Holland akustisch

Rezensiert von Adelheid Wedel · 23.06.2006
Das akustische Länderporträt von Corinna Hesse bietet 600 Jahre Zeitgeschichte der Niederlande bis in die Gegenwart. Dabei geht es weit über die Klischees von den Tulpen aus Amsterdam oder der Sonnenblume des Malers van Gogh hinausgeht. Das Hörbuch, das sich als Reisebegleiter eignet, bietet eine gelungene Mischung von Musik und Text.
Musik: Gott erschuf die Welt, aber die Holländer schufen Holland

So selbstbewusst beginnt das Hörbuch, dessen Hauptakteur ein Land ist. Mit "Niederlande hören" sind die rund 70 Minuten schlicht überschrieben. Aber ein Atlas der Ereignisse beginnt sich zu drehen. In dieser reichlichen Stunde blättert uns der Verlag Silberfuchs ein Panorama der Geschichte, Kulturgeschichte und Philosophie unseres nordwestlichen Nachbarlandes auf. Der mit leichter Hand geschriebene, mitunter witzig pointierte Rückblick begleitet den Hörer durch rund 600 Jahre Zeitgeschichte bis zur Gegenwart.

Aus der CD: " Eigentlich steht den Niederländern das Wasser bis zum Hals – gut ein Viertel des Landes liegt unter dem Meeresspiegel. (…) Den Wind kann man nicht verbieten, aber man kann Windmühlen bauen. (…) Alle Dinge lassen sich sagen und Käse und Brot lassen sich essen."

Das Länderporträt von Corinna Hesse bleibt nicht an diesen amüsanten Vergleichen hängen. Es lotet Historie aus und verhilft uns zu einem Wissen, das weit über die Klischees von den Tulpen aus Amsterdam oder der Sonnenblume des Malers van Gogh hinausgeht.
Bleiben wir bei der Malerei – da erfahren wir viel über die so genannten "alten Holländer", über van Eyck zum Beispiel:

" Schon von seinen Zeitgenossen wird Jan van Eyck als Zauberer gefeiert. Sie bewundern sein Gold, das so aussieht wie wirkliches Gold. Perlen, Edelsteine scheinen, als habe nicht die Kunstfertigkeit der menschlichen Hand, sondern die alles hervorbringende Natur selbst sie geschaffen."

In Rembrandts Bild "Die Nachtwache" steckt bis heute ein Rätsel:

" Mit dem undisziplinierten Lanzensalat verulkt Rembrandt die militärische Parade. (...) Signalfarben lenken den Blick auf die pittoresken Kostüme. (…)Die akribisch gemalte goldbestickte Jacke des Leutnants korrespondiert mit dem goldgelben Kleid eines seltsamen Mädchens. Es trägt einen toten Hahn, eine Pistole und Pulver bei sich. Ein bis heute ungelöstes Rätsel."

Spannend wird es immer dann, wenn die Beobachtungen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart führen, so stellt beispielsweise Corinna Hesse, nachdem sie van Eycks akribisch genaue Malerei beschrieben hat, die Frage, ob man da noch von Zufall sprechen kann, dass das 1. Mikroskop in den Niederlanden entwickelt wurde.

Oder auch das Ringen um eine demokratische Staatsform. Es hat Wurzeln auch in den Niederlanden. Hier schrieb Spinoza sein Hauptwerk, in dem er als Zweck des Staates ausführt:

" Unter Leitung der Vernunft sollten die Menschen einen Gesellschaftsvertrag schließen, der das Recht für alle Bürger regelt. Das Recht einer derartigen Gesellschaft aber heißt "Demokratie". Zweck des Staates ist es, die Freiheit aller zu garantieren."

Das holländische Pflaster scheint besonders geeignet für internationale Rechtssprechung. Gibt es unter den Völkern Krieg oder Genozid, so schlichtet der Internationale Gerichtshof in Den Haag. Das lässt sich zurückführen auf das Wirken von Hugo Grotius aus Delft, der in einem Gutachten festschrieb "Die Meere sind frei" – und der damit das Gründungsdokument des modernen Völkerrechts formulierte.

Neben der Philosophie werden der Entwicklung von Kunst, Literatur, Architektur, aber auch der Musik besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist dem Produktionsteam eine sehr ausbalancierte Mischung von Musik und Text gelungen, alles steht organisch zueinander und die Musikstücke, auch wenn sie oft nur kurz eingeblendet werden, verbreiten eindrucksvoll Zeitkolorit.

Den Text spricht der Schauspieler Rolf Becker souverän, mit einem Schuss Neugier, in angenehmem Tempo. Selbst wenn ein Text, wie der Essay "Lob der Torheit", ironisch gemeint ist und damit dem Philosophen Erasmus von Rotterdam ein Denkmal gesetzt wird, gelingt ihm die feine Balance zwischen ernstem Hintergrund und vordergründigem Spaß:

" Die Torheit weist nach, dass sie ausnahmslos alle beherrscht. Die Geistlichen, die Fürsten, die Wissenschaftler und die Literaten.. Aber das macht nichts, denn die Torheit macht die Menschen glücklich. Sie gibt ihnen Lebenskraft, Verstand tötet. Wer zuviel kritischen Geist besitzt, muss verzweifeln. Deshalb ist nur die Torheit die wahre Weisheit. Erst wenn der Mensch alle Fesseln des Verstandes abwirft, erhebt er sich zu reiner Freiheit. "