"Hollywood ist schon seit Jahren in einer Schaffenskrise"

Moderation: Joachim Scholl · 25.02.2008
Nach Meinung des Filmkritikers Jörg Taszman zeigt die Auswahl der Oscars für den besten Film, dass das klassische Blockbuster-Kino in Hollywood ausgedient hat. In dem Zusammenhang gewinne der europäische Film immer mehr an Einfluss, was sich auch an den Auszeichnungen für Javier Bardem, Tilda Swinton und Marie Cotillard gezeigt habe. "Es war ja am Anfang der Abend der Ausländer", so Taszman.
Scholl: "Thank you, thank you, thank you ... ", ja, das sind die Töne, die wir alljährlich hören, wenn es drum geht, um die Oscars in Los Angeles. Und es hat also doch noch geklappt, akut bedroht vom Streik der Drehbuchautoren war ja die diesjährige Verleihung. Notfallpläne waren ausgearbeitet, Stars wären nicht gekommen, doch nach dem gefundenen Kompromiss war zumindest nach außen hin in Los Angeles alles so prächtig wie gehabt. Von einigen Preisträgern haben wir schon in unseren Nachrichten gehört und von unserer Korrespondentin Kerstin Zilm in der "Ortszeit" (MP3-Audio) . Wir wollen das Ereignis nun einschätzen und vertiefen mit Anke Leweke und Jörg Taszman, unsere Experten in Sachen Film. Schönen guten Morgen Ihnen beiden. Es war eine lange Nacht für Sie. War es denn schön, spannend, ansehnlich, Anke Leweke?

Anke Leweke: Ja, ich muss sagen, ich habe mich doch ein bisschen gelangweilt. Also Jon Stewart gilt ja als sehr politischer Moderator, und ich hatte gehofft, dass er so ein bisschen mehr Politik einfach noch mit in die Verleihung bringt. Er hat zwar so ein paar Jokes gemacht, die ganz schön waren, und gesagt, ihr habt doch jetzt sicher alle schon euren demokratischen Kandidaten gewählt. Aber ich meine, jetzt, kurz vor den Wahlen und wo klar ist, dass die Demokraten gewinnen werden, ist es auch immer ein bisschen leicht, sich jetzt mal endgültig auf diese Seite zu schlagen. Das hätte Hollywood vielleicht mal schon vor ein paar Jahren machen sollen.

Scholl: Jon Stewart ist ein Kabarettist, ein Schauspieler, gilt in den USA als kritischer Geist, bissiger Satiriker, hat eine eigene Fernsehshow. Jörg Taszman, waren Sie ebenso indifferent mit seiner Rolle?

Jörg Taszman: Nein, ich fand ihn diesmal - vor zwei Jahren hat er mich nicht weiter beeindruckt, ich habe das auch komplett vergessen -, in diesem Jahr fand ich ihn wirklich witzig. Ich fand, seine Darstellungen waren noch so mit die Höhepunkte. Weil was diesen Oscars mittlerweile so ein bisschen fehlt, ist komischerweise die Emotion, dieser O-Ton von der Siegerin, der französischen Marion Cotillard, der täuscht so ein bisschen, weil die haben das einfach zu doll durchgestylt, finde ich. Und man darf ja auch nicht mehr reden, und laufend werden irgendwelche Laureaten abgebrochen und kriegen kein Wort mehr raus.

Ich finde, das drückt schon so ein bisschen auf die Stimmung. Und dann fand ich Jon Stewart gut, und ich finde, er hat auch ein paar wirklich böse Witze erzählt. Zum Beispiel hat er gesagt, Oscar wird 80 Jahre alt, ist der perfekte Präsidentschaftskandidat für die Republikaner. Also da waren schon so ein paar wirklich böse Spitzen dabei.

Scholl: Aber gar keine Spitzen in Richtung Streik? Ich meine, der Streik der Drehbuchautoren hätte die Gala fast gekippt. Ich meine, war von dieser dramatischen Situation in der Gala gar nichts zu spüren, kein Wort darüber?

