Historikerin Rhian E. Jones

Ausgrenzung und popkultureller Klassenkampf

Blick auf die Arbeiterhäuser im Südwesten Londons.
Arbeiterhäuser im Südwesten Londons: Karrieren in den Medien und der Kultur blieben Angehörigen der Arbeiterklasse verschlossen, so Jones. © EPA
Moderation: Timo Grampes · 04.05.2018
Der Marxsche Klassenbegriff gehört zu ihrem Repertoire: Die britische Historikerin Rhian E. Jones kritisiert die Ausgrenzung der Arbeiterklasse im urbanen Bildungs- und Kulturraum. Exemplarisch hat sie sich mit der Pop-Metropole London beschäftigt.
Nach Einschätzung der Historikerin und Publizistin Rhian E. Jones setzt sich in der Popkultur die Ausgrenzung der Arbeiterklasse weiter fort. Dies könne man recht gut an einem Aspekt beobachten: "Etwa dass es seit den 90er-Jahren immer schwerer wurde für Angehörige der Arbeiterklasse, im kulturellen Sektor zu arbeiten oder dort den Lebensunterhalt zu verdienen."
Dies habe etwa darin seine Ursache, dass es in den Jahrzehnten zuvor durchaus möglich war, dass auch Angehörige der Arbeiterklasse zum Studium etwa nach London kommen konnten. Sie hätten dort billig wohnen und Räume finden können, dort leben, arbeiten und sich entfalten können. Dies aber sei so nicht länger möglich, so die Autorin des Werks "Clampdown - Pop-Cultural Wars on Class and Gender".

Das Gros der Kulturschaffenden hat eine Privatschule besucht

Über Jahrzehnte hätten auch Angehörige der Arbeiterklasse in London leben und dort Kultur mitgestalten können. Dies aber sei nicht länger möglich. "Jetzt ist es zunehmend schwerer, für Künstler und Leute, die im Kultursektor arbeiten wollen, dort zu überleben und überhaupt in London existieren zu können wegen der hohen Mieten und Preise."
Diese Entwicklung führe dazu, dass vor allem familiäre Beziehungen auch im Kultursektor immer wichtiger würden, also fast ausschließlich Kunst möglich sei, wenn Leute sich gegenseitig unterstützen könnten, die auch die Ressourcen hätten. Ein Gros der Protagonisten hier würden sich eben von Privatschulen kennen oder von der Uni.
"Im September 2010 gab es eine Studie, die festgestellt hat, dass 60 Prozent der erfolgreichen Musiker in Großbritannien auf Privatschulen waren. Das war ein enormer Unterschied zu 30 Jahren vorher, als diese Zahl bei ungefähr 20 Prozent lag. Und das ist im Filmsektor, im Fernsehbereich, im Journalismus und auch in der Politik nicht anders. Man sieht also eine deutliche Verschiebung."
Eine der Ursachen hierfür sei etwa, dass oft der Einstieg in diese Berufe über unbezahlte Praktika liefe, dies aber erfordere Grundlagen, einen gewissen Wohlstand, so Rhian E. Jones. "Das heißt, dass Karrieren in den Medien, in der Kultur und in der Politik der Arbeiterklasse verschlossen bleiben."

Abwertende Stereotype für Angehörige der Arbeiterklasse

Ein zweiter Aspekt der zunehmenden Ausgrenzung der Arbeiterklasse sei eine sehr aggressive Verbreitung von abwertenden Stereotypen über die Arbeiterklasse in der populären Kultur und beim kulturellen Austausch. "Das liegt daran, dass hier nun die Oberschicht dominiert, die keine Ahnung davon hat, wie die Arbeiterklasse wirklich lebt, was in ihnen vorgeht. Dass sie dadurch vereinfachen und eine übertriebene und verzerrte Darstellung hervorbringen."
Als Beispiel führt die Historikerin die Verhöhnung des "Chavs" an. Dieser Begriff stammt aus der Zeit der 2000er-Jahre und wurde zunächst als abwertende Bezeichnung für Menschen an den sozial untersten Rändern der Arbeiterklasse verwendet. Dieser Begriff aber werde nun generalisiert für die Zugehörigkeit zur gesamten Klasse verwendet.
"Damit gab und gibt es eigentlich auch gar keine Nuancen mehr für die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse, keine positive Bezeichnung mehr für die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse." Hier nun treffen sich die beiden Aspekte, denn für Mitglieder der Arbeiterklasse sei es sehr, sehr schwierig gegen diese Stigmatisierung, etwa mit dem Begriff "Chav", vorzugehen: Weil sie kaum noch öffentliche Mitsprache hätten und sie in der öffentlichen Debatte nicht auftauchten.

Weiße Männer mit Gitarren? - Das sind Musiker der Arbeiterklasse

Dieses Problem einer reduzierten Repräsentation der Arbeiterklasse zeigt sich Rhian E. Jones zufolge auch in der Popmusik. Als Prototyp einer Working-Class-Band gilt Oasis, die Nummer eins des Brit Pop. "Doch das sorgt für ein weitergreifendes Stereotyp, dass Bands aus der Arbeiterklasse aus vier bis fünf weißen Jungs mit Gitarre zu bestehen haben, die an den 60er-Jahren orientierte und etwas langweilige Versionen von Rockmusik spielen."
Jones blickt aber nicht nur pessimistisch auf die Gegenwart, als zeitgemäßen Ausdruck proletarischer Verhältnisse nennt sie Grime, das britische Pendent zum Hip-Hop, mit seinen Texten über das Leben in Sozialsiedlungen mit Drogen und Polizeigewalt.
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