Historiker Wolffsohn kritisiert Weltkriegs-Thesen von Günter Grass

01.09.2011
In einem Interview mit einer israelischen Zeitung behauptet der Schriftsteller Günter Grass, in sowjetischer Kriegsgefangenschaft seien sechs Millionen deutsche Soldaten liquidiert worden. Der Historiker Michael Wolffsohn nennt Grass' Äußerungen "unerträglich" und falsch.
Michael Wolffsohn, Historiker an der Bundeswehr-Universität München, hat scharfe Kritik an Günter Grass und seinen Äußerungen zu deutschen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg geübt.

Es wäre besser, wenn Grass sich weiterhin auf Fiktion als auf vermeintliche Fakten konzentriere, sagte Wolffsohn im Deutschlandradio Kultur mit Blick auf ein Interview des Schriftstellers in der israelischen Zeitung "Haaretz". Grass hatte darin erklärt, der Holocaust sei nicht das einzige Verbrechen im Zweiten Weltkrieg gewesen und in sowjetischer Kriegsgefangenschaft seien sechs Millionen Deutsche umgebracht worden. Wolfssohn zufolge ist von drei Millionen deutschen Soldaten in sowjetischer Gefangenschaft auszugehen. Davon seien zwischen 700.000 und 1,1 Millionen verhungert – nicht jedoch liquidiert worden.

"Dieses Aufrechnen ist unerträglich", so der Historiker. Es sei unbestreitbar, dass Millionen Deutsche im Zweiten Weltkrieg gelitten hätten und selbstverständlich gelte auch Empathie für deutsche Opfer. "Aber da müssen Ursache und Wirkung geklärt sein." Man könne nicht in diesem "geradezu unverschämten Dafke-Ton", den Günter Grass hier anschlage, sagen "Naja, also Ihr habt gelitten und wir auch und damit sind wir quitt". Wolffsohn: "So kann man nicht reden – und schon gar nicht als jemand, der stolz immer wieder darauf hingewiesen hat, dass er sozusagen eine Art von moralischer Instanz in der Bundesrepublik wäre und auch als solche gefeiert worden ist. Das kommt nicht gut zusammen."

Verstörend an den Äußerungen von Grass ist Wolffsohn zufolge "wohl dieser Grundtenor, den wir von Reaktionären, Alt- und Neunazis in der Bundesrepublik kennen - Tenor ungefähr: 'Ach, wir armen Deutschen'." Der Schriftsteller scheine diese Linie jedoch zunehmend einzuschlagen. Es sei nichts dagegen einzuwenden, auch das Leid unschuldiger Deutscher zu erwähnen, man müsse jedoch die Proportionen richtig benennen können. "Das ist bei Günter Grass völlig verloren gegangen. Das ist nur – mit Verlaub – Geschwafel, nichts Analytisches. Das ist weder literarisch gut, noch ist es historisch richtig."

Interview mit Günter Grass in der Zeitung "Haaretz" (engl.)
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