Leweke: Ja, so ein bisschen, aber es kam mir so vor wie eine Pflichtübung. Als die Drehbuchautorin von "Juno" dann auf die Bühne kam, hat sie sich kurz bedankt, gesagt, sie widmet diesen Preis ihren Kollegen. Aber dann kam die übliche Dankesrede und dann brach sie in Tränen aus. Und da hätte ich gedacht, diese Preisträgerin hätte doch mal ein paar mehr Worte sagen sollen, noch mal Stellung beziehen und die Fronten noch mal klarmachen.

Aber wie Jörg Taszman schon gesagt hat, der Oscar ist wirklich eine ganz gelackte Veranstaltung geworden, da ist überhaupt nichts Improvisiertes mehr dabei. Und dass er vielleicht dieses Jahr auch so ein bisschen verhangen war, das mag ja auch an den Filmen gehangen haben. Das waren ja alles sehr düstere Filme, und ein Kritiker der "New York Times" hat ja auch gesagt, vielleicht sollte man an diesem Abend gar keinen roten Teppich auslegen, sondern einen schwarzen Teppich angesichts dieser vielen gewalttätigen Filme.

Scholl: Gut. Kommen wir nun zu den Gewinnern und zu den Preisträgern, den Filmen. Wie jedes Jahr gab es große Favoriten, das waren die zwei "There Will Be Blood", das Ölsucherdrama von Paul Thomas Anderson, und "No Country for Old Men" von den Brüdern Ethan und Joel Coen. Der hat ihn nun gekriegt ... Aber die große Massierung ist eigentlich nicht eingetreten. Beide waren für jeweils acht Oscars, glaube ich, nominiert. Also sozusagen diese Gruppenbildung, die ist ausgeblieben, dieses Jahr, Jörg Taszman?

Taszman: Na, es war lange Zeit sogar gar nicht abzusehen, ob "There Will Be Blood" überhaupt irgendwas bekommen könnte, also der war schon durch einige Nominierungen durch, und es war immer noch nichts passiert. Dann kam immerhin der Oscar für Daniel Day-Lewis als bester Darsteller, und dann gab es noch einen zweiten Oscar, den ich jetzt gerade, Anke, kannst du mir da kurz helfen?

Leweke: Die Musik.

Taszman: Das war die Musik. Die hat er halt auch noch bekommen, nein, die Musik hat er nicht bekommen.

Scholl: Okay, das werden wir gleich ... Man hat riesige Zettel vor sich liegen mit so viel Namen, dass man die Kategorien ein bisschen durcheinanderbringt. Anyway. Also, "There Will Be Blood", das war eigentlich für Daniel Day-Lewis, das war eigentlich fast ausgemacht?

Taszman: Das war keine Überraschung, aber trotzdem finde ich, dass bei dieser ganzen Spannungslosigkeit, die man so erwartet hat, es doch ein paar ganz nette Überraschungen gab. Zum Beispiel Marion Cotillard als beste Darstellerin, ein französischer Film, der in Amerika dann auch nur untertitelt läuft, "La Vie en Rose", wie der Film in Deutschland heißt, "La Môme" ist ja der Originaltitel. Das war dann auch ein emotionaler Höhepunkt. Sie hat ja dann fast keine Stimme mehr gehabt, dem Leben, der Liebe und allem gedankt, was ihr gerade so schnell einfiel. Und was ich auch sehr, sehr schön fand, dass der Oscar für den besten Song an "Once" ging, an Glen Hansard and Marketa Irglova.

Scholl: Diesen kleinen Film ...

Taszman: Diesen kleinen irischen Film, und bei der ganzen schrecklichen Disney-Musik für "Verwünscht", die nominiert war, haben sie da wirklich noch den besten Song herausgefiltert. Und dann kam diese Situation, der Glen Hansard durfte noch danken, Marketa Irglova wurde abgewürgt, da war das Mikro abgeschaltet. Und ich habe mich darüber sehr geärgert. Aber dann hat Jon Stewart oder die Verantwortlichen gemerkt, dass sie da einen großen Fauxpas begangen haben, und sie wurde dann noch mal zurück, fünf Minuten später durfte sie dann doch noch mal auf die Bühne kommen und sich doch noch mal bedanken. Und das war für mich auch so ein sehr, sehr schöner Moment. Es gab ein paar vereinzelt schöne Momente und auch die eine oder andere Überraschung.

