herbst
    Durch Brandenburg ziehende Gänse im Herbst © Foto: Raviv Ganchrow
    Ein Segment in Knallfunken enthält das Quäken brandenburgischer Vogelschwärme, abgespielt über die Resonanzen alter Sendeanlagen in Nauen. Andere via Nauen gesendete Gänsegeräusche stießen möglicherweise bei Ankunft im neuseeländischen Luftraum auf tatsächliche Gänse. Die wilden Graugänse im heutigen Neuseeland werden als Nachkommen streunender Bauerngänse gesehen. Sie sind wiederum domestizierte Nachfahren jener Spezies, die durch Nauen ziehen.
    Automobilsender
    Die Strahlung der leistungsstarken Kurzwellenantennen in Nauen legt gelegentlich Autos auf der nahe gelegenen Straße lahm. Deshalb testen deutsche Automobilhersteller die elektrische Widerstandsfähigkeit neuer Modelle vor jenen Antennen.
    Ein knappes Jahrhundert zuvor lieferte die Nordamerikanische Autoindustrie unbeabsichtigt Komponenten für Amateurfunksender. Die Zündspule des legendären Ford Model-T war die bevorzugte Spule für Knallfunken-Kommunikation unter Funk-Amateuren. Tatsächlich sendeten Autos Radiowellen noch bevor sie Radioempfänger hatten; übertragen durch kleine, in das Zündungssystem integrierte Knallfunkensender. Ford-Zündspulen, umgangssprachlich auch "buzz coils" genannt, erzeugten mit ihrer Funkenentladung ein hörbares Summen. Das Model-T hatte vier dieser Spulen in der Fahrerkabine, die wie ein "Nest aufgebrachter Bienen" klangen.
    Jean Wolff's Knallfunkensender Sammelsurium von 1919, zu sehen im Deutschen Museum in München, veranschaulicht die Wegstrecke der Hochspannungsfunken: Von Laborexperimenten, über drahtlose Präsentationen, bis hin zur Autozündung und zurück ins Radio. Noch konkretere Bezüge etablierten sich als zwei Söhne von Oliver Lodge südlich von Birmingham in England eine Zündkerzenfirma gründeten. Die Hochspannungsfunken, die in Knallfunken zirkulieren, wurden auf einer alten wiederbelebten Bosch Zündspule gekoppelt mit einem Kondensator aus Bienenwachs generiert.
    Bienen elektrisch
    Die Bienenstöcke in Nauen, auf dem Sendegelände zwischen Apfel-, Pflaumen- und Kirschbäume gruppiert, werden von einem Sendetechniker der Station betreut. Knallfunken beginnt mit dem Klang eben dieser Honigbienenkolonie, deren schrilles Summen für einen Moment das absteigende Glissando eines vorüberfliegenden Passagierflugzeugs unterbricht. Kurz darauf taucht derselbe Klang noch einmal auf, diesmal über Kurzwelle auf halber Strecke um die Erdkugel empfangen. Da Bienen örtlich begrenzt Nahrung suchen, verlassen sie möglicherweise nie das Ausstrahlungsfeld in Nauen. Dennoch produzieren sie eigene kleine magnetische Bereiche innerhalb der größeren Magnetfelder der Sendeanlage.
    Mit ihrem Flügelschlag akkumulieren Bienen eine positive elektrische Ladung auf ihren Körpern (teilweise über 100 Volt). Positiv geladene Bienen entladen sich bei der Landung auf negativ geladenen Blüten und hinterlassen so elektromagnetische Spuren, die bei der Kommunikation mit anderen Nahrung suchenden Bienen eine Rolle spielen können. Bienennester funktionieren auch elektrisch: nicht leitfähiges Bienenwachs bewahrt die elektrische Ladung der Bienen während sie sich in den Waben bewegen. Zudem erhöht das Flatterverhalten im Nest die Gesamtladung des Schwarms. Neuere Erkenntnisse lassen vermuten, dass Bienen während dem Schwänzeltanz – einer Choreographie und räumlichen Nahrungsquellenkarte – modulierte elektrische Signale aussenden, die von umgebenden Bienen elektrisch empfangen und verarbeitet werden.
    Signallabyrinth
    Am dominantesten in den Aufnahmen an den Blitzableitern im Boden Nauens ist das 50Hz Netzbrummen. Dieses Brummen im Boden ist ein Artefakt der miteinander verbundenen Haushaltsstromnetze, welche elektrische Ladungen auch in den Erdboden induzieren.
    Erdströme, deren Frequenzspektren von elektrochemischem Verhalten in Pflanzenwurzeln bis zu elfjährigen Sonnenfleckenzyklen reichen, sind ebenfalls mit anthropogenen Frequenzen verwoben. In Nauen machte sich innerhalb des dichten elektromagnetischen Knotens ein ungeklärter intensiver periodischer Puls bemerkbar, der stark genug war, um sich im Signalweg des Aufnahmegerätes immer dann bemerkbar zu machen, wenn dieses auf dem Boden stand. Scharfe hörbare Klicks in der metallischen Dachrinne von Nauen, einem Ofenknistern ähnlich, schienen mit den elektrischen Signalspitzen im Boden übereinzustimmen. Das seltsame Dröhnen im Inneren eines Abflussrohrs erwies sich als klingelnde Version des Brummens eines elektrischen Transformators, hinter einer Metalltür im Erdgeschoss an der Gebäuderückseite.
    Schaltkreise innerhalb von Schaltkreisen, deren labyrinthischen Signalwege das geordnete Kommunikationsmodel von Sender-Empfänger zunichtemachen. Dieser Ort förderte eine dendritische Verästelung von mäandernden Signalen zu Tage, ähnlich den verästelten Blitzen elektrischer Entladungen. Jede Verzweigung offenbarte neue Signalmanifestationen, zuweilen so weit von ihrem Ursprung entfernt, dass sie selbst zu neuen Signalquellen wurden und Kräfte anzeigten, die in alternativen Realitäten zu operieren scheinen.
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