Historiker: Sie müssen kooperieren

Etienne Francois im Gespräch mit Marietta Schwarz · 16.08.2011
Deutschland sei der beste Schüler der Euroklasse, sagt der Historiker Etienne Francois. Dass man sich dagegen wehre, am Ende die Zeche zu zahlen, sei mehr als nachvollziehbar.
Marietta Schwarz: Von der letzten Chance sprechen manche, wenn sich heute Angela Merkel und Nicholas Sarkozy zum EU-Rettungsgipfel treffen. Im Vorfeld dieses Treffens wurden die Erwartungen geradezu hochgepuscht, um dann vom Élysée-Palast und vom Kanzleramt wieder gedämpft zu werden. Trotzdem bleibt es dabei, es geht um die Zukunft des Euroraums, es geht mal wieder um sehr viel. Allerdings weiß man auch, dass es um das Verhältnis Merkel-Sarkozy nicht zum Besten steht. Woran hapert es zwischen den beiden und was ist also vom heutigen Tag zu erwarten? Fragen an den französischen Historiker Etienne Francois, der telefonisch zugeschaltet ist. Guten Morgen, Herr Francois!

Etienne Francois: Ja, guten Morgen!

Schwarz: Wie schätzen Sie denn das Team Merkel - Sarkozy ein, das ja seit Jahren wichtige Entscheidungen im Euroraum trifft? Ist das Verhältnis so schlecht wie sein Ruf?

Francois: Das Verhältnis ist nicht so schlecht wie sein Ruf, denn beide sind sehr erfahrene Politiker und wissen, dass keiner der beiden ohne den anderen auskommen kann. In der jetzigen Situation in der Wirtschaftskrise, aber darüber hinaus auch politisch gesehen, kann sich Deutschland nicht mehr leisten, eine Alleinpolitik zu machen und Frankreich auch nicht. Und da die beiden Länder die mächtigsten Länder in der europäischen Union sind – die Wirtschaftskraft von Frankreich und Deutschland zusammen, das ist die Hälfte der Eurozone –, da müssen sie miteinander kooperieren, da gibt es keine Auswahl.

Schwarz: Die deutsche Kritik lautet oft, Frankreich prescht vor und stimmt sich zu wenig ab mit Deutschland über gemeinsames Vorgehen, ist das richtig?

Francois: Ja, und nein. Das Kompliment könnte man genau so gut an die deutsche Seite zurückwerfen. Als Deutschland zum Beispiel beschlossen hat, aus der Atomenergie auszutreten, gab es keine Gespräche mit Frankreich, was seine Elektrizität überwiegend aus der Atomenergie herauszieht. Solche Vorwürfe sind, glaube ich, erstens nicht zutreffend, und zweitens helfen überhaupt nicht in der ganzen Sache. Wenn es aber einen Grund gibt, der Grund liegt darin, dass ausnahmsweise, würde ich fast sagen, Frankreich früher Recht hatte als Deutschland. Das Manko in der Eurozone besteht darin, dass wir zwar eine gemeinsame Währung haben, aber keine gemeinsame oder mindestens abgesprochene Wirtschaftspolitik zwischen den Ländern der Eurozone. Und Frankreich war eines der ersten Länder, das darauf aufmerksam gemacht hat und gesagt hat, man müsste so etwas wie eine abgesprochene Wirtschaftspolitik haben, eventuell sogar einen gemeinsamen Wirtschaftsminister haben. Und Deutschland hat sich massiv dagegen gewehrt und sieht leider für sich immer mehr ein, dass es an dieser Lösung nicht vorbei geht.

Schwarz: Das klingt so, als ob Sie sagen würden, Herr Nicholas Sarkozy hat mit seinen Forderungen Recht, Angela Merkel, die kann zuhause noch ihren Parteikollegen zustimmen, aber sie wird dann wie bei den letzten Treffen, bei den letzten Gipfeln mit Sarkozy am Ende dann doch nachgeben – oder was erwarten Sie?

