Hindu-Hochzeit in Varanasi

Arrangement per Smartphone

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Der Informatiker Prateek Singh mit seiner jungen Braut Anamika. © Deutschlandradio / Antje Stiebitz
Von Antje Stiebitz · 06.08.2017
Eine indische Hochzeit ist ein rauschendes Fest, bei der die Braut mitunter trauernd zusammenbricht. Der Ablauf ist von Religion und Ritualen bestimmt. Bei der Vermittlung des Brautpaars spielt moderne Technik jedoch eine große Rolle.
Nordindien, in der Stadt Varanasi. Über den Ghats, den Treppen, die zum Ganges hinunterführen, ist es bereits dunkel geworden. Am Assi Ghat, im Haus von Snehlata Singh geht es hoch her. Verwandte, Freunde, Nachbarn – alle sind gekommen, zwei Dutzend sind es bestimmt. Sie sitzen auf bunten Matten, die auf dem Boden für sie ausgebreitet wurden und singen. Denn: Prateek Singh, den alle Babu nennen, heiratet in drei Tagen. Bis zur Hochzeitszeremonie versammeln sie sich jeden Abend, singen ihre Volkslieder und tanzen. Da gehe es auch gerne derb zu, erklärt der Bräutigam:
"Dass wir in diesen Liedern beschimpft werden, ist ganz normal. Wenn man an der Hochzeit eines Bräutigams teilnimmt, dann beleidigen sie seine Schwester, die Tanten, seinen Neffen. Beispielsweise, indem sie singen, dass meine Schwester Sunita und ich Sex hätten."
Diese Tradition finde man überall in Indien, lacht er, unabhängig von der Gesellschaftsschicht. Der 29-Jährige trägt einen Blazer, schäkert charmant mit den Gästen, ständig das Smartphone am Ohr. Schließlich gibt es viel zu organisieren, denn eine indische Hochzeit ist ein gigantisches Ereignis: Eine achttägige fein aufeinander abgestimmte Choreographie aus Brauchtum und religiösen Ritualen, gesäumt von Festessen und ausgelassenem Beisammensein.
Prateek Singh hat in Delhi Informatik studiert und war immer westlichen Einflüssen ausgesetzt, da seine Mutter häufig zwei Zimmer des Hauses an westliche Touristen vermietete. Dennoch hat sich der junge Mann für eine traditionelle Eheschließung entschieden, seine Mutter hat die Braut für ihn ausgesucht.
An seinem Hochzeitstag wird er seine zukünftige Frau, Anamika, erst zum dritten Mal in seinem Leben sehen. Das Brautpaar hat vieles am Telefon abgeklärt. "Es ist eine in jeder Hinsicht arrangierte Hochzeit", sagt Prateek Singh. "Ich kann nicht behaupten, dass ich sie liebe. Aber ich mag die Art, wie sie spricht, dass sie die Menschen respektiert und ich hoffe, dass ich sie in zwei, drei Monaten beginnen werde zu lieben."