Scholl: Jetzt kommen wir mal zur Düsternis, Anke Leweke, Sie haben sie schon angesprochen, schwarzer Teppich hätte es eigentlich sein sollen. "There Will Be Blood", das ist ein finsteres Drama, und noch finsterer und gewalttätiger ist "No County for Old Men" nach dem Roman von Cormac McCarthy. Wer diesen Schriftsteller kennt, der weiß, dass es hier um Amerika geht, um Gewalt, um Psychologie und Finsternis. Und die beiden Coen-Brüder, die haben dem wohl richtig entsprochen.

Leweke: Ja, und ich finde das schön, dass die Coen-Brüder endlich auch mal einen Oscar bekommen. Sie sind ja sozusagen schon seit Jahren Einzelgänger, und wenn ich mal so einen Begriff benutzen darf, die ziehen ja wirklich ihr Ding durch. Das sind ja Autorenfilmer aus Amerika. Und sie haben eben immer einen ganz eigenen Blick auf Amerika, und am liebsten nehmen sie sich ja den amerikanischen Traum vor, durchleuchten den, entblättern den, und das machen sie ja auch jetzt in diesem Film wieder.

Da findet eben ein Mann in der Wüste einen Koffer voller Geld. Er weiß, dass es Drogengeld ist, und er nimmt ihn trotzdem mit, er kann der Versuchung nicht widerstehen. Er weiß aber nicht, dass daraufhin ein Killer ihm folgen wird. Und es gibt dann wirklich ein unheimliches Blutbad. Und die Coens machen daraus wirklich eine ganz große Parabel über Amerika, über den Kapitalismus. Und ich finde das immer ganz schön, wie sie einen trotzdem unterhalten können. Das ist enorm spannend alles, sich das anzuschauen. Und dann auf einmal kommt man trotzdem mit so einem etwas traurigen Gefühl doch aus dem Kino raus.

Scholl: "No Country for Old Men" hat den Oscar bekommen, Düsternis regiert in Hollywood. Jahrelang hat man gesagt, okay, Amerika sonnt sich ein wenig im Mainstream, so ein bisschen in der Heiterkeit mit den Preisen. Jetzt also, ja, düsterer amerikanischer Mythos. Was ist da passiert in Hollywood, Jörg Taszman?

Taszman: Ich glaube, Hollywood ist schon seit Jahren wirklich in einer Schaffenskrise, und das merkt man vor allen Dingen bei den Mainstream-Filmen, das merkt man vor allen Dingen an den kommerziellen Filmen, die alle auch nicht mehr so funktionieren. Hollywood verliert massiv an Marktanteilen, in sehr, sehr vielen europäischen Ländern zumindest. Also gerade in Frankreich, wo er bei 35 Prozent liegt, oder sogar in Tschechien, wo er bei 35 Prozent liegt, da gibt es immer mehr Länder, Russland hat total aufgeholt, wo Hollywood einfach nicht mehr diese Bedeutung hat. Im vorigen Sommer haben wir gemerkt, dass dieser Kino-Sommer, der in Amerika ganz stark funktioniert mit den Blockbustern, hier in Deutschland und in den anderen europäischen Ländern schon gar nicht mehr funktioniert.

Und dann gab es eben eine Menge Filme, die waren bestimmt dafür gedacht, Oscars abzuräumen wie "Charlie Wilsons War" zum Beispiel von Mike Nichols, die es dann aber einfach nicht geschafft haben, weil sie auch nicht gut genug sind.