Francois: Es ist höchstwahrscheinlich, dass sie irgendwie nachgeben wird, aber Sie sind klug genug, um zu wissen, dass man das nicht so machen kann, dass der eine siegt und der andere nicht siegt. Denn in dieser ganzen Sache gibt es nur entweder gemeinsame Gewinner oder gemeinsame Verlierer. Es heißt, Frankreich hat vielleicht zufällig als erstes Land eine bessere Lösung angeboten, aber die Bedenken von Deutschland gegenüber Eurobonds oder gegen jede Form der größeren Integration in der Eurozone sind durchaus verständlich, denn es ist klar, dass Deutschland sich am wenigsten vorzuwerfen hat in der Wirtschaftspolitik, und es ist auch klar, dass es als der beste Schüler der Euroklasse am Ende dort die Zeche zu zahlen haben wird. Und dass man sich dagegen wehrt, ist mehr als nachvollziehbar.

Schwarz: Beide Länder haben, verfolgen Eigeninteressen, Merkel natürlich genau so wie Nicholas Sarkozy – der hat ja sogar eine Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr. Also inwieweit -wie würden Sie den Rückhalt Sarkozys in seinem Land einschätzen?

Francois: Und das ist auch ein zusätzliches Element – Sie haben Recht! – in dieser ganzen Diskussion. Nach außen hin werden beide gesehen als die Stars und Persönlichkeiten ihres Landes, fast als die Verkörperung. Aber so stark sind sie beide nicht. Man kennt gut genug in Deutschland die Streitigkeiten innerhalb der CDU, zwischen CDU und FDP und so weiter – und besser ist es auch nicht für Sarkozy! Sarkozy ist schwach im eigenen Lager in Frankreich. Sarkozy weiß auch, dass die Note von Frankreich bei den Ratingagenturen AA plus sehr gefährdet ist; viel mehr als die deutsche Note, die nichts zu fürchten hat. Das heißt, Sarkozy ist politisch wie auch wirtschaftspolitisch mit dem Rücken an der Wand. Und das ist glaube ich mit ein Grund, warum beide Staatshäupter und mit ihren Regierungen und Beratern und so weiter so schüchtern sind in dieser Krise. Das ist der große Vorwurf, den denen beiden gemacht hat, dass sie zu, zu lange zu langsam vorangehen, und anstatt zu einer Bereinigung der Krise beizutragen, sie eher verschärfen.

Schwarz: Das ist natürlich für ein so wichtiges Treffen wie heute ja eine relativ ungünstige Ausgangsposition. Am Ende aber, das hat die Vergangenheit ja auch gezeigt, funktioniert es dann irgendwie zumindest doch – es werden Entscheidungen getroffen! Also …

Francois: Am Ende werden Entscheidungen getroffen. Auf der anderen Seite: Diese Entscheidungen sind nicht Entscheidungen von nur zwei Personen miteinander. Sie betreffen ganze Volkswirtschaften von ganz wichtigen Ländern. Und Sie sind auch in einen größeren Kontext einzuordnen. Die europäische Bank spielt dabei eine große Rolle, das Weltwährungsfonds und so weiter. Das heißt, die Vielfalt der Partner wird sicher dazu führen, dass erst allmählich so etwas wie eine Lösung entstehen wird. Und was zu hoffen ist, ist, dass diese Lösung entsteht, denn auch wenn man selber optimistisch ist, nichts ist gewonnen, und man kann auch nicht ausschließen, dass am Ende der eine oder der andere Partner sagt: Schluss damit, ich habe die Nase voll, ich mache nicht weiter!

Schwarz: Der französische Historiker Etienne Francois über das Verhältnis Merkel-Sarkozy und den heutigen Gipfel in Paris. Ich danke Ihnen, Herr Francois, für das Gespräch!

Francois: Bitte sehr!

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