Hieronymus Bosch

Der prickelnde Reiz gemalter Monstrositäten

Das Triptychon "Die Versuchung des Sankt Antonius" von Hieronymus Bosch (1450-1516)
Das Triptychon "Die Versuchung des Sankt Antonius" von Hieronymus Bosch, er lebte von 1450 bis 1516. © imago/UIG
Von Kirsten Serup-Bilfeldt  · 07.08.2016
Gequälte Menschen, Dämonen und Horrorwesen bevölkern die Gemälde von Hieronymus Bosch. Anschaulich führte er seinen Mitmenschen vor Augen, was ihnen im Jenseits drohte, wenn sie sündigten.
Grüblerisch, verschlossen, fanatisch fromm, nein, bigott und grausam - das sind die Eigenschaften, die die Nachwelt König Philipp II. von Spanien zugeschrieben hat. Noch kompromissloser urteilte der amerikanische Historiker John Lothrop Motley im 19. Jahrhundert:
"Sollte es Laster gegeben haben, von denen er ausgenommen war, dann deshalb, weil die menschliche Natur nicht einmal im Bösen Perfektion zulässt…"
Seltsam nur - hatte doch gerade dieser überaus frömmelnde Monarch genügend "Anschauungsmaterial", um zu wissen, was denen droht, die Böses tun! Denn der Habsburger auf dem spanischen Thron ist im 16. Jahrhundert der größte und eifrigste Sammler der Werke des niederländischen Malers Hieronymus Bosch. Und hat folglich dessen auf Leinwand gebannte "Warnungen" - etwa die "Sieben Todsünden" oder die Höllendarstellungen im "Garten der Lüste" - in seinem düsteren Schloss Escorial tagtäglich vor Augen.

Die Bildersprache bleibt rätselhaft

Ein beachtliches Ausmaß an psychologischer Selbstkasteiung? Oder Freude an dem prickelnden Reiz dieser gemalten Monstrositäten? Widerliche, geflügelte Dämonen mit Echsenpanzern, die an einem aufs Rad geflochtenen Menschen hochkrabbeln, Menschen mit verrenkten Gliedern, die zwischen die Saiten einer Harfe eingeklemmt sind, riesige Fische, vogelähnliche Monster, gigantische zerbrochene Eier, in denen Menschen gefangen sind. Da tummeln sich überlebensgroße Spechte und Wiedehopfe, Kreuzungen zwischen Hunden und Krokodilen, zwischen Teufeln und Insekten, Gestalten von ausgesuchter Bosheit und Hässlichkeit. So einfallsreich hat kein anderer Künstler die Qualen der Sünder im Jenseits geschildert.
Dennoch - vieles an dieser symbolträchtigen Bildersprache bleibt skurril, rätselhaft, schwer durchschaubar: Ein Wagen bis zum Rand mit Heu gefüllt - Sinnbild für Geld und Gold; in Anlehnung an den Propheten Jesaja aber auch Symbol für Vergänglichkeit. Der Wagen wird von sonderbaren Geschöpfen gezogen, ihm folgen Kaiser, Papst, Ritter und Geistliche, während sich das Volk um das Heu balgt und von den Rädern zermalmt wird.
Die entschlüsselte Botschaft mag lauten: Hier findet ein Kampf der Seelen zwischen Gott und Geld statt! Doch die Jagd nach dem Geld ist sinnlos, denn am Ende der Zeiten wird sich dem Gierigen alles Gold nur als Stroh erweisen. Einzig mögliche Rettung aus dem höllischen Inferno: ein frommes, gottgefälliges Leben! Ob das der Künstler selber geführt hat, wissen wir nicht, von seiner Biografie ist nur wenig überliefert.
Hineingeboren wird Hieronymus Bosch um 1450 in eine Zeit der zerfallenden Gewissheiten. Es ist eine Zeit in der Spannung zwischen Frömmigkeit und Ketzertum, zwischen Paradies-Hoffnung und Höllenfurcht, zwischen Beharrung und Aufbruch. Alte Ordnungen lösen sich auf; am Horizont dämmert ein neues Zeitalter herauf: die Renaissance. Bosch steht zwischen beiden Epochen. Seine Gemälde illustrieren nicht einfach die Botschaften des Glaubens, die in der mittelalterlichen Kunst das Wichtigste waren - er lebt in der Spannung zwischen den Zeiten.

Künstlerisch ein krasser Außenseiter

In seinem künstlerischen Werdegang darf Bosch, Spross einer wohlhabenden Malerfamilie, als krasser Außenseiter gelten. Sein Biograf Stefan Fischer notiert:
"Während Künstler wie Albrecht Dürer um 1500 das Individuum als Motiv entdeckten, entwarf Bosch eine komplexe Form der Moralsatire. Die Renaissance in Italien interessierte ihn nicht - er hatte Vergnügen an fantastischen Mischwesen wie sie bereits die Kapitelle der Kathedralen schmückten…"
Auch in seinen Passionsbildern zeigt Bosch die Auswüchse menschlicher Bosheit: verwegene Verbrechergestalten, feiste, gemeine Gesichter vor düsterem Hintergrund, etwa in der "Verspottung Christi" oder der "Kreuztragung". Auf diese Kreuzigung folgt keine strahlende Auferstehung. Die Himmelfahrt Christi fällt aus. Heilloser ist Heilsgeschichte wohl nie dargestellt worden.
Die Rätsel bleiben. Vor allem eines: Wollte Bosch die Zeitgenossen mit seinen schaurigen Jenseitsvisionen und seinen grausamen Höllenstrafen in Angst und Schrecken versetzen und sie so zu einem gottgefälligen Lebenswandel animieren? Oder spiegeln seine Bilder eher seine eigenen Ängste wider? Der Mediävist Peter Dinzelbacher:
"Jedenfalls bricht sein Werk mit der bis dahin von der niederländischen Malerei fast durchgehend vermittelten, harmonisierenden Weltsicht, um dem Unheimlichen und Skurrilen Raum zu geben…"
Mehr zum Thema