Holocaust-Mahnmal

"Beton ist das einzig denkbare Material"

Eine Frau mit buntem Hut steht am 09.12.2013 in Berlin im Nieselregen zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin.
Schäden am Bau: Eine Frau steht zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin. © picture alliance / dpa / Teresa Fischer
Moderation: Frank Meyer · 22.05.2014
Der Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister hat sich für einen offensiven Umgang mit den Schäden an den Betonstelen des Berliner Holocaust-Mahnmals ausgesprochen. Es dürfe nicht "der Vorwurf der Vernachlässigung im Raum" stehen. Die Wahl des Materials hält er trotz allem für richtig.
Frank Meyer: Über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin wurde jahrelang debattiert. Über die Größe, über die Lage direkt am Brandenburger Tor und über das Material. Einige wollten ein Denkmal aus Naturstein errichten, aber dann wurde entschieden, die 2.711 Stelen des Denkmals werden aus Beton gegossen. Nun zeigt sich, dieser Beton zerfällt. Ein Gutachter hat erklärt, dass 380 der Stelen schon gefährlich beschädigt sind. War es also doch gar keine gute Idee, dieses so bedeutsame Denkmal aus Beton zu bauen? Dieter Nürnberger informiert über den Zustand des Stelenfeldes.
Und wir haben jetzt den Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München am Telefon. Er hat sich in seiner Dissertation mit dem Material von Denkmälern beschäftigt, mit der symbolischen Bedeutung von Beton, Klinker und Granit. Seien Sie herzlich willkommen, Herr Fuhrmeister!
Christian Fuhrmeister: Schönen guten Tag!
Meyer: Was bewegt Sie denn bei dieser Nachricht, dass die Betonstelen des Holocaust-Mahnmals zerfallen?
Fuhrmeister: Das ist für mich erst einmal eine Nachricht wie alle anderen auch, das passiert einfach immer mal wieder, dass Dinge, die gebaut werden, irgendwann brüchig werden. Sei es das Nürnberger Reichsparteitagsgelände, wo die Stadt Nürnberg diskutiert, kann man es schützen, kann man es halten, kann man es sanieren? Das ist ein Thema, das auch hier in München aktuell ist – Braunfels, der Neubau der Pinakothek der Moderne musste geschlossen und saniert werden.
Meyer: Sie meinen den Architekten Stephan Braunfels und seinen Bau?
Fuhrmeister: Ja. Und das kommt immer mal wieder vor. Und insofern ist das eigentlich ein vergleichsweise normaler oder alltäglicher Vorgang. Ist nun schade, dass es ein so prominentes und so wichtiges Objekt auch trifft.
Meyer: Aber man könnte doch angesichts dieser Nachricht dieses Nachdenken neu aufnehmen und fragen, wäre es doch eine bessere Idee gewesen, das Denkmal aus Naturstein zu errichten, zum Beispiel aus Schiefer, war damals im Gespräch?
Fuhrmeister: Das ist ja ein geschlossenes künstlerisches Konzept, was man als Auftraggeber, also die Stiftung, ja auch als solches einkauft. Das heißt, es gibt den Wettbewerb, und Eisenman und Serra schlagen etwas vor, dann gibt es Änderungsvorschläge, Serra steigt aus, und Eisenman hat es einfach so vorgeschlagen. Und Form und Material sind ja schon auch inniglich miteinander verknüpft und verbunden, und ich denke, Eisenman wird auch seine Gründe gehabt haben, Beton zu präferieren.
Meyer: Was sind denn aus Ihrer Sicht Gründe, die für Beton sprechen könnten? Oder anders gefragt, welche Botschaft hat für Sie das Material Beton, an dieser Stelle, beim Holocaust-Mahnmal?