Respekt gegenüber den Älteren

Die 25-jährige Anamika hat Literatur studiert und kommt aus Patna, der Hauptstadt des Bundesstaates Bihar. Bihar gehört zu den ärmsten Staaten Indiens. Auf der Suche nach besseren Lebensumständen wandern viele Biharis in den benachbarten Staat Uttar Pradesh ab und landen schließlich in der Stadt Varanasi. Auch die Familie des Bräutigams stammt aus Bihar, was für seine Mutter ein Grund war, sich für Anamika zu entscheiden.
Prateek erklärt: "Sie ist enger mit unserer Kultur verbunden und respektiert die Menschen, die wir kennen. Ein Mädchen aus Mumbai oder einer Großstadt wird dir niemals so viel Respekt entgegenbringen wie ein Mädchen aus Bihar." Beispielsweise würde eine Frau aus Bihar den Älteren noch die Füße berühren, wie das in Indien üblich sei, so Prateek. Eine Frau aus Mumbai hingegen sage einfach nur Hallo.
Im Hochzeitspavillon hat der Priester sein Ritual begonnen, Prateek sitzt neben ihm und macht ein ernstes Gesicht. Auf den Boden sind farbige Kreidezeichnungen aufgetragen. Darauf stehen zahlreiche Ritualgegenstände, etwa ein großer Krug, ein Schälchen, Reis und Blumen. Die Hochzeit gehört zu den Samskaras, den Übergangsritualen im Hinduismus. Die heutige Haldi-Zeremonie ist Teil des Hochzeitsrituals. Vergleiche man die Hochzeit mit einem Baum, handele es sich bei der Haldi-Feierlichkeit um einen Ast, erklärt der Priester später.
Haldi ist das Hindi-Wort für Kurkuma oder Gelbwurz. Das gelbe Pulver wird zu einer Paste angerührt, mit der die Brautleute – jeder im Kreise seiner Familie – eingerieben werden. Kurkuma wirkt antibiotisch und die religiösen Schriften schreiben dem Gewürz die Fähigkeit zu, böse Kräfte abzuwehren. Außerdem bekommt die Haut durch die Behandlung einen gewissen Schimmer. Die Rituale und die Mantren, die er heute spreche, erklärt der Priester, stammen aus dem Yajurveda, einem der vier Veden, den heiligen Texten des Hinduismus. Nach dem Ritual sollen Braut und Bräutigam zu ihrem Schutz das Haus möglichst nicht mehr verlassen. Und wenn, dann nur im Kreise ihrer Verwandten und Freunde. So wie am Morgen des nächsten Tages.

Hare Hare Mahadev - Es lebe der große Gott

Gleich nach dem Frühstück geht es los. Prateek trägt einen gold-rot-weißen Anzug mit Schärpe, auf dem Kopf einen Turban; die Kleidungsstücke sind mit Stickereien und Perlen verziert. Wer den typischen Klang der Kapelle hört, weiß sofort, dass heute eine Hochzeit stattfindet. Die Prozession begleitet Prateek zu einem Reisebus, der zwei Gassen weiter auf die Hochzeitsgesellschaft wartet. Denn heute fahren alle in das 270 Kilometer entfernte Patna. Dort findet das eigentliche Hochzeitsritual statt und die Braut wird abgeholt. Snehlata Singh bleibt mit einigen Gästen in Varanasi zurück und bereitet alles für die Rückkehr des jungen Paars vor. Wenn die beiden am Abend des nächsten Tages die Schwelle des Hauses übertreten, werden sie bereits verheiratet sein.
Als der Bus losfährt, reißen alle die Arme hoch und rufen "Hare Hare Mahadev" - was so viel wie "Es lebe der große Gott" bedeutet. Die Stimmung der knapp 50 Reisenden ist ausgelassen. Auch Vashisht Tiwari, der gestern die Haldi-Zeremonie durchgeführt hat, ist mit dabei. Er erklärt, dass jede Hochzeit ihr göttliches Vorbild hat und nach bestimmten Regeln durchgeführt wird: "Die Hochzeit wird wie eine Götterhochzeit vollzogen. Dazu gibt es acht Stufen. Die erste Stufe ist die Verehrung des Bräutigams."
Diese Ehrerbietung zeigt seine exponierte Stellung, gleichzeitig verlangt ihm diese Position ein hohes Maß an Verantwortung ab, was sich ebenfalls in der Symbolik des Rituals wiederspiegelt: "In diesem Pavillon wird die Flagge des Gottes Hanuman gehisst und daneben plaziert man den Pflug und den symbolischen Ochsen, der den Pflug zieht."

