Holocaust-Wiedergutmachung

Schäbiges Spiel auf Zeit

Die Hall of Names in der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem.
Die Hall of Names in der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem. © dpa/picture-alliance/Michael Kappeler
Von Thomas Klatt · 27.01.2017
Bis heute hat Deutschland über 70 Milliarden Euro für die Entschädigung von Holocaust-Überlebenden ausgegeben. Doch diese große Summe ist noch immer zu wenig - viel zu wenig. Und die Möglichkeit, etwas davon ab zu bekommen, gleicht einem Lotteriespiel.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es alles andere als selbstverständlich, dass Deutschland sich auch finanziell zu seiner Schuld bekannte. Kanzler Konrad Adenauer selbst konnte sich zu Beginn nur eine Wiedergutmachung von einer Million D-Mark vorstellen. Nach öffentlichem Protest und auf Druck der Alliierten folgten zähe Verhandlungen, die sich über Jahrzehnte hinzogen. Den deutschen Finanzbeamten musste allerdings jede Tranche mühselig abgerungen werden. Überlebende kamen nur nach einem aufwendigen und langwierigen Antragsverfahren in den Genuss einer kleinen Rente, wenn sie denn überhaupt bewilligt wurde.
Noch heute erleben viele Überlebende es als Drangsal und erneute Erniedrigung, wenn sie sich zum Beispiel für so genannte Verschlimmerungsanträge vielfach begutachten lassen müssen. Aber immerhin, bis heute hat das Bundesfinanzministerium umgerechnet rund 73 Milliarden Euro für Entschädigungen ausgegeben. Aber ist damit genug wieder gut gemacht? In Israel leben schätzungsweise immer noch 45.000 Shoah-Überlebende an oder gar unter der Armutsgrenze.

Auszug aus dem Manuskript:
Amcha-Zentrum Jerusalem, eine nüchterne Büroetage im 9. Stock eines Hochhauses. In den Fluren hängen selbst gemalte Bilder von Holocaust-Überlebenden, manche farbenfroh, andere schwarz-weiß. Großformatige Kinder- und Puppengesichter, angezogen wie aus einem Shtetl, schauen den Besucher mit großen schwarzen Augen an. Bei Amcha versuchen manche auch sich ihr Leid von der Seele zu malen.
"Was wir oft sehen, dass gerade in der letzten Lebensphase im Alter von 70, 80, 90 Re-Aktivierungen von posttraumatischen Belastungsstörungen auftreten."
Der Psychiater Martin Auerbach, medizinischer Leiter von Amcha Israel. Bei Amcha werden vor allem Einzel- oder Gruppengespräche angeboten. Vor 30 Jahren wurde Amcha, hebräisch für "Dein Volk", von Holocaust-Überlebenden für Holocaust-Überlende gegründet. Es ging darum, die israelische Öffentlichkeit auf die Not dieser Menschen aufmerksam zu machen. Rund 20.000 Holocaust-Überlebende werden von Amcha in 15 ambulanten Zentren oder durch Hausbesuche versorgt. Denn Zeit heilt eben nicht die Wunden.
"Und vor 30, 40 Jahren konnten oder wollten sie oder hatten das Gefühl, ja wir gehen nicht in Therapie, wir versuchen das irgendwie zu verdrängen, vielleicht geht das. Und jetzt im Alter merken sie, das geht nicht."
In Israel war das Thema lange Zeit ein Tabu. Nach 1948 ging es vor allem darum, den jungen Staat aufzubauen, sagt Auerbach. Viele Holocaust-Überlebende mussten damals erst einmal ihr Leben organisieren, einen Beruf ergreifen, eine Familie gründen.