Naturstein wäre "von der Symbolsprache her nicht übertragbar"
Fuhrmeister: In gewisser Weise ist es für mich das einzig denkbare Material. Denn in dem Moment, wo man in der Nähe des Brandenburger Tores, in der Nähe des Reichstages etwas mit Naturstein machen würde in dieser Dimension, ist unweigerlich die Tradition der Natursteinverwendung auch und gerade im Nationalsozialismus – das liegt offen zutage – Sie kennen die Pläne von Albert Speer und anderen, Berlin zur Welthauptstadt Germania umzugestalten, und da war auch ein riesiger Triumphbogen für die Gefallenen geplant, wo alle Namen der gefallenen deutschen Soldaten in Granit eingehauen werden sollten. Das ist einfach sozusagen von der Symbolsprache her in keiner Weise übertragbar. Das heißt, es musste etwas anderes und Neues geschehen, und das ist dann ja auch realisiert worden, so ähnlich wie kurz zuvor, Daniel Liebeskind beim Jüdischen Museum in Berlin mit seinem Garten des Exils, mit dem Stelenfeld. Insofern war das etwas "Normales", Beton zu wählen.
Meyer: Also Sie sagen, Denkmäler aus Naturstein sind quasi historisch belastet, weil die Nazis solche Natursteinfanatiker waren?
Fuhrmeister: Wenn ich jetzt mit einem Lobbyisten der Natursteinindustrie sprechen würde oder er dieses hört, würde er mir sofort widersprechen, und zu Recht. So einfach kann man es nicht machen. Es kommt immer auf den Einzelfall an und nicht auf sozusagen – man kann da keine Grundregel draus ableiten. Es kommt darauf an, was ist das künstlerische Konzept, was im Einzelfall dahinter steht. Es gibt innovative, tolle, interessante Vorschläge, wie man beispielsweise mit Findlingen arbeitet oder mit Naturstein, seiner Bearbeitung – da gibt es viele, viele Beispiele, wo das gut funktioniert und wo auch gerade gewissermaßen die Dimension von Zeit, von Erinnerung, von Gedenken im Material Naturstein wunderbar aufgehoben wird, und das ist ein schlüssiges Konzept. Das gilt in jedem Fall, aber in dieser Größe an diesem Ort erfordert es schon ein spezifisches Konzept, und das war nicht der Ansatz von Eisenman.
Meyer: Deutschlandradio Kultur – die Betonstelen des Berliner Holocaust-Mahnmals zerfallen, und wir sprechen über Denkmäler aus Beton mit dem Kunsthistoriker und übrigens auch ausgebildeten Steinmetz Christian Fuhrmeister. Lassen Sie uns mal auf die Geschichte schauen von Denkmälern aus Beton. Wo hat das eigentlich angefangen, wer hat das erste entworfen?
Fuhrmeister: Die ersten Denkmäler rein aus Beton – da wird man wenig Vorläufer im 19. Jahrhundert finden. Es gibt ganz frühe Beispiele. Rudolf Steiner beim Goetheanum gibt es eine Betonverwendung, die noch nicht Denkmalcharakter hat, aber wichtig ist. Und dann kommt Walter Gropius in Weimar mit dem März-Gefallenen-Denkmal 1921, und das ist in gewisser Weise ein Paukenschlag, weil er es schafft, für eine bislang nicht existente Bauaufgabe, nämlich ein Arbeitergrab – das gab es vorher nicht, Arbeiter bekamen keine Extra-Denkmäler, es geht da um den Kapp-Putsch, den Widerstand gegen den Kapp-Putsch in Weimar – ein Betondenkmal errichtet, ein Blitz, der aus den Gräbern herauszudrängen scheint. Und das wird zeitgenössisch, 1920, '21 von den Auftraggebern auch so verstanden, die sagen: Ja, genau so, wie sich die Arbeiter zusammengeschlossen haben, um Widerstand zu leisten, so binden sich die Sandkörner im Beton zusammen, um eine neue, bessere Welt zu erkämpfen.