Der Ehemann als Ochse, der den Pflug der Ehe zieht

Das Bild des Ochsen, der vor den Pflug gespannt wird, stehe für den Bräutigam, der die Ehe eingeht, erklärt der Priester. Bis der Bus die staubigen Landstraßen hinter sich lässt und sich den Weg durch den Verkehr Patnas gebahnt hat, ist es dunkel. In einem modernen Hochzeitspalast, mit Säulen und reichen Verzierungen, treffen unter großem Hallo die Familien der Brautleute aufeinander. Die Stimmung ist ausgelassen und nach einem kleinen Imbiss schlüpfen alle in ihre Festtagskleidung. Die Musik signalisiert, dass es gleich losgeht und vom Rhythmus getragen, bewegt sich der Pulk von Gästen durch bunt geschmückte Torbögen auf die Straße.
Wieder verkünden die Musiker: Prateek und Anamika feiern ihre Hochzeit. Die Hochzeitsgäste drücken ihre Freude darüber durch ihren Tanz aus. War es früher üblich, dass der Bräutigam den Tempel und das Haus der Braut mit einer Hochzeitskutsche oder auf einem Pferd erreicht, fährt er heute unter Applaus in einem blumengeschmückten Auto vor. In einem Festsaal nimmt die Hochzeitsgesellschaft nach und nach auf Stühlen Platz. Alle Blicke richten sich auf eine Empore, auf der - umrahmt von zwei buntbemalten Pfauen aus Gips – der Bräutigam auf seine Braut wartet.
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Hindu-Hochzeit in Varanasi, Indien.© Antje Stiebietz
Unter Klatschen und Zurufen wird Anamika in den Saal geführt. Sie trägt einen roten Sari, der mit goldenen Stickereien verziert ist. Während sie dem Bräutigam zugeführt wird, hält sie den Blick gesenkt. Die Brautfamilie segnet den Bräutigam und die Brautleute legen sich gegenseitig eine Mala, eine Blumengirlande um den Hals, um ihre Verbundenheit zu signalisieren. Dieser Begegnung folgt ein endloser Fototermin, schließlich möchte jeder der Hochzeitsgäste einmal mit dem Paar fotografiert werden.

Hochzeitsritual in den frühen Morgenstunden

Das anschließende Hochzeitsbuffet bietet eine opulente Auswahl an Speisen, danach legen alle eine kurze Ruhepause ein. Es ist spät geworden, Mitternacht ist längst vorbei. Doch richtig ernst wird es erst jetzt: Die Übergabe der Braut findet zu einem astrologisch glücksverheißenden Zeitpunkt statt, den der Priester errechnet hat. Für Anamika und Prateek bedeutet das, dass ihr Hochzeitsritual in den frühen Morgenstunden stattfindet.
Unter dem Gesang der Frauen hat der Priester erneut den Ritualplatz vorbereitet. Um die Feuerstelle sind wieder verschiedenste Ritualgegenstände ausgebreitet. Während der Priester seine Mantren spricht, findet die Übergabe der Braut an den Bräutigam statt, indem ihre Hand in seine gelegt und um beide ein rotes Tuch geschlungen wird. Dann wird das Feuer entzündet. Das Brautpaar erhebt sich und umschreitet gemeinsam siebenmal das Feuer. Danach ist die Hochzeit vollzogen.
Plötzlich verliert die Braut die Fassung, sie zittert am ganzen Körper, kauert sich zusammen. Den ganzen Abend schon war ihre Anspannung spürbar. Sie weint und ruft nach ihrem verstorbenen Vater. Vielen der anwesenden Frauen, laufen ebenfalls die Tränen über die Wangen. In der hinduistischen Gesellschaft ist es üblich, dass die Frau in das Elternhaus des Ehemanns übersiedelt.
Für Anamika ist die Hochzeit ein gewaltiger Einschnitt in ihrem Leben – nichts wird danach mehr sein, wie zuvor. Von ihr wird künftig erwartet, dass sie sich den Vorstellungen des neuen Haushalts beugt. Anupam, der Bruder von Anamika, erklärt die Trauer seiner Schwester so: "Das ist eine indische Tradition: Wir folgen der indischen Mythologie und müssen das Hochzeitsritual auf diese Weise durchführen. Da gibt es glückliche und traurige Momente. Das ist Teil der Zeremonie."
Auch die 24-jährige Kashish Gupta gehört zur Familie Anamikas. Sie erklärt, warum viele der Frauen weinen, und warum dieser Tag für die Braut so widersprüchlich ist: "Bei den Frauen handelt es sich um ihre Mutter, ihre Tanten, ihre Verwandten. Wir hängen emotional an unseren Familienmitgliedern. Wenn ich verheiratet werden würde, dann wüsste ich, o.k., in ein paar Tagen werde ich zu einer anderen Familie gehören und eine neue Familie gründen.
Natürlich sind wir deswegen ängstlich, traurig und unsere Familie macht sich Sorgen um uns, ob wir dort glücklich sein werden. Alle fragen sich, wie die Bedingungen in der Familie sein werden, was es für eine Familie ist und ob sie auf für uns sorgen wird? In Indien sind wir Frauen vollständig abhängig. Zuerst von unserem Vater und unseren Brüdern. Und nach der Hochzeit von unserem Ehemann."
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Hindu-Hochzeit in Varanasi, Indien.© Antje Stiebitz

