Holocaust in Moldau

Das Schweigen über die Naziverbrechen

Ion Antonescu und Adolf Hitler
Der rumänische Marschall Ion Antonescu (l) mit Adolf Hitler (r) während des Zweiten Weltkrieges. © picture alliance / dpa / Foto: Ullstein
Von Jutta Schwengsbier und Simon Ciochina · 08.04.2015
Dass sich an der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten auch Rumänen, Ukrainer und Russen beteiligten, wird bei offiziellen Veranstaltungen selten erwähnt. Auch in der Republik Moldau kommt der Holocaust bis heute im Geschichtsunterricht nur als Randnotiz vor.
Agapia Arap ist Roma. Sie lebt im kleinen Dorf Ursari, 70 Kilometer von der moldauischen Hauptstadt Chisinau entfernt. Die 79-Jährige ist eine der letzten Überlebenden des Holocausts an den Juden und Roma in Südosteuropa. Bis heute erinnert sie sich gut daran, wie rumänische Polizisten damals in ihr Dorf kamen und den Roma sagten, sie sollten sich für die Umsiedlung vorbereiten.
"Ich war noch ein Kind, zwölf Jahre alt. Mein Vater war ein guter Schmied. An einem Sonntag kamen die Rumänen und brachten uns in einem Bauernwagen nach Chisinau. Der Polizist hatte zuvor eine Liste gemacht, wer von uns im Dorf Roma ist. Sie hatten uns neues Land und andere Häuser versprochen. Tatsächlich kamen wir ins Ghetto. Wir mussten im Viehstall ohne Fenster leben. Hungrig und in der Kälte. 40 Familien aus unserem Dorf wurden deportiert. Viele sind gestorben. Wir litten drei Jahre lang."
Der Holocaust ist nicht sichtbar
Das Ghetto, in das Agapia Arap und ihre Familie verschleppt wurde, liegt in der Nähe der heutigen Nationalbank in Chisinau. Es war eines der Lager, die der Hitler-Kollaborateur, der rumänische Marschall Antonescu, errichten ließ. Der Holocaust ist nicht sichtbar und so gut wie vergessen in Moldau. Irina Şihova versucht Ihn wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Die Direktorin des jüdischen Museums in Chisinau hat jahrelang Beweise für die Massaker gesammelt.
"Wir sind jetzt auf der Straße mit dem hebräischen Namen, Jerusalem im Zentrum von Chisinau. Irgendwo hier gab es den Eingang zum Ghetto. Wir wissen es nicht genau, weil am Ende des Krieges, während der Operation Iasi-Chisinau, alles zerstört wurde. Zu Beginn des Krieges waren 25.000 Juden und Roma in diesem Ghetto."
Marin Alla zündet jedes Jahr eine Kerze in der orthodoxen Kirche von Chisinau an und betet für alle, die im Ghetto starben. Wie 50.000 andere Roma war auch sein Vater im größten Ghetto nahe der Ortschaft Bug interniert. Viele seiner Verwandten wurden dort gefoltert und ermordet. Als Präsident von "Tarna Rom" versucht Marin Alla fast im Alleingang, Beweise für den Völkermord an den Roma zu sammeln und zu veröffentlichen. Bis heute sei unklar, wie viele Roma interniert und getötet wurden, oder wie viele von ihnen in ihre Heimat zurückkehren konnten, sagt Alla.
"Im Holocaust wurden sehr viele Roma getötet. Können sie sich vorstellen, dass einige Politiker in Rumänien Marschall Antonescu als Helden bezeichnen? Ich kann nicht verstehen, dass Menschen im 21. Jahrhundert einen Mann verherrlichen wollen, der Hunderttausende von Menschen getötet hat."
Konzentrationslager und Ghettos in Moldau
Schätzungen gehen von 200.000 bis 700.000 Opfern im damaligen Bessarabien aus. Der Historiker Sergiu Nazaria ist einer der wenigen, der ein Buch über den vergessenen "Holocaust in Bessarabien" veröffentlich hat. Nach seinen Recherchen gab es 1941 auf dem Gebiet der heutigen Republik Moldau 49 Konzentrationslager und mehrere Ghettos.
"Nach den damals verbreiteten Rassentheorien galten Roma als Parasiten, die keine Existenzberechtigung hatten. In der Sowjetzeit war dieses Thema tabu. Offiziell waren nur die Deutschen schuld. Dass an der Vernichtungspolitik auch Rumänen, Kroaten, Ukrainer, Weißrussen und selbst Russen beteiligt waren, wurde ausgeblendet. In den Schulen kam das Thema bis in die 1990er-Jahre überhaupt nicht vor. Das einzige Lehrbuch zu diesem Thema habe dann ich geschrieben. Aber im Jahr 2010 wurden meine Bücher aus der Schule genommen und später sogar verboten."
Heute kommt der Holocaust im Lehrplan der Republik Moldau nicht mehr vor. Die junge Generation glaubt, der Holocaust sei in Auschwitz passiert. Wo in der Republik Moldau Gettos und Konzentrationslager waren? Diese Frage könnte wie der 16-jährige Gymnasiast Laurentiju niemand an Chisinaus Schulen beantworten.
"Massaker an Roma? Hier in Moldau? Davon habe ich nie etwas gehört. Wo waren diese Lager? Ich habe keine Ahnung."
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