Hörspiel: Marguerite Duras und das Kriegsende

Die Existenz der Haut

Die französische Schriftstellerin und Drehbuchautorin Marguerite Duras, aufgenommen an ihrem Schreibtisch in ihrer Wohnung in Paris in den frühen 50-er Jahren.
Die französische Schriftstellerin Marguerite Duras © picture-alliance/dpa
Hör-Collage von wittmann / zeitblom · 30.03.2018
In ihren "Heften aus Kriegszeiten" beschreibt sich Marguerite Duras schonungslos als Opfer wie als Täterin und zeigt, wie der Krieg ihr eigenes und das Leben ihrer Nächsten vergiftet und zersetzt.
Während Hitlers totaler Krieg in die Endphase geht, werden tausende Häftlinge vom KZ Buchenwald zum KZ Dachau transportiert. Der politische Gefangene Robert Antelme ist in einem der Waggons. Seine Frau, die Schriftstellerin Marguerite Duras befindet sich zur gleichen Zeit in Paris im Widerstand und erlebt ihr Warten auf Robert als Ausnahmezustand. "Ich erinnere mich plötzlich an etwas, das man mir über die Angst gesagt hat. Dass man im Maschinengewehrfeuer die Existenz seiner Haut wahrnimmt."

Hörcollage von wittmann/zeitblom
Unter Verwendung von Zitaten aus Marguerite Duras "Hefte aus Kriegszeiten" und "Der Schmerz" sowie "Das Menschengeschlecht" von Robert Antelme
Komposition und Regie: die Autoren
Mit: Sibylle Canonica, Alice Dwyer, Trystan Pütter, Konstantin Bühler
Vocals: Cobra Killer, Blake Worrell
Gitarre: Jochen Arbeit
Ton: Hermann Leppich
Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014

Länge: 50'20

Eine Wiederholung vom 17.08.2014

Aus der Collage:
Diese Berechnungen mache ich dreihundertmal am Tag:
Ein Finger für ein Stück Brot / Ein Finger / Zwei Finger für zwei Stück Brot /
Zwei Finger / Zehn Jahre meines Lebens, damit er noch zwei Jahre lebt /
Zehn Jahre meines Lebens / Alles ist immer möglich, da wir nichts wissen.
Man glaubt, dies seien außergewöhnliche Dinge.
Es ist wie alles andere. Wie alles andere, es passiert einem.
Hinterher ist es einem dann passiert.
Hörspielproduktion "Die Existenz der Haut" - Am Mikrofon die Schauspielerin Sibylle Canonica
Hörspielproduktion "Die Existenz der Haut" - Am Mikrofon die Schauspielerin Sibylle Canonica© Deutschlandradio - Jonas Maron
Hörspielproduktion "Die Existenz der Haut" - die Autoren Christian Wittmann und Georg Zeitbloom (v.l.)
Hörspielproduktion "Die Existenz der Haut" - die Autoren Christian Wittmann und Georg Zeitbloom (v.l.)© Deutschlandradio - Jonas Maron
Notiz der Autoren zur Hörcollage:
Erinnern an Krieg heißt für uns Erinnern an die Sprache des Krieges. Eine universelle Sprache mit zwei Gesichtern: Öffentliche Kriegsrhetorik, aus allen Rohren der Guten und der Bösen. Kriegssprache der großen und kleinen Männer. Zielgerichtet und gewiss.
Daneben unzählige zärtliche, empathische, kaum gesagte, mehr gedachte Sätze der Ungewissheit. Ungerichtet verlaufen sie sich im Sog der Ereignisse und werden von den Lautsprechern der Geschichte übertönt.
Duras' Kunst ist es, diese leise, vielleicht weiblichere Sprache zu retten und ihr Raum im Kriegsgeschrei zu geben. Ein Raum, den sie mit Angst, Hoffnung, Zweifel, Liebe, Zugewandtheit, Scheitern und mit allem füllt, was den Menschen trotz allem ausmacht, in Zeiten, wo das Menschliche abgeschafft werden soll, wo Kriegsrecht an die Stelle von Menschenrecht, Gewissheit an die Stelle von Ungewissheit tritt.
Christian Wittmann, Schauspieler und Regisseur, geboren 1967 in München, nach dem Schauspielstudium zunächst feste Engagements an Staatstheatern, dann Arbeit für freie Theaterproduktionen, für TV- und Hörfunk, nach 2000 vermehrt mit experimentellen freien Ensembles, u.a. dem ensemble für städtebewohner Wien/Berlin und norton.commander.productions Dresden, sowie in Kooperationen mit dem HAU Berlin, Mousonturm Frankfurt/Main, FFT Düsseldorf, Festspielhaus Hellerau Dresden, dem Schauspielhaus Wien, dem Theater am Neumarkt Zürich. Seit 2000 führt Christian Wittmann auch Regie (Theater und Hörspiel) u.a. am Landestheater Linz, Schauspielhaus Düsseldorf, Landestheater Schleswig-Holstein, Kunsthaus Tacheles Berlin.
zeitblom (Georg S. Falk-Huber), geboren 1962 in Rosenheim, studierte Musik (Bassist), arbeitet als Komponist, Performancekünstler, Produzent im Bereich Hörspiel-, Theater-, Ballett- und Filmmusik und tritt in verschiedenen Gruppierungen als Live-Musiker auf, z.B. spielte er 2008–2011 mit den beiden australischen Schlagzeugern Tony Buck und Steve Heather und mit dem Wiener Gitarristen Martin Siewert in der experimentellen Psychedelic Blues Band "Heaven And". Ende 2011 gründete er mit Jochen Arbeit und Boris Wilsdorf von den "Einstürzenden Neubauten" und Achim Färber von Projekt Pitchfork die Band "Automat". zeitblom komponierte die Musik bei vielen ausgezeichneten Hörspielen.
Wittmann/zeitblom produzieren zusammen Hörspiele und Features, u.a. "Was mit uns los ist kann doch kein Mensch verstehen" (Deutschlandradio Kultur 2016) und "Gadji Beri #2016 – eine DADA-Radio-Oper" (Dlf/NDR/SWR/WDR 2016, Hörspiel des Monats Februar).