Die trauernde Braut kann wieder lächeln

Inzwischen ist es hell geworden. Für Anamika ist der Abschied von ihrer Familie gekommen. Sie setzt sich zu Prateek ins Auto und fährt in ihr neues Leben. Auch die Hochzeitsgäste steigen in den Bus zurück nach Varanasi und erreichen das Haus des frisch vermählten Brautpaars in den Abendstunden.
Am nächsten Tag haben sich wieder alle am Ritualplatz versammelt. Diesmal rezitiert der Priester aus einem religiösen Text, der Vishnu gewidmet ist. Vishnu gilt als Gott, der die Welt erhält und seine Frau Lakshmi ist die Göttin des Glücks und des Reichtums. Ihre Hochzeit und Beziehung steht beispielhaft für die rituellen Handlungen der hinduistischen Hochzeit und ihre Beziehung hat Vorbildcharakter. Neben dem Priester sitzen Prateek und Anamika und helfen sich gegenseitig beim Durchführen der Rituale. Beide sind konzentriert bei der Sache und Anamika kann wieder lächeln.

Liebesheiraten haben in Indien einen schlechten Ruf

In ihrem Buch "Frauen in Indien. Leben zwischen Unterdrückung und Widerstand" schreibt Katharina Kakar, dass indische Hochzeiten als bedeutsamste Familienereignisse betrachtet werden, denen allerdings eine andere Bedeutung als im Westen zukomme: "Sie werden nicht als Privatangelegenheit zweier Individuen betrachtet, sondern als die Zusammenkunft zweier Familien." Die Religionswissenschaftlerin legt weiter dar, dass die Mehrheit der Frauen und Männer bei freier Wahl eine arrangierte Ehe vorziehe: "Der Grund dafür ist, dass Liebesheiraten in Indien einen schlechten Ruf haben – man sagt von ihnen, dass sie einen unglücklichen Verlauf haben."
Aus diesem Grund werden Liebesheiraten vom sozialen Umfeld oft nicht unterstützt, am Gelingen einer arrangierten Ehe hingegen haben alle ein Interesse. Prateek Singh: "Inzwischen gibt es Liebesheiraten und das Leben in Beziehungen auch in Indien. Aber sie machen nur 10 oder 15 Prozent aus. 85 Prozent aller Ehen sind noch immer arrangiert." Früher hätten sich die Brautleute an ihrer Hochzeit überhaupt das erste Mal gesehen. Sie seien eben auf diese Weise aufgewachsen, fügt er hinzu. Und: "Meine Mutter hat auf diese Weise geheiratet. Meine Schwester hat so geheiratet. Alle, die ich kenne."
Zum glanzvollen Hochzeitsempfang sind bestimmt 1500 Gäste gekommen. Auffällig beliebt: Selfies mit den Verwandten, Freunden und Nachbarn. Technisch auf dem neuesten Stand und eine arrangierte Ehe - für die Generation Smartphone in Indien kein Widerspruch. Und wenn die Götter es wollen, ist die Ehe von Anamika und Prateek nicht nur gut arrangiert, sondern wird auch glücklich.
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