"Hier besteht ein enormes Eskalationspotenzial"

Harald Kujat im Gespräch mit Christopher Ricke · 30.08.2013
Der Ex-Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat, hat sich für ein militärisches Vorgehen in Syrien ausgesprochen. Er warnte, wenn nicht gehandelt werde, seien weitere Giftgaseinsätze nicht auszuschließen. Die Folgen eines Angriffs könne jedoch niemand voraussagen.
Christopher Ricke: Seit acht Stunden wird international versucht, die Geopolitik neu zu ordnen, weil die Briten vor acht Stunden im Unterhaus eine Beteiligung an einem Militärschlag gegen Syrien abgesagt haben. Die Amerikaner stehen jetzt sozusagen erst einmal alleine da. General a. D. Harald Kujat ist der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, war auch Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Guten Morgen, Herr Kujat!

Harald Kujat: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Was bedeutet das denn militärisch? Ist ein Militärschlag ohne die Alliierten für die Amerikaner leichter oder schwerer oder gar nicht zu führen?

Kujat: Nein, die britische Beteiligung wäre ohnehin, sagen wir, mehr politisch, ein politisches Gewicht gewesen. Militärisch haben die Europäer, sowohl die Briten als auch die Franzosen, nicht viel beizutragen. Die Hauptlast würden in jedem Fall die Amerikaner tragen. Insofern ändert sich militärisch nichts.

Ricke: Es war den Amerikanern politisch - und damit im NATO-Verbund natürlich auch militärisch - aber immer wichtig, die Europäer mitzunehmen.

Kujat: Das ist richtig, das ist natürlich – es handelt sich ja hier um den Verstoß gegen eine internationale Konvention, die Chemiewaffenkonvention, die von vielen Staaten ja unterschrieben ist. Und diese Verletzung dieser Konvention hat natürlich weitreichende Folgen für alle Staaten. Insofern haben die Amerikaner natürlich ein Interesse daran, möglichst viele Staaten mit dabei zu haben oder zumindest deren politische Unterstützung zu haben. Und das ist ja auch weitgehend der Fall, auch Deutschland hat sich ja relativ eindeutig positioniert, obwohl klar war von Anfang an, dass wir jedenfalls nicht dabei sein würden.

Ricke: Auf der politischen Ebene wäre es natürlich wichtig, dass sich die Vereinten Nationen, dass sich der Sicherheitsrat zusammenfindet. Die Russen bewegen sich nicht – hat das aus Ihrer Sicht, was in den vergangenen neun Stunden, 19 Stunden in Großbritannien passiert ist, darauf irgendeine Auswirkung?

Kujat: Nein, es hat auf die Position des Sicherheitsrates keine Auswirkung. Es ist richtig, was Sie sagen, es ist sehr, sehr bedauerlich, dass der UN-Sicherheitsrat, die Vereinten Nationen überhaupt, in dieser Angelegenheit Syrien überhaupt keine Rolle spielen, seit zwei Jahren keine Rolle spielen – seit zwei Jahren, seit diese Kämpfe dort angehen. Und das hängt natürlich damit zusammen, dass wir hier gegensätzliche Interessen haben, nämlich die westlichen drei Mächte auf der einen Seite und China und insbesondere Russland auf der anderen Seite. Man muss allerdings auch in diesem Zusammenhang erwähnen, dass dieses scheußliche Ereignis an sich auch eine Chance hätte bieten können, muss man schon inzwischen sagen, denn auch die Russen haben kein Interesse daran, dass diese Aktion irgendwo Nachahmer findet. Und auch die Russen sind sicher nicht glücklich darüber, um es mal etwas diplomatisch auszudrücken, dass das Assad-Regime Chemiewaffen eingesetzt hat. Das heißt, man hätte sicherlich den Versuch machen müssen auf amerikanischer Seite, mit Russland zu einer gemeinsamen Position zu kommen.

