Hitzewellen und Klimawandel

Globale Temperatur eilt von Rekord zu Rekord

Hitzewelle: Ein Thermometer am Hamburger Rathaus zeigt 36 Grad Celsius an.
36 Grad und noch mehr - müssen wir uns auch in Deutschland an Hitzewellen gewöhnen? © picture alliance / dpa / Bodo Marks
Stefan Rahmstorf im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 14.09.2016
Rekord-Hitzewellen gebe es inzwischen fünf Mal so häufig wie früher, sagt der Klimaforscher Stefan Rahmstorf. Deutschland sei von der "besorgniserregenden" Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur besonders betroffen.
Wird 2016 zum neuen Rekordjahr für die globale Erwärmung? Vieles spricht derzeit dafür. Schon 2014 und 2015 wurden Spitzenwerte gemessen – drei Rekordjahre in Folge hat es in all den Jahrzehnten des Klimawandels jedoch noch nicht gegeben.
Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf beurteilt die Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur als besorgniserregend:
"2016 hat bisher jeder einzelne Kalendermonat für den Monat einen neuen Hitzerekord seit Beginn der Aufzeichnungen erreicht."

Kontinental-Gebiete erwärmen sich stärker

Die Aufzeichnungen zeigten, dass solche Rekord-Hitzewellen mittlerweile ungefähr fünf Mal so häufig auftauchten wie ohne den Klimawandel, sagte Rahmstorf. Deutschland sei besonders betroffen. Hier seien die Temperaturen stärker gestiegen als im globalen Durchschnitt:
"Das ist auch vollkommen erwartet gewesen, weil Kontinental-Gebiete sich generell stärker erwärmen als der globale Durchschnitt. Diese Sorge, dass insbesondere Länder des Südens stark betroffen sind, das trifft hauptsächlich deren Empfindlichkeit gegenüber Erwärmung. Denn dort, wo es ohnehin schon wärmer ist, dort werden die Menschen zusätzlich noch von Hitzewellen gefährdet."
Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind Klimaänderungen in der Erdgeschichte und die Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Alle reden vom Wetter. Kein Wunder. Es ist schön, eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Ein derartiger September bisher, davor der August, der der wärmste war, den es je gab. Das hat viele gute Seiten, das Sommergefühl zuallererst, das gar nicht enden will, der Tourismus, der sich freut, die Winzer, die auf einen guten Jahrgang hoffen.
Aber die Sonne bringt natürlich auch Schattenseiten: Waldbrandgefahr, niedrige Flussstände, Folgen für die Landwirtschaft. Und vor allem stellt sich bei allem natürlich eine große Frage: Schlägt das Wetter diese Kapriolen, weil das Klima zunehmend aus dem Lot ist? Am Telefon ist Stefan Rahmstorf, Klimatologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane. Guten Morgen!
Stefan Rahmstorf: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Herr Rahmstorf, müssen wir eigentlich ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir uns über diese warmen Tage freuen?
Rahmstorf: Wir sollten uns über diese warmen Tage durchaus freuen, auch darüber, dass eine solche Rekordhitzewelle gewissermaßen erst im September kommt, denn in früheren Monaten, Juli, August, wenn es ohnehin heißer ist, kann das schon deutlich negativere Folgen haben, die wir ja 2003 an dem berühmt-berüchtigten Jahrhundertsommer gesehen haben, der damals europaweit 70.000 Menschenleben gekostet hat.
Besorgniserregend ist aber natürlich vor allem die Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur. Die hat ja 2015 einen Rekordwert erreicht. Der vorherige Rekord war 2014, und 2016 hat bisher jeder einzelne Kalendermonat für den Monat einen neuen Hitzerekord der Aufzeichnungen erreicht.
Frenzel: Das heißt, diese Wärme, auch dieser warme Sommer, das hat etwas mit dem Klimawandel zu tun, das kann nicht mehr Zufall sein?
Rahmstorf: Also solche anhaltenden Rekordhitzewellen, das haben wir mal für die Monatswerte untersucht, treten inzwischen etwa fünfmal so oft auf als ohne den Klimawandel.

