Hilfe für Frauen in Not

Seit drei Jahren gibt es die vertrauliche Geburt

Eine Mutter hält am 07.01.2014 in einem Krankenzimmer der Kinderintensivstation im Klinikum Braunschweig (Niedersachsen) die Hand ihres im Inkubatoren liegenden Sohns. Die Kinderintensivstation gibt es mittlerweile seit 35 Jahren. Sie ist damit eine der ältesten Intensivstationen für Frühgeborene und Kinder an einer kommunalen Klinik in Niedersachsen.
Die vertrauliche Geburt soll helfen, dass Babys auch im Krankenhaus geboren werden können. © dpa / picture alliance / Jochen Lübke
Jörn Sommer im Gespräch mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow · 12.07.2017
Bei einer vertraulichen Geburt können Frauen ihr Kind im Krankenhaus oder bei einer Hebamme zur Welt bringen und trotzdem vorerst anonym bleiben. Diese Möglichkeit nutzten seit der Einführung 2014 mehr als 300 Frauen. Der Soziologe Jörn Sommer zieht Bilanz.
Seit Mai 2014 hat es in Deutschland 335 sogenannte vertrauliche Geburten gegeben. Das hat das Bundesfamilienministerium am Mittwoch in Berlin mitgeteilt. Der Soziologe Jörn Sommer vom Forschungsinstitut Interval hat die Studie dazu geleitet und zieht nach drei Jahren eine positive Zwischenbilanz.

Vladimir Balzer:
Herr Sommer, die Politik sagt, diese Möglichkeiten für eine vertrauliche Geburt, zum Teil auch für eine anonyme Geburt, ist ein Erfolg. Woran misst sich ihrer Meinung nach dieser Erfolg?
Jörn Sommer: Zunächst einmal dadurch, dass Frauen in Not an das Hilfesystem herangeführt worden sind. Frauen, die vorher dachten, dass sie ihre Geburt oder die Schwangerschaft geheimhalten wollten. Die werden in Kontakt mit professionellen Beraterinnen gebracht, den Schwangerschaftsberatungsstellen. Da werden Alternativen gezeigt, Alternativen zum Geheimhalten. Das kann zum Beispiel ein reguläre Adoption sein. Weil es wird ein Kontakt zu Adoptionsvermittlungsstellen hergestellt, weil manche Frauen wussten gar nicht, dass es die Möglichkeit gibt, sein Kind zur Adoption freizugeben. Sie bekommen dort erste Möglichkeiten aufgezeigt, was man noch machen kann, außer sein Kind heimlich wegzugeben.
Und der zweite Erfolg ist der, dass das Beratungskonzept dort wirkt, weil viele, die dort in diese Beratung kommen, sich anschließend eben nicht für eine vertrauliche Geburt entscheiden. Die Beratung zur vertraulichen Geburt ist keine Beratung für die vertrauliche Geburt. Es ist auch kein Erfolgskriterium möglichst viele vertrauliche Geburten zu bekommen, sondern ihnen andere Wege aufzuzeigen. Das hat gut funktioniert.
Balzer: Das heißt, die Frauen werden neutral beraten und es wird ihnen nicht ein schlechtes Gewissen gemacht, dass sie ihr Kind eben nicht regulär zur Welt bringen wollen mit einer Geburtsurkunde?
Sommer: Das ist relativ klar. Es gibt unterschiedliche Trägerstrukturen, teilweise auch kommunale Beratungsstrukturen, und da gehört die Offenheit des Beratungskonzept einfach zur Professionalität mit dazu.
Balzer: Bei der vertraulichen Geburt gibt es ein Recht des Kindes mit dem 16. Lebensjahr zu erfahren, wer die Mutter ist. Es gibt aber immer noch die Möglichkeit der komplett anonymen Geburt. Das heißt, das Kind wird auch später nicht erfahren können, wenn es nicht selbst viel recherchiert, wer die Mutter ist. Meinen Sie, dass diese anonyme Geburt weiterhin eine reguläre Möglichkeit bleiben sollte? Das Kind wird wissen wollen, wer die Mutter ist, oder?


Sommer: Die Frage ist, was eine reguläre Möglichkeit ist? Es gibt faktisch Babyklappen und viele Kliniken oder andere Einrichtungen bieten anonyme Geburten an. Die sind aber nicht gesetzlich geregelt. Wir haben kein empirisch, wissenschaftliches Ergebnis, wo man jetzt eine Entscheidung ableiten könnte, wie man damit umgehen soll.
Und auch das Bundesfamilienministerium tut sich hier sehr schwer. Formuliert vieles sehr ambivalent, was die Haltung gegenüber den Babyklappen oder anonymen Geburten betrifft. Ich glaube, dass dieses Spannungsverhältnis mit dem es formuliert ist, der Sache auch gerecht wird. Weil einerseits missachten diese Angebote das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft, aber andererseits verhindern sie vielleicht doch, dass ein Kind im Pappkarton vor der Kirche ausgesetzt wird. Ich betone jetzt aber das Vielleicht. Das kann man in Deutschland anhand der vorhandenen Zahlen weder beweisen noch kann man das ausschließen.
Axel Rahmlow: Das heißt im Endeffekt, Sie haben ja gerade das Beispiel des Pappkartons vor der Kirche angesprochen als großes Negativbeispiel. Aus Sorge darum, dass so etwas nicht passiert, sollten Kinder nicht ein Recht darauf haben, zu wissen, wo sie herkommen?
Babyklappe
Babyklappe in Potsdam© dpa / picture alliance / Bernd Settnik
Sommer: Sie behalten juristisch das Recht. Deshalb werden auch diese Babyklappen und die anonymen Angebote nicht legalisiert. Das Bundesfamilienministerium finanziert diese Geburten, die anonym sind, nicht, sondern eben nur die vertraulichen Geburten, weil dort das Recht des Kindes gewahrt ist.
Die Frage ist, wie man mit diesen Angeboten weiter umgeht? Was würde eigentlich passieren, wenn man sie zum Beispiel kriminalisieren würde? Wenn man die Anbieter davon mit abschreckenden Strafen belegt? Vielleicht würde diese Frauen einfach ins Ausland gehen. In Frankreich, in Österreich da gibt es diese Möglichkeit legal. Dann hätten man eigentlich auch nichts gewonnen.
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