Jahrzehnte später psychosomatische Leiden

In Israel gebe es keinen Gesundheitsminister mehr, der diesen Bedarf nicht anerkennen würde, sagt Auerbach. Auch die Bundesregierung unterstützt diese Arbeit, indem sie über die Jewish Claims Conference Gelder zuschießt.
Zitator: "Juli 2016. Insgesamt will Berlin im laufenden Jahr 282 Millionen Euro, 315 Millionen für 2017 und 350 Millionen Euro im Jahr 2018 bereitstellen. Die Claims Conference geht jedoch davon aus, dass die Bedürftigkeit der Opfer nach materieller Hilfe aus Deutschland ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat."
Oft stellen sich psychosomatische Leiden ein: partielle Lähmungen, Stottern, Schwindel, Taubheitsgefühle, Herzrhythmus-Störungen, permanente Angst- und Unsicherheitsgefühle. Selbst wenn seine Klienten heute schon über 80 und 90 Jahre alt sind, müssen sie noch mit der deutschen Bürokratie kämpfen. Dann, wenn sie auf Grund ihrer zunehmenden Beschwerden einen so genannten Verschlimmerungs-Antrag stellen wollen, weiß Psychiater Auerbach.
"Viele hatten das Gefühl, wenn sie ihren Verschlimmerungsantrag eingereicht hatten, dass sie nachweisen mussten, dass das wirklich Folgeerscheinungen von der Nazi-Verfolgung waren, was war für viele sehr, sehr belastend. Das sehr strikt bürokratische. Es gab Fristen, die man einhalten musste und wenn man die nicht eingehalten hat und zu spät eingereicht hat, war es dann zu spät. Und ein Teil hat wirklich Angst einen Brief auf Deutsch zu bekommen."
Vor allem geht es darum, die Holocaust-Überlebenden nicht allein zu lassen. Eine der von Amcha Unterstützten ist Yolanda Landau. Sie ist 90 Jahre alt und wohnt heute in Jerusalem.
"Ich bin geboren in Rumänien, im Jahre 1926, im Jahre '40 sind die Ungarn gekommen und '44 sie uns ins Ghetto geschickt. Haben wir gewohnt mit dem gelben Stern auf dem Kleid, haben sie uns gegeben."

Das Geld reicht gerade so

Yolanda Landau kam zusammen mit ihrer Familie ins KZ. Dass sie überlebte, verdankt sie nur der Tatsache, dass das NS-Regime für die Kriegsindustrie immer mehr Arbeitskräfte brauchte. Nach der Befreiung heiratete sie in Rumänien und gebar zwei Kinder. 1958 kam die Familie nach Israel. Dann starb plötzlich ihr Mann. Ohne Mittel musste sie ihre Kinder weggeben.
"Und ich mit zwei kleine Kinder, kein Geld, kein gesund, keine Sprache, gar nichts, und ich konnte sie nicht halten die Kinder, ich hab gehabt kein Möglichkeit, kommt der Rabbi von Beersheva und er hat genommen meine Kinder nach Jerusalem."
Reich oder wohlhabend ist sie nie geworden, schon gar nicht auf Grund irgendwelcher Wiedergutmachungszahlungen. Nun bekommt sie über die Jewish Claims Conference eine kleine Rente von rund 300 Euro monatlich, sagt sie. Hinzu kommt eine kaum höhere Witwenrente. Und dann steckt ihr auch immer jemand etwas zu. Bei den hohen Lebenshaltungskosten in Israel reicht es gerade so.
"Mein Name ist Elias Feinzilberg, hast Du geschrieben? Ich bin in Lodz geboren, 22. Oktober 1917."
Drei Mal in der Woche kommt auch Elias Feinzilberg zu Amcha.
"Wir waren 7 Kinder, 5 Mädchen und 2 Boys. Ich war der Älteste."
Feinzilberg war zu Kriegsbeginn ein junger Mann. Er wurde zwangsverpflichtet, arbeitete im deutschen Straßenbau, be- und entlud Schiffe zwischen Hamburg und Berlin.
"Mein ganze Familie haben die Nazis umgebracht. Ich bin alleine übriggeblieben." [...]
Das vollständige Manuskript im pdf-Format sowie als barrierearme txt-Version.
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