Holocaust und Rumänien

Schreiben gegen das Verdrängen

Der Schriftsteller Paul Zsolnay
Der Schriftsteller Catalin Mihuleac © privat / Paul Zsolnay Verlag
von Mirko Schwanitz · 15.03.2018
Es ist ein Kapitel, über dem das Schweigen hängt: In Rumänien gab es grausame, antijüdische Pogrome bevor die Nazis kamen. Autor Catalin Mihuleac thematisiert in seinem Buch "Oxenberg & Bernstein" die Geschichtsverdrängung.
Es schneit. Straßenbahnen rumpeln über den Platz der Einheit in Iasi, Rumäniens viertgrößter Stadt. Catalin Mihuleac ist unterwegs zu einem der Orte seines Romans "Oxenberg & Bernstein".
"Das hier war 1941 das Gebäude der Kriminalpolizei. Am Morgen des 29. Juni 1941 wurden hier jüdische Männer zusammengetrieben. Auf diesem Hof, den du hier hinter dem Bauzaun sehen kannst, wurden hunderte ermordet, die Überlebenden zum Bahnhof gebracht."
An diesem Tag machten Tausende Rumänen Jagd auf ihre jüdischen Nachbarn. Die Überlebenden wurden in Güterzügen solange durch die Hitze des Sommers gefahren, bis alle tot waren. In wenigen Tagen starben mehr als 13 000 Menschen. Catalin Mihuleac wurde 20 Jahre nach diesem Pogrom geboren.
"Meine Kindheit habe ich 100 m von hier verbracht. Wohin ich auch ging, mit der Lehrerin oder den Eltern, ich habe immer gefragt, was da früher gewesen war. Da gab es eine jüdische Textilfabrik. Gegenüber eine Bank, geleitet von einem Juden und da eine kleine Straße, die voller kleiner jüdischer Läden war."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Jüdischer Friedholf von Iasi in Rumänien© Mirko Schwanitz
Doch wo waren all die Menschen hin? Er spürte, wie alle einer Antwort auf die Frage auswichen. Und er spürte den Antisemitismus – auch in der eigenen Familie.
"Als ich studiert habe, hatte ich eine jüdische Freundin, die später mit ihrer Familie ausgewandert ist. Und immer wieder habe ich gehört, dass meine Beziehung eine Sünde sei. Brauchst Du eine Jüdin wurde ich gefragt. Gibt es nicht genügend Christinnen?"
Er studiert Geologie, promoviert aber in Philologie. Vom Pogrom von Iasi aber hört er erst 2001 zum ersten Mal. Da hat er bereits drei Bücher veröffentlicht, ist 41 Jahre alt, und die Antwort auf all seine Kindheitsfragen trifft ihn wie ein Schlag.
"Mir sind die Einzelheiten allmählich bekannt geworden, und ich habe beschlossen, ein Buch darüber zu schreiben, all die Menschen wieder lebendig werden zu lassen, weil sie ungerechterweise in Vergessenheit geraten waren."
Im Roman erzählt Catalin Mihuleac die fiktive Geschichte des berühmtesten Frauenarztes von Iasi, Jaques Oxenberg, in derart drastischen, provokativen und sexualisierten Bildern, dass sich im Leser zunächst alles sträubt, weiterzulesen.
"Es gibt viele Leute, die der Stil des Buches stört. Am Ende aber geben sie zu, dass es der einzig mögliche war, um Reaktionen zu provozieren."
Wer den Toten im Roman begegnen will, müsse auf den jüdischen Friedhof von Iasi, sagt Catalin Mihuleac und verscheucht die Hunde, die ihn bewachen. Dann ist es wieder still auf dem Gotteshügel. Es geschehen seltsame Dinge, sagt Catalin, während er zwischen den endlosen Reihen der Gräber durch den Schnee stapft.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Catalin Mihuleac mit dem Vertreter der jüdischen Gemeinde Simon Iancu© Mirko Schwanitz
"Letztes Jahr rief mich eine Frau an. 96 Jahre. Ich fragte sie: Wie heißen Sie? Und sie sagte: Ich bin Rosa Oxenberg."
Bis dahin glaubte Catalin Mihuleac große Teile der Familiengeschichte der Oxenbergs ebenso frei erfunden zu haben wie den Familienamen seines Haupthelden. Und dann dieser Anruf. Von einer Frau, die meinte, sich im Roman erkannt zu haben: Rosa Oxenberg, die Frau seines Haupthelden, wird im Roman mehrfach brutal vergewaltigt.
"Es ist hart für mich, hierherzukommen. Ein Schmerz in meinem Herz."
Der Roman sei nicht die erste Veröffentlichung über das Pogrom von Iasi, sagt er. Aber es sei die erste, die so heftige Reaktionen auslöste. Und offenlegte, wie tief die antisemitischen Vorurteile bis heute sitzen. Und welche Angst bei jenen herrscht, die sich nach dem Sturz der Ceausescu-Diktatur weiterhin an jüdischem Eigentum bereichern.
"Es gab einige Personen vom rumänischen Geheimdienst, die mich überreden wollten, das Buch nicht zu veröffentlichen. Es gebe da gewisse Interessen, an Grundstücken ehemals jüdischer Eigentümer. In einer Lesung stand ein Mann auf und brüllte, ob die Juden mich für dieses Buch bezahlt hätten. Ich solle mich schämen, so etwas zu schreiben. Ein anderer sagte, ich werde nie wieder ein Buch von ihnen lesen."
Mehr zum Thema