Hörbuch

Silicon Blues. Im Hinterhof eines Mythos

Die ehemalige Garage (l) von William Hewlett und David Packard im Palo Alto, Kalifornien, gilt als Geburtsstätte des High-Tech-Mekkas Silicon Valley (Aufnahme von Oktober 2008).
Die ehemalige Garage (l) von William Hewlett und David Packard im Palo Alto, Kalifornien. © picture alliance / dpa / Christoph Dernbach
07.03.2016
Reihenweise pilgern deutsche Politiker und Journalisten ins Silicon Valley, um sich Ideen zu holen. Doch Tom Schimmeck geht es in seinem Hörbuch nicht um das berühmte kalifornische Tal als Wirtschaftsmotor - sondern als Schauplatz des Elends.
"Silicon Blues. Im Hinterhof eines Mythos" ist großartig, inhaltlich wie formal. Die Interviews, Reportage-Elemente und Texte sind dicht und kunstvoll arrangiert, mit viel Musik. Erzählt wird die Geschichte jener Menschen, die nicht am Erfolg des Tals teilhaben können. Was hier passiert, passiert auch anderswo in den USA, nur nicht in dieser Schärfe:
Ausschnitt Feature: "Das Silicon Valley ist der extreme Mikrokosmos einer sich tiefer spaltenden Nation, weil die Kontraste hier noch größer sind, weil man hier noch viel schneller noch viel tiefer fällt, weil Menschen in ganz normalen Jobs, Hausmeister und Kindergärtnerinnen, Fahrer, Lehrer, Kellner im Silicon Valley mit Überstunden kaum genug verdienen, um eine Miete aufzubringen. Sobald ein Gehalt wegbricht, werden die Verhältnisse ruckzuck sehr prekär."
Tom Schimmeck geht dorthin, wo sich diese Menschen treffen: Bei Lebensmittelausgaben, in Suppenküchen und Obdachlosenheimen.

"Du musst mit einem offenen Auge schlafen"

Er spricht mit Leuten wie Tom und Jake, die arbeits- und wohnungslos sind und in ihren Autos übernachten, auch wenn selbst das schwierig ist, weil es kaum geeignete Parkplätze gibt.
Ausschnitt Feature: "So ein Auto ist Schrank, Bett, Schutz und Transportmittel. Richard 47, wäre froh wenn er eines hätte, er lebt seit drei Jahren auf der Straße.
Richard: Beängstigend schwer ist das, einen Platz zu finden, wo dich keiner nervt. Neulich bin ich im St James Park morgens um drei ausgeraubt worden. Furchtbar, du musst mit einem offenen Auge schlafen."
Die Schicksale der Gestrandeten kommen einem nah. Der Reporter spricht auch mit Sozialarbeitern, die sich um sie kümmern. Und mit Profiteuren des Booms, wie Kathy. Sie ist Immobilienmaklerin und wundert sich darüber, dass die Hightechmillionäre ihr Geld wie Spielgeld ausgeben:

Wie der Aufschwung ins Tal kam – und warum er Arme ausschließt

Ausschnitt Feature: "Das Geschäft läuft gut, sagt Kathy, sie war mal Lehrerin. "Now I do this". Und es lohnt sich. "Als ich den ersten Scheck bekam hab ich mich schuldig gefühlt, fünf Minuten lang". Sie fühlt mit jenen, die Lehrer geblieben sind. "Sie arbeiten hart und sind wunderbare Menschen. Die leben in Sunnyvale oder San Jose, die können sich das hier nicht leisten, genau wie Feuerwehrmänner und Polizisten und solche Leute."
Tom Schimmeck bleibt nicht an der Oberfläche, er geht zurück in der Geschichte des Tals: Staatsgeld für Rüstungsfirmen, für Infrastruktur und für Universitäten wie Standford stehen am Anfang des Aufschwungs. Und er fragt nach Gründen für die Spaltung, warum das Geld der Erfolgreichen nicht auch für die Armen reicht:
Ausschnitt Feature: "Die Industrie will nicht unbedingt tiefe Wurzeln schlagen, will nicht, dass ihre Mitarbeiter sich groß sozial engagieren. "Die Konzerne bauen diese Campusse, wo es Cafeterias gibt, Übernachtungsmöglichkeiten, Waschsalons und alles, weil sie nicht wollen, dass die Leute jemals ihr Gelände verlassen."
So werden die Firmen zu "Inseln der Hightechseligen". Und das Mantra bleibt: Jeder kann es schaffen. Der amerikanische Traum wird so zum Alptraum.

Das Silicon Valley verkörpert den Siegeszug der individuellen Vision

Am Ende dieses knapp einstündigen Hörstückes steht der Besuch in einem Obdachlosenheim.
Angela: "Die Mehrheit der Mitarbeiter lebt selbst von der Hand in den Mund, wir sind nur ein Gehalt davon entfernt, selbst hier zu landen."
Google, Facebook, Apple und Co versprechen gerne eine bessere Zukunft – menschlicher wird sie nicht, wenn sie so aussieht, wie hier im Hinterhof des Mythos.
Ausschnitt Feature: "Der politisch Diskurs aber läuft in eine völlig andere Richtung: der Arme sei selbst schuld, heißt es oft, der Staat noch immer viel zu fürsorglich. Das Silicon Valley geriert sich als Gegenmodell, als der perfekte Nährboden für den Genius des Tüftlers und das Geschick des privaten Investors, für den Siegeszug der individuellen Vision, ein Symbol der Kraft des ich, ich, ich."