Hoffnung am Abgrund

Rezensiert von Brigitte Neumann · 28.07.2005
In Nick Hornbys Roman treffen sich vier Selbstmordkandidaten auf demselben Londoner Hausdach. Ihr Ziel zu springen, verwandelt sich in eine Überlebensgemeinschaft. Im Hörbuch "A Long Way Down" spricht die Schauspielerin Julia Hummer in dem Vierer-Monolog die trotzige Jess.
Martin: "Was würden Sie machen? Wie stellt man es an, sich selbst nett genug zu finden, um noch ein bisschen weiterleben zu wollen?…"

Das fragt der früher mal berühmte, inzwischen aber nur noch berüchtigte Frühstücksmoderator Martin Sharp. Ansehen, Wohlstand, Familie - alles hat er einer Vorliebe für minderjährige Mädchen geopfert. Sein Absturz, glaubt er, wird lebenslänglich sein, denn die Boulevard-Blätter haben ihn selbst nach Verbüßung seiner Gefängnisstrafe weiterhin auf dem Kieker. Für sie ist er DRECKSACK MARTIN SHARP. Selbst einer aus der Gilde der Wirklichkeitsmacher, kennt er auch schon die Schlagzeile, die bald auf Seite 1 stehen wird: SHARP SCHAFFT DEN ABSPRUNG.

Martin Sharp ist einer von vier Selbstmordkandidaten, die in derselben Nacht auf demselben Hausdach im Londoner Norden aufeinander treffen, alle mit dem Ziel zu springen. Jeder alleine hätte es vielleicht getan. Zusammen versprechen sie sich jedoch, erst einmal 90 Tage weiterzuleben, und während dieser Zeit eine Art Überlebensgemeinschaft zu bilden. Die Schauspielerin Julia Hummer als die trotzige 18-jährige Jess:

"Ich weiß die meiste Zeit nicht, warum ich was sage. Ich werde wütend, und wenn es losgeht, ist es, als wäre einem übel. Ich kotze und kotze mich auf irgendwen aus und kann erst aufhören, wenn ich leer bin."

Jess ist eine, bei der Messer und Mundwerk locker sitzen, eine ätzende Randaliererin, ein 18-jähriges Mädchen mit reichlich Liebeskummer, Selbsthass und zu vielen Drogen im Leib.

Nach ihr steigt der Rock-Gitarrist JJ auf's Dach. Er will sich umbringen, weil er keine Aussichten mehr sieht, berühmt zu werden. Wenigstens so berühmt wie Nick Drake...

JJ: "Mann, es klingt, als hätte er die Traurigkeit der ganzen Welt kondensiert, die vielen Blessuren und die hirnrissigen Träume, die du dir abgeschminkt hast, und die Essenz dann in eine winzig kleine Flasche abgefüllt und sie verkorkt. Und wenn er anfängt zu spielen und zu singen, zieht er den Korken raus und du kannst es riechen."
Die 51-jährige Maureen erzählt, warum sie das Dach des stadtbekannten Selbstmörderhauses betreten hat: Vor nun 20 Jahre hat sie ihren schwerbehindertern Sohn Matty zur Welt gebracht. Sie hält es nicht mehr aus, an den stummen, bewegungsunfähigen Menschen im Rollstuhl gefesselt zu sein.

Maureen: " Als Matty kam, kam alles zum Stillstand, und es änderte sich gar nichts mehr. Genau das ist die eine, einzige Sache, die einen innerlich absterben lässt, bis man sich schließlich wünscht, man wäre richtig tot. Ich weiß, die Menschen setzen aus allen möglichen Gründen Kinder in die Welt, aber einer davon ist bestimmt der, dass Kinder, die aufwachsen, ein Gefühl von Bewegung ins Leben bringen - Kinder nehmen dich mit auf eine Reise. Doch Matty und ich blieben an der Bushaltestelle zurück. Er lernte nie laufen oder sprechen, geschweige denn lesen oder schreiben: Er blieb tagein, tagaus ein und derselbe, das Leben blieb tagein, tagaus dasselbe, und ich blieb ebenfalls dieselbe. "

Hornbys "A Long Way Down" ist das amüsanteste Buch über Selbstmord, das man sich vorstellen kann - ein bitter-süßer Vierer-Monolog über das Talent des Menschen, sich seine eigene Hölle zu schaffen und über den Kraftakt, sie wieder zu verlassen.

Die mit sehr viel Sorgfalt auf ungefähr zwei Drittel des Romanumfangs gekürzte Lesung bewahrt zwar den Gesamtcharakter der Geschichte, trotzdem vermisst der Hornby-Leser auf den CDs einige gute Stellen. Zu kritisieren wäre auch, dass die Stimme des Schauspielers Stefan Kaminski nichts von einem passionierten Rock-Gitarristen hat, sondern eher klingt wie die eines agilen Managers. Die restliche Besetzung ist dafür um so gelungener: Lolitahafte Unbarmherzigkeit hört man aus der Stimme der durch Kinofilme wie Crazy und Absolute Giganten bekannten Schaupspielerin Julia Hummer, die die Rotzgöre Jess gibt

Der Theatermime Andreas Petri spricht überzeugend den gekränkten Aufsteiger Martin Sharp und Hille Darjes, die lange Jahre in der Bremer shakespeare company mitspielte, kann so viel müde Gottergebenheit in ihre Stimme legen, dass sie der getexteten Maureen Nick Hornbys noch ein wenig mehr Farbe verleiht.

Wie in vielen Büchern des international erfolgreichen Engländers, spielt Musik auch in "A Long Way Down" eine große Rolle, namentlich die von Nick Drake. Die Hörversion des Romans hätte durch Einarbeitung seiner eleganten und melancholischen Songs sehr gewonnen. Nick Drake starb übrigens 1974 mit 26 Jahren an einer Überdosis Anti-Depressiva.


Nick Hornby
A Long Way Down
Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann
4 CD mit einer Gesamtlaufzeit von 320 Minuten
Gekürzte Lesung
Sprecher Julia Hummer als Jess
Hille Darjes als Maureen
Andreas Petri als Martin
Stefan Kaminski als JJ
Hör Verlag
Preis: 24,95 Euro