Hilfe von der BRD

Von Rolf Wiggershaus · 18.05.2010
Unmittelbar nach dem Mauerfall haben wohl viele nicht damit gerechnet, dass Ost- und Westdeutschland kein ganzes Jahr später wieder vereinigt sein würden. Manche dachten gar an eine Union zunächst zweier deutscher Staaten - beide mit sozialer Marktwirtschaft.
Eine Heirat, die vom 9. November 1989 bis zum 3. Oktober 1990 dauerte – so charakterisierte Rainer Eppelmann, einst DDR-Oppositioneller, dann Minister, schließlich CDU-Bundestagsabgeordneter, die deutsche Wiedervereinigung im Rückblick. Für eine normale Hochzeitszeremonie wäre das eine beunruhigend lange Dauer, doch für die Vereinigung zweier Gesellschaftssysteme, die sich während vier Jahrzehnten auseinander entwickelt hatten, war das ein überraschend kurzer Prozess.

In dessen Verlauf gab es einen Point of no return: Den 18. Mai 1990.

An diesem Tag unterzeichneten DDR-Finanzminister Walter Romberg und BRD-Finanzminister Theo Waigel in Bonn den deutsch-deutschen Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Nach der Paraphierung gaben der westdeutsche Bundeskanzler Helmut Kohl, Regierungschef einer schwarz-gelben Koalition, und der ostdeutsche Ministerpräsident Lothar de Maizière, Regierungschef einer großen Koalition, Erklärungen ab.

"Meinen Landsleuten in der DDR rufe ich zu: Die Einführung der sozialen Marktwirtschaft bietet Ihnen alle Chancen, ja ich sage bewusst: die Gewähr dafür, dass Mecklenburg und Vorpommern und Sachsen-Anhalt, dass Brandenburg, Sachsen und Thüringen bald wieder blühende Landschaften, wirtschaftlich blühende Landschaften in Deutschland sein werden, in denen es sich für jeden lohnt, zu leben und zu arbeiten."

"Der Geist, in dem dieser Vertrag zustande kam, entspricht den Zielen und Wünschen der Menschen in der DDR nach Freiheit, nach Wohlstand und nach sozialer Gerechtigkeit. Hier haben nicht fremde Staaten miteinander verhandelt, sondern Landsleute und Freunde, die sich nicht länger entfremden lassen wollen."

Auch für den ostdeutschen Ministerpräsidenten Lothar de Maizière stand fest, dass mit dem Staatsvertrag der Einigungsprozess unumkehrbar wurde. Seine Erklärung klang allerdings eher beschwörend. Er befand sich in der undankbaren Rolle eines Konkursverwalters. Sein Finanzminister konnte oder wollte keine verbindlichen Angaben über die finanzielle Lage der DDR machen. Die Regierung wusste jedenfalls nicht, wie sie im Sommer Löhne und Gehälter der Staatsbeschäftigten bezahlen sollte. Seit dem Bekanntwerden von Einzelheiten des Staatsvertrags gab es Proteste und Streiks aus Angst um Arbeitsplätze und Sozialleistungen. De Maizière sprach von einer großzügigen politischen Geste der Bundesrepublik gegenüber der in einer tiefen wirtschaftlichen Krise steckenden DDR und meinte zu den Aussichten, die der Vertrag für die Bürger im Osten eröffne:

"Nicht alle Blütenträume, die manche mit dem Staatsvertrag verbunden haben, konnten in Erfüllung gehen. Aber niemandem wird es schlechter gehen als bisher. Im Gegenteil. Welches Land in Osteuropa bekommt schon eine solch gute Startposition wie wir mit diesem Vertrag?"

Schon ein erster Blick in den Vertragstext zeigte, welch radikale Umstellung vom Vertragspartner DDR verlangt wurde. In Artikel 1 wurde als Grundlage der Wirtschaftsunion die Soziale Marktwirtschaft festgeschrieben. Zu ihr hieß es:

"Sie wird insbesondere bestimmt durch Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen [...]."

Als dann der Staatsvertrag am 1. Juli 1990 in Kraft trat, klang bereits nüchterner, was Bundeskanzler Helmut Kohl für bemerkenswert hielt:

"Die Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR sind jetzt wieder unauflöslich miteinander verbunden. Sie sind es zunächst durch eine gemeinsame Währung, durch die gemeinsame Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft. Wir werden es auch bald wieder in einem freien und vereinten Staat sein. Die Deutschen können jetzt auch wieder ungehindert zueinander kommen. Seit heute herrscht an der Grenze freie Fahrt. [...] Über 40 Jahre haben wir darauf gewartet."

Auch Bundesfinanzminister Theo Waigel pries die endlich erreichte "Freiheit der Konsumenten". Tatsächlich verschwanden mit dem

Inkrafttreten der Währungsunion am 1. Juli erst einmal Ostprodukte zugunsten von Westwaren aus den Regalen der DDR-Kaufhäuser. Doch mit den Produkten verschwanden auch die Arbeitsplätze. An neuen fehlt es bis heute. Viele der Befürchtungen hinsichtlich der Schwierigkeiten und Kosten einer Vereinigung wurden wahr, nicht dagegen die Hoffnungen, die viele Bürger veranlassten, einem eilig vollzogenen Beitritt der DDR zuzustimmen. Bis heute hängt der Osten von den Solidarbeiträgen aller Deutschen, aus den alten wie den neuen Bundesländern ab.