Das ist natürlich sozusagen eine Gewerkschafts- beziehungsweise eine sozialistische Vision oder Utopie, die da verlautbart wird, aber das ist sozusagen ein Beispiel für Betondenkmäler, was sehr wichtig ist. Es gab schon während des Ersten Weltkriegs Vorschläge, die Kreuze für die gefallenen Soldaten aus Beton zu errichten, aber da war gewissermaßen der Aspekt der Massenproduktion für das Massensterben, das war zu eng, und das hat die Heeresleitung abgelehnt, das wollte man nicht. Da wurde dann entweder Holz oder Naturstein genommen.
Meyer: Es gibt noch ein anderes wichtiges Denkmal, das auch nicht aus Naturstein hergestellt wurde, das Denkmal für die Toten der Revolutionskämpfe von 1918 und '19 von Mies van der Rohe. Der hat wiederum das Denkmal mit Klinkern, roten Klinkern verkleidet. Würden Sie das dem Beton an die Seite stellen, dass das quasi eine Gegenposition zum Natursteindenkmal ist?
Fuhrmeister: Ja, unbedingt. Das war ja ein direkter Auftrag der KPD, vermittelt über Eduard Fuchs. Und es ist auch dort in Berlin-Friedrichsfelde der Versuch, für eine sozusagen neue Aufgabe – von der künstlerischen Form musste die KPD erst überzeugt werden, die war nämlich viel traditioneller und konservativer eigentlich in ihren Vorstellungen – für etwas Neues, und das sind dann insbesondere die linken Bewegungen der 20er-Jahre, die sagen, da muss was her, was anders ist als das, was wir kennen vom bürgerlichen Verdienstdenkmal des 19. Jahrhunderts oder gar von den Bismarck- oder Kaiser-Wilhelm-Denkmälern. Wir brauchen eine neue Formen- und eine neue Materialsprache. Und diese beiden stehen in der Tat für diese Tendenz, dass man mit den künstlichen Steinen sagt, es ist etwas Menschengemachtes, und wir wollen eine andere Gesellschaft haben. Das steckt auch ein Stück weit im künstlichen Material drin.
"Mit diesen Schäden offensiv umgehen"
Meyer: Lassen Sie uns noch mal ganz kurz zurückkommen zum Holocaust-Mahnmal in Berlin, das nun teilweise zerfällt. Was würden Sie sagen, was soll man da tun – die Stelen ersetzen, Stahlmanschetten drum herum machen oder den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen, die Stelen zerfallen lassen?
Fuhrmeister: Ja, die Sache ist schwierig, und da wird man vermutlich auch unterschiedliche Stimmen einfangen können. Es ist ein Ort des Gedenkens. Der kann als solcher nur würdig sein, wenn er "ordentlich" ist. Das heißt, wenn da etwas abbröckelt, ist sofort sozusagen der Vorwurf der Vernachlässigung im Raum. Das heißt, man muss etwas machen – der Status quo als solcher ist unbefriedigend, aber ich denke, man kann auch mit diesen Schäden offensiv umgehen. Man kann sagen, die sind im Lauf des Prozesses entstanden. Man kann darüber informieren.
Schwierig sind die Verschwörungstheorien, die sich daran knüpfen: wer hat geschlampt, und diese ganze baurechtliche Auseinandersetzung, Schadensersatzklagen und so weiter. Das ist ja für manche Leute eine Spielwiese, hat aber ja mit dem eigentlichen Appell und auch mit dem Erfolg dieser Koppelung von Gedenkfeld plus Informationsraum eigentlich wenig zu tun. Ich würde für gewissermaßen Transparenz und Kommunikation plädieren, dass man das erklärt. Ob diese Idee, die Stelen tatsächlich als Hohlkörper auszuformen und keinen Stahl zu verwenden, eine richtige war, das ist für mich in stärkerem Maß eine ingenieurtechnische oder Sachverständigenentscheidung.
Meyer: Also vorsichtiges Reparieren, wenn ich Sie richtig verstehe. Der Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister war das vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München. Wir haben über Denkmäler aus Beton gesprochen. Ganz herzlichen Dank!
Fuhrmeister: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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