Holocaust-Gesetz in Polen

"Ja, aber …"

Das Bild zeigt Polens Präsidenten Andrzej Duda, er steht vor polnischen Fahnen in weiß-rot an einem Rednerpult.
Polens Präsident Andrzej Duda unterschrieb am Dienstag das umstrittene Holocaust-Gesetz, das es verbietet, dem polnischen Volk oder Staat die Mitverantwortung für Nazi-Verbrechen zuzuschreiben. © dpa-Bildfunk / AP / Alik Keplicz
Von Margarete Wohlan · 07.02.2018
Es ist richtig, den Begriff "polnische Konzentrationslager" unter Strafe zu stellen, meint Margarete Wohlan. Dennoch dürfe ein solches Gesetz nicht dazu führen, die dunklen Seiten der eigenen Geschichte zu ignorieren.
Ja, es ist falsch und diffamierend, Auschwitz, Majdanek oder Stutthof als "polnische Konzentrationslager" zu bezeichnen. Es ist richtig, gegen diese geschichtsverfälschenden Formulierungen anzugehen – etwas, was Polen bereits seit 2005 offensiv betreibt. Damals erschienen weltweit zehntausende Artikel zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und in etlichen war die Rede von "Nazi-Polen", "polnischen Todeslagern" oder von "polnischen Gaskammern". Aber auch die Bundeszentrale für politische Bildung, das ZDF, der frühere US-Präsident Obama – sie alle haben den Begriff "polnische Konzentrationslager" benutzt. Irrtümlich, sie haben sich dafür entschuldigt. Doch es ändert nichts am Fakt. Und es passiert immer wieder.
Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski hat recht, wenn er am vergangenen Wochenende im polnischen Hörfunk erklärt: "Man muss verstehen, was der polnischen Nation damals angetan wurde. Uns wurde das Recht genommen, unsere Würde als Volk zu verteidigen. Und nun schiebt man uns auf einfach skandalöse Weise die Schuld einer anderen Nation unter – die der Deutschen!"

In jeder polnischen Familie gab es Opfer

Polen war das erste Opfer des Zweiten Weltkrieges, Ziel war die Unterordnung beziehungsweise Liquidierung des polnischen Volkes. Polen verschwand von der Landkarte. Das Bewusstsein dafür ist bis heute wesentlicher Bestandteil des polnischen Selbstverständnisses. In jeder Familie sind Opfer zu beklagen. Auch mein polnischer Großvater ist als Soldat in den ersten Kriegstagen 1939 von einer deutschen Bombe getötet worden.
Deshalb finde ich es richtig, den Begriff "polnische Konzentrationslager" unter Strafe zu stellen. In Deutschland ist die Leugnung des Holocaust verboten, in Argentinien die Leugnung der von der Militärjunta begangenen Verbrechen und in Frankreich die Leugnung des Genozids an den Armeniern, um nur drei Beispiele aus anderen Ländern zu nennen.

"Einzelne" hätten mit den Deutschen kollaboriert

Ein großes Ja - und zugleich ein großes Aber: Weil das Gesetz jeden mit Strafe bedroht, der der polnischen Nation die Schuld oder Mitschuld an den Nazi-Verbrechen gibt. Kaczynski erklärte in besagtem Radiointerview vom Wochenende, er bestreite nicht, dass Einzelne mit den Deutschen kollaboriert hätten, aber dies seien Einzelfälle gewesen.
Wirklich? Das Pogrom von Jedwabne 1941, wo ausschließlich Polen hunderte Juden ermordeten – ist das ein Einzelfall? Oder ist es Teil eines gewalttätigen Antisemitismus, von dem auch die polnische Gesellschaft nicht verschont geblieben ist? Machen sich Historiker künftig strafbar, wenn sie diese Frage stellen, erforschen und darüber publizieren? Was wird aus der Suche nach der historischen Wahrheit, wenn eine Regierung darüber wacht, was Forschung und Publizistik dürfen und was nicht?

Den Antisemitismus in Polen thematisieren

Ich erinnere mich an den Dokumentarfilm "Shoah" des Franzosen Claude Lanzmann aus dem Jahr 1985. In ihm wird auch der Antisemitismus der Polen thematisiert. Die damalige polnische Regierung unter General Jaruzelski reagierte hysterisch auf die Uraufführung in Paris. Sie verlangte das sofortige Verbot des Films, weil er die polnische Nationalehre angreife. Kaczynski steht in der Tradition der Kommunisten in Polen, wenn er historische Forschung zensieren will. Jedes Volk hat in seiner Geschichte auch dunkle Seiten – und denen muss man sich stellen. Offen darüber reden.
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