Homeschooling in den USA

Gemüsebeet statt Schulbank

Ein kleiner Junge im Alter von fünf Jahren beobachtet Bänderschnecken Cepaea mit einer Lupe
Beim Homeschooling findet der Biologieunterricht im eigenen Garten start © imago stock&people
Von Sonja Beeker · 27.05.2017
Wer sein Kind in Deutschland nicht in die Schule schickt, sondern zuhause unterrichtet, macht sich strafbar. In den USA hingegen ist "Homeschooling" legal: Rund drei Prozent der Amerikaner unterrichten zuhause. Was sind das für Leute und welche Gründe haben sie? Sonja Beeker hat nachgefragt.
Bei Schweinbraten vom selbstgezüchteten Schwein und einem Auflauf mit Gemüse aus dem eigen Garten sitzt Familie Gonsalves mit Freunden abends zusammen und führt eine angeheizte Debatte über "Star Wars". In einem sind sich Sohn Atticus, Mutter Julia und Vater Joe jedoch einig, die Original Trilogie war besser. Während sich Julia und Atticus um den Nachtisch kümmern, gibt Joe den Gästen eine kleine Tour durchs Haus, das er und seine Frau gebaut haben: off the grid, ohne Anschluss ans öffentliche Strom- und Wassernetz. Das Highlight steckt in den Wänden, verrät Joe:
"Wenn Du hier hin schaust, so sieht das Innere unserer Wände aus. Stroh. Ich hab alles hier selber gemacht. Ich hab' mir einen Bagger gemietet, das Fundament ausgegraben. A-L-L-E-S."

Selbst ist der Mann - auch beim Unterricht

Joe ist ein DIY-Typ, also "Do It Yourself". Da wundert es dann auch kaum, dass er und Julia auch die Schulbildung der drei Söhne Forrest, Zephrien und Atticus in die eigenen Hände nehmen wollten:
"Der Gedanke meinen fünfjährigen Sohn in den Schulbus zu setzten und zum Abschied zu winken, das fühlte sich schrecklich an. Als würd ich ihn aussetzen. Und die Sachen, die man in der Grundschule lernt, Schreiben und Rechnen, das haben wir uns zugetraut."
In den USA gibt es zwei Millionen Homeschoolschüler. Jeder Staat hat dabei seine eigenen Gesetzesvorgaben. Meist werden Unterrichtsinterhalte vorgegeben, nicht aber die Art, wie diese vermittelt werden. "Sitzenbleiben" können Schüler in den USA nicht. In einigen Staaten müssen Homeschool-Schüler eine jährliche Prüfung ablegen. In anderen Staaten reicht eine schriftliche Bewertung der Eltern.
"Nach den ersten Jahren wollte ich Forrest nicht mehr in die Schule schicken", sagt Mutter Julia. "Ich dachte, dass er ein Außenseiter werden würde, wir, die komische Familie ohne fließend Wasser und Strom. Wir hatten wirklich ein ganzes Jahr lang keinen Strom!"

Viele Kinder verschweigen das Homeschooling

Und doch ist allen drei Söhnen ihr Anderssein bewusst. Wenn möglich, verschweigen sie, dass sie bis zur Highschool von ihren Eltern unterrichtet wurden. So richtig verstehen kann Julia das nicht:
"Sie sind nicht wirklich stolz auf ihren Hausunterricht. Ich glaub, da steckt Angst hinter von anderen bewertet zu werden. Dabei denk ich, dass es einige Leute gibt, die das richtig cool fänden."
Atticus ist der jüngste der drei Söhne. Er ist inzwischen 17 und wohnt als einziger noch zu Hause. Das erste Jahr an der öffentlichen Highschool nach 14 Jahren Hausunterricht war schrecklich, sagt er:
"Ich hab' mich total anstrengt, wollte keine Wissenslücke haben, so dass die anderen mich für einen Streber hielten. Ich war ganz schüchtern und reserviert. Die anderen fanden mich komisch. Im Jahr drauf war das dann nicht mehr so."

Der Ausflug wird zur Lerneinheit

Auf einem Biobauernhof in Atticus Nachbarschaft lebt seit einigen Wochen der 13-Jährige Tyler. Er hat es andersherum gemacht. Er ist erst den normalen Schulweg gegangen, bis er es an seiner alten Schule in New York nicht mehr aushielt.
Seit einem Jahr unterrichtet Tylers Mutter Tammy ihn und seine drei Geschwister von zu Hause. "Zu Hause" kann dabei überall sein. Derzeit reist die kleine Familie durch die USA und zieht von einem Biobauernhof zum Nächsten, wo sie gegen ein paar Stunden Arbeit Unterkunft und Verpflegung bekommen. Steht der amerikanische Bürgerkrieg auf dem selbst gestalteten Stundenplan, dann fahren sie an die Orte, wo sich die Geschichte abgespielt hat. Strandbesuche werden zu Geologie- und Biologielehreinheiten genutzt.
"Homeschooling ist praxisorientiert", sagt Tyler. "Möchte ich lieber stundenlang am Schreibtisch sitzen oder die Welt bereisen und so lernen?"
Die Entscheidung fiel, als auch Tylers Schwester in der Schule nicht mehr zurechtkam, erinnert sich seine Mutter Tammy:
"Meine Tochter hatte Schwierigkeiten Lesen zu lernen. Ich hab mich dann nach der Schule noch mal mit ihr hingesetzt, aber dafür war kaum noch Zeit, weil die Kinder so lange in der Schule waren. Und dann muss ich noch mal ran, um ihr das beizubringen, was sie eigentlich in der Schule lernen sollte."

Nicht jede Unterrichtsstunde ist ein Abenteuer

Wer seine Kinder selbst unterrichten möchte, sollte sich das vorher allerdings gut überlegen, warnt Joe. Denn nicht jede Unterrichtsstunde ist ein gelungenes Abenteuer. Und Homeschooling kostet vor allem eines: viel Zeit! Für den 44 Jährigen waren allerdings gerade die Freiheit und Flexibilität das Reizvolle am Hausunterricht.
"Mir ging’s eigentlich immer und mit allem darum, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu wollen. Wenn es schief läuft, dann war es meine Schuld und wenn es gut geht, dann weil ich es richtig gemacht hab... Ich möchte unabhängig sein."
Vom Wasserwerk, vom Stromnetz und vom Schulsystem.
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