Ricke: Nach wie vor steht der Gedanke im Raum, dass Assad, wenn ihm denn, nachdem die UN-Inspektoren abgezogen sind und ihm der Giftgasangriff wirklich nachgewiesen werden kann, dass es da eine Strafmaßnahme geben soll. Bei so einer Strafe muss man aber immer damit rechnen, dass der Bestrafte heftig reagiert und umso schlimmer handelt. Was hat denn Assad militärisch da noch an Drohpotenzial zu bieten?

Kujat: Ja, zunächst mal, es ist nicht nur eine Strafaktion, sondern es ist auch ein Abschreckungseinsatz. Es sind ja schon einmal Chemiewaffen eingesetzt worden, zuletzt im März in einem sehr begrenzten Umfang, darauf war die Reaktion des Westens mäßig. Und man kann durchaus vermuten, dass diese Zurückhaltung auf westlicher Seite das Regime ermutigt hat, es nun in einem größeren Umfang zu versuchen. Das heißt, wenn man diesen Faden weiterspinnt, sollte jetzt nicht gehandelt werden, dann ist es durchaus nicht auszuschließen, dass es zu weiteren Chemiewaffeneinsätzen in Syrien kommt. Insofern dient dieser begrenzte Militärschlag, den die Amerikaner im Augenblick vorhaben, auch der Abschreckung.

Was die Reaktionsmöglichkeiten des Regimes, die militärischen Reaktionsmöglichkeiten betrifft, die sind äußerst begrenzt. Da kann man … die Syrer werden sich nicht sehr dagegen wehren können. Aber natürlich gibt es, ich würde einmal sagen, seitliche Arabesken. Sie haben Verbündete in der Region, die Hisbollah im Libanon, der Feind ist sozusagen Nachbar des Libanon, das ist Israel, sie haben den Iran als Verbündeten – also hier gibt es durchaus Möglichkeiten zu reagieren, bis hin zu terroristischen Anschlägen weltweit. Diese Möglichkeit besteht, aber keine unmittelbare militärische Reaktion. Obwohl man natürlich versuchen wird, mit Flugabwehrsystemen sich zu verteidigen, aber das ist wenig aussichtsreich.

Ricke: Es gibt ja auf der moralischen und auf der politischen Ebene zahlreiche Argumente. Wenn der Papst sagt, Krieg Führen sei nicht der richtige Weg, dann wird das zur Kenntnis genommen, wenn die Briten sagen, wir beteiligen uns nicht, schaut man sehr genau hin. Aber die Amerikaner sagen ja immer begrenzter Militärschlag. Ich habe da meine Zweifel, dass sich das so begrenzen lässt. Haben wir das nicht schon mehrfach gehabt, dass man sich eben nicht ausreichend überlegt hat, wie man wieder rauskommt, wenn man reingeht?

Kujat: Das ist völlig richtig. Es gibt ja den alten Spruch, nach dem ersten Schuss ist alles anders. Und so wird es auch in diesem Fall sein. Niemand kann wirklich vorhersagen, was sich aus dieser Aktion entwickeln wird. Was man mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, das ist – ich würde das sogar als Minimum bezeichnen –, dass es Reaktionen in dem Maße gibt, wie ich es eben geschildert habe, aber es kann durchaus weitergehen. Ich will hier nur ein Beispiel nennen: Wenn der Iran zum Beispiel die Straße von Hormus sperren würde, müsste der Westen reagieren, müssten die Amerikaner reagieren, denn wir sind darauf angewiesen, dass das Öl diese Straße passieren kann – 40 Prozent der Weltversorgung. Das heißt, hier besteht ein enormes Eskalationspotenzial. Inwieweit das tatsächlich eintritt, das kann kein Mensch vorhersagen, aber es ist da.

Ricke: General a. D. Harald Kujat. Vielen Dank, Herr Kujat!

Kujat: Ich danke Ihnen, Herr Ricke!


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