Diskussion um das Stichwort "Kalte Sonne"

Frenzel: Es gibt ein Stichwort, über das ich gestolpert bin: "Kalte Sonne". Die Sonne ist kälter als zu früheren Zeiten. Das heißt, das ist ja eigentlich widersprüchlich zu steigenden Temperaturen, die wir gerade haben.
Rahmstorf: Nein, das ist nicht widersprüchlich, weil die Schwankungen der Sonnenaktivität im 20. Jahrhundert nur eine sehr untergeordnete Rolle beim Klimageschehen spielen. Es hat ja immer wieder Leute vor allem von außerhalb der Wissenschaft, Interessengruppen gegeben, die versucht haben, die globale Erwärmung auf die Sonnenaktivität zu schieben, einfach, um keine Konsequenzen für uns Menschen, für eine Verringerung des CO2-Ausstoßes zu erlauben. Aber das ist wissenschaftlich einfach falsch, und das sehen wir jetzt auch daran, dass eben die Sonnenaktivität gerade besonders schwach ist in den letzten Jahren und wir trotzdem eben Rekordhitze haben.
Frenzel: Interessant ist, das ist eine Information, die der deutsche Wetterdienst jetzt gerade herausgegeben hat, dass Deutschland noch stärker den Temperaturanstieg erlebt als andere Länder. Es war ja eigentlich immer eine Erzählung im ganzen Kontext des Klimawandels, dass vor allem die Länder des Südens stärker betroffen sein werden. Müssen wir dieses Bild korrigieren, sind wir es jetzt, die stärker getroffen werden?
Rahmstorf: Die Temperaturen sind in Deutschland stärker gestiegen als im globalen Durchschnitt. Das ist aber auch vollkommen erwartet gewesen, weil Kontinentalgebiete sich generell stärker erwärmen als der globale Durchschnitt. Diese Sorge, dass insbesondere Länder des Südens stark betroffen sind, das trifft hauptsächlich deren Empfindlichkeit gegenüber einer Erwärmung, denn dort, wo es ohnehin schon wärmer ist, da ist natürlich – jedes Zusätzliche gefährdet einmal die Menschen direkt selbst durch Hitzewellen.
Wie wir gerade dieses Jahr auch wieder in Indien zum Beispiel gesehen haben, wo es einfach dann so heiß ist, dass man an der freien Luft draußen kaum überleben kann. Und zweitens natürlich auch ist die Landwirtschaft in sehr heißen Ländern auch empfindlicher gegenüber einer noch weiteren Erwärmung.

Das Pariser Klimaabkommen

Frenzel: Herr Rahmstorf, jetzt kommt die ketzerische Frage für jeden Klimaforscher: Ist das eigentlich ein Problem, diese Erwärmung, oder können wir nicht vielleicht einfach damit umgehen?
Rahmstorf: Das ist ein riesiges Problem, deswegen gibt es ja das Pariser Klimaabkommen, das im Dezember abgeschlossen wurde, wo sämtliche 195 Staaten sich darüber einig waren oder auch sind, dass wir aus der Nutzung fossiler Energien aussteigen müssen, weil zum Beispiel Wetterextreme die Ernährung der Menschheit zunehmend gefährden, weil die Erwärmung ja auch zu einem Anstieg des Meeresspiegels zum Beispiel führt, der in den nächsten Jahrhunderten schon durch die bisherigen Emissionen wahrscheinlich einige Meter betragen dürfte und damit die Existenz von Küstenstädten und auch kleinen Inselstaaten gefährdet.
Und auch extreme Niederschlagsereignisse, wie wir dieses Frühjahr gesehen haben, nehmen im Zuge der Erwärmung zu. Und Stürme – wir haben ja gerade im Pazifik den Super-Taifun Meranti, der sich jetzt an der Südspitze von Taiwan befindet –, auch solche starke Tropenstürme ziehen ihre Energie aus dem wärmeren Meerwasser.

Sind die Klimaziele einzuhalten?

Frenzel: Die Weltgemeinschaft hat sich darauf verständigt, zwei Grad Erwärmung, mehr nicht, in Paris jetzt besiegelt. Ist das überhaupt noch realistisch?
Rahmstorf: Zwei Grad ist noch einzuhalten, wenn man die Pariser Beschlüsse umsetzt und da auch noch ein bisschen nachbessert, denn das Pariser Abkommen funktioniert ja so, dass die einzelnen Länder dort angekündigt haben, versprochen haben, wie viel Emissionsminderung sie bis wann schaffen wollen.
Und diese Zusagen der Länder reichen bisher nur etwa die Hälfte des Weges bis zu unter diesen zwei Grad zu bleiben. Und das war aber allen Ländern bewusst. Und das Pariser Abkommen hat deswegen ja auch einen Mechanismus, die Verpflichtungen der Ländern noch zu verstärken, also Selbstverpflichtungen sind das. Und da müssen sich alle Regierungen noch mal anstrengen, um die Energiewende beschleunigt voranzubringen und sie nicht abzubremsen, wie das leider unsere Bundesregierung im Moment tut.
Frenzel: Sagt Stefan Rahmstorf, Klimatologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Rahmstorf: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema