Hitlers braune Eminenz

Rezensiert von Uwe Stolzmann · 03.10.2012
Als Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP im Rang eines Reichsministers und Privatsekretär Hitlers war Martin Bormann einer der gefürchtetsten NS-Funktionäre. Für Volker Koop, der den Weg der mysteriösen Figur nachzeichnet, war er sogar der zweitmächtigste Mann hinter Adolf Hitler selbst.
Wenn von den Größen des Nazi-Regimes die Rede ist, von den starken Männern der Diktatur, wird er kaum erwähnt. Seltsam. Denn dieser Martin Bormann war einflussreicher als Himmler, Göring oder Goebbels. Hitlers Schatten sei er gewesen, so liest man, sein Alter Ego, die graue, nein: braune Eminenz. Der Zeithistoriker Volker Koop, geboren 1945, meint:

"In Hitlers "Drittem Reich" war Bormann der zweitmächtigste Mann, was ihm keine Freunde, dafür umso mehr Feinde einbrachte. Diesen Preis schien er für seine Machtfülle gern zu zahlen. Er war eine geheimnisumwitterte Persönlichkeit – im Leben und insbesondere nach seinem Tod."

Volker Koop hat den Weg der mysteriösen Figur in einer lesenswerten Studie nachgezeichnet. Martin Bormann hinterließ weder Tagebücher noch Erinnerungen, er äußerte sich kaum in den Medien. Dennoch stieß Bormanns Biograf auf ausgezeichnete Quellen.

"Sein ‘Nachlass’ sind Tausende von Verfügungen, Befehlen, Aktenvermerken, Denunziationen, Geheimberichten und Rundschreiben, mit denen er sich Tag für Tag zu Wort meldete."

Volker Koop fragt: Wer war dieser Mensch, der zum heimlichen Herrscher über Nazideutschland aufsteigen konnte? Martin Bormann, Jahrgang 1900: im Auftritt plump, ein Mann ohne Charisma und von eher geringer Intelligenz, aber gerissen. Eine stämmige Gestalt mit Stiernacken. Schon früh geht er zu den Rechtsextremen, 1927 wird Bormann Mitglied der NSDAP, das ist sein einziger Beruf. Zwei Jahre später heiratet er die Tochter eines Bonzen, Hitler fungiert als Trauzeuge.

Später ist Bormann ständig in Hitlers Nähe, als Faktotum unentbehrlich, als Werkzeug effizient. 1941 steigt er in der Hierarchie ganz nach oben: Er wird Leiter der Partei-Kanzlei im Rang eines Reichsministers. Der emsige Bormann verwaltet Hitlers Vermögen und Hitlers Domizil auf dem Obersalzberg, nur er entscheidet, wer in Berchtesgaden oder Berlin zu Hitler darf. Der Name des Unsichtbaren steht unter allen Befehlen.

1943 wird Martin Bormann zum "Sekretär" des Führers ernannt. Sein Biograf schreibt:

"Damit hatte er eine alles beherrschende Stellung im Führerhauptquartier, die mehr wog als die des gesamten Reichskabinetts. Es gab wohl keinen zweiten NS-Repräsentanten, der in ähnlicher Weise gefürchtet und gehasst wurde. Gefürchtet wurde er aber weniger vom Volk, das kaum seinen Namen kannte, als vielmehr von Ministern, Gauleitern, Beamten, Richtern und Generälen."

Die letzten Wochen seines Lebens Anfang 1945 verbringt Martin Bormann im "Führerbunker" in Berlin. Er wird umso radikaler, je aussichtsloser die Situation scheint. Eine der wenigen Aufnahmen von Martin Bormann, entstanden am 2. April 1945, einen Monat vor der Kapitulation.

Bormann: "Jetzt gilt nur noch eine Parole: Siegen oder fallen. Es lebe Deutschland! Es lebe Adolf Hitler!"

Am 29. April ist Bormann Hitlers Trauzeuge, einen Tag später bringt sich der Diktator um. Sein Sekretär, so schreibt Volker Koop, sei unter all den NS-Führungspersonen wohl der Einzige gewesen, der bedingungslos und bis zum Ende für den Endsieg focht.

"Es mag geradezu als Ironie des Schicksals bezeichnet werden, dass Bormann mit dem Volkssturm zum Schluss sogar über eine eigene ‘Armee’ gebot. Mehr Macht konnte der NS-Staat zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verleihen. Aber Bormann vermochte seine Machtfülle nicht zu genießen."

Am Abend des 1. Mai 1945 wird des Führers Sekretär zum letzten Mal gesehen. Gemeinsam mit anderen wagt er den Ausbruch aus dem Bunker, in der umkämpften Reichshauptstadt verliert sich sein Weg. Und just in diesem Moment beginnt das seltsame Nachleben des Martin Bormann. Die Alliierten verurteilen ihn nach Kriegsende in Abwesenheit zum Tode, er soll auf der Flucht sein, heißt es damals, unterwegs durch viele Länder. Das Gerücht erweist sich als falsch. 1972 wird Bormanns Skelett gefunden, auch sein Schädel, bei Erdarbeiten in Ost-Berlin.

Volker Koop, der Biograf, zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Porträt seines Protagonisten. Martin Bormann habe zwar Fleiß besessen, Organisationstalent und ein exzellentes Gedächtnis. Doch er war gewissenlos, rachsüchtig und brutal, ein Schreibtischmörder. In angespannter Situation wurde Bormann schnell ausfallend. Widersacher und frühere Gefährten brachte er mit Intrigen zu Fall, in den letzten Stunden des Dritten Reichs sogar Himmler und Göring. Bormann isolierte den "Führer" von der Außenwelt, er sprach in Hitlers Namen, er agierte berechnend, im eigenen Interesse.

Warum, das fragte sich der Biograf, warum genoss der Intrigant Martin Bormann bei Hitler so großes Vertrauen? Weil er nur anderen schadete. Weil er keine Ambitionen zeigte, den "Führer" zu verdrängen.

"Er war der perfekte Diener seines Herrn."

... schreibt Volker Koop.

"Bormann wollte nie im Rampenlicht stehen. Er profilierte sich nicht wie Goebbels, und das geckenhafte Auftreten Görings muss ihm zutiefst zuwider gewesen sein. Bormann identifizierte sich mit Hitlers Vorstellungen von Rassenpolitik, Judenvernichtung und Zwangsarbeit. Er machte sich als sein Vollstrecker für die Detail- und Schmutzarbeit unentbehrlich. Eiskalt entschied er über das Schicksal von Millionen Menschen."

Koops Biografie über Martin Bormann ist ein Gewinn für jeden zeithistorisch interessierten Leser. Was stört? Vielleicht ein gewisser Hang zur Redundanz, die Wiederholung von Fakten und Formulierungen. Doch dies ist ein winziger Makel. Der Autor schreibt verständlich, spannend, anregend, starke Zitate würzen den Text. Mit seiner Studie öffnet uns Volker Koop den Zugang zu einer ebenso düsteren wie faszinierenden Persönlichkeit aus Hitlers engstem Umfeld.

Volker Koop: "Martin Bormann. Hitlers Vollstrecker"
Böhlau, Köln 2012
Cover Volker Koop: "Martin Bormann. Hitlers Vollstrecker"
Cover Volker Koop: "Martin Bormann. Hitlers Vollstrecker"© Böhlau Köln
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