Das europäische Kino hat aufgeholt, und ich finde, das hat man auch gesehen. Sie verstehen es immer noch sehr gut in Hollywood, sich die europäischen Talente zu holen. Es war ja am Anfang der Abend der Ausländer. Javier Bardem gewann den Oscar für den besten Nebendarsteller in "No Country for Old Men", Tilda Swinton gewann einen Oscar, und dann Marion Cotillard, wie ich schon erwähnt habe. Also das alles unterstreicht eigentlich, dass das europäische Kino auch in Amerika immer mehr an Einfluss gewinnt.

Scholl: Hier passt die Anfügung des österreichischen Films natürlich dazu, obwohl man hier sagen muss, immer wenn es in europäischen Filmen um NS-Vergangenheit geht, dann spitzen die Academy-Mitglieder ihre Öhrchen, und so wurde auch "Die Fälscher", die österreichische Produktion, zum besten ausländischen Film gekürt. Ist das so eine Tendenz, die man so beobachten kann, Anke Leweke?

Leweke: Ja, ich meine, die gibt es ja schon seit 30, 40 Jahren, das ist ja nichts Neues. Und ich muss nur sagen, jetzt heißt es ja immer österreichische Produktion, die Österreicher haben ihn eingereicht, aber der Regisseur Stefan Ruzowitzky hat ja gesagt, das ist ein Film, der ist zur Hälfte von Deutschland mitfinanziert worden. Also wir haben heute Nacht auch wieder einen halben Oscar gewonnen. Und mich wundert es eigentlich, dass das trotzdem so in der Presse untergeht. Hast du dafür eine Erklärung, Jörg?

Taszman: Nein, die Österreicher waren einfach ein bisschen cleverer. Weil Ruzowitzky nun mal Österreicher ist, der Film ist aber in Babelsberg gedreht worden, ist hauptsächlich auch mit deutschen Schauspielern, bis auf den Hauptdarsteller, den Karl Markovic, der ist wirklich Österreicher. Also es ist wirklich eine total anteilige deutsch-österreichische Koproduktion. Aber die Deutschen haben Fatih Akin ins Rennen geschickt, was im Prinzip eine gute Wahl war, aber mit diesem Film hat man eben keine Chancen bei dieser komischen Kategorie des Auslands-Oscar. Das sagt nichts über die Qualität des Films aus, sondern der war thematisch einfach zu modern, zu europäisch. Und so ein Film funktioniert in Amerika einfach nicht.

Scholl: Zum Schluss: Eine Oscar-Nacht ist für einen Filmkritiker immer ein Muss, jedes Jahr, Sie gucken sich das jetzt seit Jahren an. Vorhin haben Sie schon ein wenig beide die Nase gerümpft - zu gelackt, bisschen langweilig. Was nehmen Sie aus dieser Nacht mit so für Ihre Arbeit, für Ihre Überlegungen?

Leweke: Ja, ich würde gerne noch was hinzufügen, was Jörg Taszman eben gesagt hat. Sie haben ja gesagt, dass Hollywood in der Krise ist. Ich würde sagen, Hollywood reagiert einfach auch auf die politischen Umstände in Amerika, und das finde ich spannend. Und ich hoffe, dass ich nächstes Jahr wieder so viele spannende Filme unter den Nominierungen entdecken kann.

Taszman: Ich wünsche mir einfach, dass auch dieser Mainstream, der sehr, sehr unterhaltsam sein kann, so wie Filme wie "Einer flog über das Kuckucksnest" oder "Die durch die Hölle gehen" oder wirklich aufrüttelnde Filme, die auch ein bisschen sinnlicher sind als der diesjährige Jahrgang, davon wünsche ich mir ein bisschen mehr. Ich bin auch sehr froh über politische Filme, auch über sozialkritische Filme, aber ich finde ja ganz ehrlich, dass "There Will Be Blood" gar nicht so politisch ist, und "No Country for Old Men" ist zwar ein sehr amerikanischer Film und auch ein sehr kritischer Film, aber für mich völlig unpolitisch.

Scholl: Die Oscar-Nacht ist zu Ende, die Preise sind verliehen. Danke an Sie, Anke Leweke und Jörg Taszman, fürs Durchhalten und für dieses Gespräch.