Hinterm Vorhang geht's weiter

Von Bernhard Doppler · 22.01.2011
Graz feiert die Wiederkehr des einstigen Skandalregisseurs, der ein minimalistisch gereiftes Alterswerk zeigt. Vorgeführt wird eine Gesellschaft, die sich den Spaß macht, eine Prostituierte mit einem verschrobenen Büchernarren zu verkuppeln.
Wenn Peter Konwitschny an der Grazer Oper inszeniert (und er tut dies seit 20 Jahren), macht er das prunkvolle große neobarocke Grazer Operngebäude und damit die Institution Oper oft selbst zum Thema. Sei es, dass er wie im Schlussakt von "Aida" die Brandmauer öffnet und die Wirklichkeit auf der Straße vor dem Opernhaus ins Theater eindringen lässt, sei es, dass er bei Verdis letzter Oper "Falstaff" (2001 "Inszenierung des Jahres") das Opernhaus zur Baustelle verwandeln lässt und damit suggeriert, dass dies auch die letzte Vorstellung der Kultur-Institution "Oper" sei, ehe sie zum Event-Center umgebaut würde.

Doch trotz einer langen Regiepause setzt Konwitschny noch immer auf die Oper als moralische Anstalt. Diesmal ist die Konzeption von extremer eindrucksvoller Schlichtheit. Geht der große Vorhang auf, wird dahinter sogleich ein weiterer sichtbar und noch einer, sechs insgesamt, die sich nach und nach im Verlauf der Handlung öffnen, bis schließlich in vollkommenen schwarzen Dunkel die Titelrolle, die Prostituierte Violetta, verschwindet. Vergeblich versuchen Violetta und Alfredo im letzten Akt doch noch einen Vorhang wieder aus der Seite vorzuziehen. Doch Violettas Tod ist unaufschiebbar.

Eine Prostituierte als Gegenbild zur Event-Gesellschaft. Mit der Thematisierung des Theaters macht Konwitschny wieder einmal die Haltung des Publikums zum Thema. Vorgeführt wird eine Gesellschaft, die sich den Spaß macht, eine stadtbekannte Prostituierte mit einem etwas verschrobenen "Büchernarren" zu verkuppeln, wobei sie sich über deren Todeskrankheit amüsiert. Violetta fällt buchstäblich immer wieder um, und der Arzt behandelt sie – so steht es ja auch im Libretto – kostümiert für den Karneval. Konwitschny ist also ganz auf der Seite Violettas und lässt ohne Pause ihrem Kampf gegen den Tod, den sie durch Liebe hinauszögern will, beiwohnen. "Ich finde es geschmacklos, wenn man während des Sterbens an die Theke geht und Sekt trinkt und frisst" ließ Konwitschny in einer Regionalzeitung verlauten. Alfredo, Germont und der Arzt beobachten Violetta bisweilen mitten aus dem Publikum – also wie das Publikum.

Auf Mobiliar und Requisiten wird völlig verzichtet, lediglich ein Stuhl, auf den sich die kranke Violetta stützen kann. Und Alfredo hat ein Buch, der Büchernarr ist vollkommen überfordert mit der Liebe, in die in die Event-Gesellschaft zwingt – von Giuseppe Varano vielleicht zu karikierend dargestellt. Auch Alfredos Schwester ist auf der Bühne präsent, denn Alfredos Vater schiebt ja deren Glück vor, wenn er von Violetta verlangt, sie solle auf Alfredo verzichten; Alfredos Schwester müsse nämlich sonst ihre Verlobung auflösen.

Bei Konwitschny hat der Vater Germont also Alfredos Schwester zu Violetta mitgenommen und seine schmalzige Arie über die Heimat, begleitet von ihr als stummer Rolle zur Erpressung auch gegenüber dem Bruder. James Rutherford, Hans Sachs in Bayreuth, singt ihn voll kraftvoller Autorität.

Der Abend wird aber fast ausschließlich durch Violetta zum Ereignis. Auf Marlis Petersen scheint die Inszenierung zugeschneidert. Ihre Referenzrolle auch bei Konwitschny ist Alban Bergs "Lulu", auch als Susanna in "Hochzeit des Figaro" imponierte sie: Als Violetta ist sie nicht melodramatisch sentimental, sondern strahlt große Natürlichkeit aus, fast zart – aber dennoch sehr selbstbewusst und durch das Wissen um den Tod sehr gereift.

Passabel das Grazer Philharmonische Orchester unter dem Neuseeländer Tecwyn Evans, die oft satirisch bissig kommentierende Musik Verdis wird hörbar. Das Grazer Publikum feierte aber vor allem die Wiederkehr des einstigen Grazer Skandalregisseurs. Ein minimalistisch gereiftes Alterswerk und gleichzeitig fast eine jugendliche Studioproduktion, reduziert von allem Aufwand.

Informationen der Oper Graz über Peter Konwitschnys Inszenierung von "La Traviata"
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